Brandenburg/Havel: Umkämpfte Städtepartnerschaft mit Magnitogorsk

Beim Ostermarsch sollen in Brandenburg/Havel Unterschriften gegen die Aufkündigung gesammelt werden

»W nadeschde na mir i druschbu narodow.« (In der Hoffnung auf Frieden und Völkerverständigung!) So schließt die russische Version eines Briefes an die mehr als 400 000 Einwohner von Magnitogorsk. Die Kommune hinter dem Uralgebirge, also in Sibirien gelegen, ist seit 1989 Partnerstadt von Brandenburg/Havel. Das soll auch so bleiben, wünscht sich die Basisorganisation (BO) der Linken im Stadtteil Dom. Sie formulierte den Brief. »Eine echte Freundschaft zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie nicht nur in guten, sondern auch in schweren Zeiten fortbesteht«, heißt es in dem Schreiben. »Angesichts der aktuellen Situation« – gemeint ist der Krieg in der Ukraine – »halten wir es für wichtig, dass alle Verbindungen zwischen uns aufrechterhalten werden.« Mit großer Bestürzung habe man Überlegungen einiger weniger Einwohner von Brandenburg/Havel wahrgenommen, die Partnerschaft aufzukündigen. Die BO meint, dass die Freundschaft zwischen den Bürgern beider Städte »nicht Gegenstand politischer Auseinandersetzungen sein sollte«.

Brandenburg/Havel

Für dieses Anliegen werden Unterschriften gesammelt, und das nun auch am 1. April von 11 bis 12.30 Uhr bei einer Mahnwache des örtlichen Bündnisses für Frieden (BFF) auf dem Neustädtischen Markt und am 8. April beim Ostermarsch. Treffpunkt dafür ist um 10 Uhr ebenfalls der Neustädtische Markt.

»Das Aufkündigen der seit 1989 bestehenden Städtepartnerschaft, so wie es von Seiten einiger Politiker unserer Stadt gefordert wird, wollen wir nicht unkommentiert stehen lassen«, erklärt die BO-Vorsitzende Heidi Hauffe. »Als Bündnis befürworten wir diese Initiative«, ergänzt BFF-Sprecher Dominik Mikhalkevich. Er gehört der BO selbst an. »Im Moment ist die Partnerschaft eingefroren«, bedauert Mikhalkevich. Unter anderem aus den Reihen der Grünen gebe es die Überlegung, die Städtepartnerschaft ganz zu beenden. Der 24-Jährige stammt aus Belarus und hat Verwandte sowohl in Russland als auch in der Ukraine.

Die Rathauschefs von Brandenburg/Havel und Magnitogorsk finden indes keine gemeinsame Sprache. Oberbürgermeister Steffen Schneller (CDU) hatte nach dem vor einem Jahr erfolgten russischen Angriff auf die Ukraine einen Brief an seinen Amtskollegen Sergey Berdnikow geschrieben und appelliert, dieser solle sich dafür einsetzen, »dem sinnlosen Blutvergießen und dem Krieg endlich ein Ende zu bereiten«. Wie die »Märkische Allgemeine« berichtet, fiel die Antwort im Juli enttäuschend aus. Berdnikow habe geantwortet, die Brandenburger seien Opfer eines Informationskrieges und wüssten nicht über die wirkliche Situation in der Ukraine Bescheid. Der Bürgermeister sprach von der Pflicht eines jeden Russen, die ganze Welt vor dem Faschismus zu schützen.

Als eine der letzten Aktivitäten im Rahmen der Städtepartnerschaft schilderte die Stadtverwaltung von Brandenburg/Havel, dass im November 2015 die Lehrerin Natalja Iwanowa aus Magnitogorsk als Gast am Bertolt-Brecht-Gymnasium einige Wochen des Jahres Russisch unterrichtete. »Ich fühle mich hier wie zu Hause«, wurde Iwanowa zitiert.

In der Geschichte beider Städte spielt die Stahlindustrie eine bedeutende Rolle. Eisenerz im Magnitnaja, dem Stahlberg, bildete die Voraussetzung für die Gründung der Planstadt, mit deren Bau 1929 begonnen wurde. Bereits 1930 wurde erster Stahl produziert: ein Meilenstein für die Industrialisierung der Sowjetunion.

Die BO Dom und das Bündnis für Frieden liegen mit dem Linke-Kreisverband über Kreuz. Das hat zu tun mit zwei Friedensdemonstrationen im vergangenen Jahr mit mehr als 1000 Teilnehmern, bei denen Neonazis mitgelaufen sind und von denen sich das Bündnis nach Einschätzung des Kreisvorstands nicht hinreichend distanzierte. Zum Thema Magnitogorsk sagt die Kreisvorsitzende Claudia Sprengel: »Es gibt keine Grundlage für den Brief, weil es keine offizielle Infragestellung der Städtepartnerschaft gibt.«

Potsdam

Ebenfalls über Kreuz liegen der Linke-Kreisvorstand Potsdam und die Friedenskoordination der Stadt. Der Kreisvorstand trat aus der Friedenskoordination aus. Nichtsdestotrotz ist für den vorgezogenen Ostermarsch, der am 1. April um 15 Uhr am Brandenburger Tor von Potsdam starten soll, die Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen (Linke) als Rednerin angekündigt. Sie gilt aber auch als Vertraute von Sahra Wagenknecht. Der Kreisvorstand organisiert stattdessen gemeinsam mit dem Landesvorstand am Ostersamstag, dem 8. April, eine Friedensdemonstration auf dem Potsdamer Platz der Einheit. Ab 14 Uhr wird hier auch Bundesparteichef Martin Schirdewan erwartet.

Strausberg

Ein weiterer Ostermarsch soll am 9. April um 14 Uhr am S-Bahnhof Strausberg-Stadt starten und zum Markt führen, wo gegen 15.30 Uhr eine Abschlusskundgebung vorgesehen ist. Bündnispartner des Linke-Kreisverbandes Märkisch-Oderland sind hierbei der Gewerkschaftsbund DGB, der Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, das Demokratische Jugendforum, das Netzwerk für Toleranz und Integration, die Friedens- und Zukunftswerkstatt sowie die Berliner Friedensglockengesellschaft.

»In Strausberg gibt es die Besonderheit, dass hier die Koordinierungsstelle der Bundeswehr für die Ausbildung ukrainischer Soldaten angesiedelt ist, die danach unmittelbar in den Kriegseinsatz gehen«, erläutert der Linke-Kreisvorsitzende Niels-Olaf Lüders. Gegen diese De-facto-Kriegsbeteiligung der Bundesrepublik solle protestiert werden. »Wir hoffen, dass sich auch viele Einwohner Ostbrandenburgs der sich daraus ergebenden gefährlichen Situation bewusst werden«, sagt Lüders. »Unsere Solidarität mit den vom Krieg unmittelbar betroffenen Menschen in der Ukraine und in Russland drückt sich darin aus, dass wir fordern, das gegenseitige Töten sofort und ohne Wenn und Aber zu beenden.«

In einem am 18. März beschlossenen Aufruf des Landesvorstands zu den Ostermärschen 2023 heißt es: »Eine friedliche Lösung setzt den vollständigen Abzug aller russischen Truppen von ukrainischem Staatsgebiet und die Wiederherstellung der territorialen und politischen Integrität und Souveränität der Ukraine voraus.« Dieses Ziel sei allein mit Waffengewalt nicht zu erreichen. Die Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen sei keine Perspektive zur Beendigung des Krieges. Stattdessen drohe seine Ausweitung. Der russische Überfall wird in dem Aufruf als Eskalation eines bereits seit 2014 schwelenden Konflikts bezeichnet. Der Angriff sei durch nichts zu rechtfertigen. Eine gemeinsame diplomatische Strategie der Bundesregierung, der EU und der Nato sei nicht erkennbar. »Stattdessen wird der Krieg zum Vorwand für die größte militärische Aufrüstung seit dem Ende des Kalten Krieges. Dabei gibt es nur einen Gewinner – die Rüstungskonzerne, die mit dem Tod Milliarden verdienen.«

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