Freispruch nach tödlichem »Dooring«-Unfall

Fahrlässige Tötung? Nach dem Tod eines Radfahrers endet die Verhandlung mit einem Freispruch

Albtraum »Dooring«-Unfall: Solche brenzligen Situationen haben schon viele Radfahrer erlebt.
Albtraum »Dooring«-Unfall: Solche brenzligen Situationen haben schon viele Radfahrer erlebt.

Am Dienstag musste sich ein 74-Jähriger vor dem Amtsgericht Tiergarten wegen sogenannten »Doorings« verantworten. Darunter versteht man Fahrradunfälle, die durch plötzlich geöffnete Autotüren verursacht werden. Das Hauptverfahren endete mit Freispruch. Der Vorsitzende Richter sah »keine Anhaltspunkte dafür«, dass der Angeklagte beim Aussteigen hätte umsichtiger sein müssen.

Der zugrunde liegende Fall ereignete sich im Februar 2023 in Charlottenburg in der Kantstraße, Ecke Wielandstraße: Ein 50-jähriger Fahrradfahrer starb an seinen schweren Kopfverletzungen, nachdem er einer sich öffnenden Tür eines Taxis nicht ausweichen konnte und stürzte. Der damalige Fahrgast und Angeklagte Waldemar S. ließ zu Beginn der hinterbliebenen Familie durch seinen Anwalt sein Beileid ausdrücken. Er sei tief betroffen. Der Darstellung von S. nach habe er den schuldigen Betrag für die Fahrt bezahlt, habe sich dann mit einem Schulterblick umgesehen und die Tür um etwa 30 Grad geöffnet. Daraufhin habe er plötzlich einen Knall gehört und hätte schließlich den Fahrradfahrer wahrgenommen.

Das Problem, auf das alle Parteien hinweisen: Der Unfall ließ sich durch die technischen Sachverständigen nicht eindeutig rekonstruieren, da sowohl Taxi als auch Fahrrad bewegt wurden, bevor diese dokumentiert werden konnten. Das angefertigte Gutachten beruht daher zu großen Teilen auf der Erinnerung des Taxifahrers, der gebeten wurde, das Auto an die gleiche Stelle des Unfalls zu bewegen.

Auf Basis dieser Stellung wurden unterschiedliche Türöffnungs-, Aufprall- und Sturzwinkel berechnet, sodass sich – ergänzt um Zeugenaussagen – folgender möglicher Hergang ergab: Das Taxi hielt auf einem Sperrstreifen hinter der Kreuzung zur Wielandstraße in unmittelbarer Nähe eines Fahrradstreifens. Den Sperrstreifen, auf dem nicht gehalten werden darf, wählte der Fahrer, »um den Verkehr nicht zu stören«. Nun könnte sich ein Auto aus der Wielandstraße kommend zum Abbiegen in die Kantstraße vorgetastet haben, das der Radfahrer umfuhr und so kurzzeitig den Radweg verließ. So habe er sich unmittelbar vor dem Aufprall direkt hinter dem Taxi befunden und hätte also nur mit direktem Blick durch die Heckscheibe gesehen werden können, nicht aber durch den vom Angeklagten beschriebenen Seitenblick. Der Sachverständige stellte jedoch auch klar: Dies ist eines von vielen möglichen Szenarien.

Die Staatsanwältin blieb bei der Ansicht, der Angeklagte hätte mehr Sorgfalt aufbringen sollen, um die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten. Sich richtig umzusehen, sei auch einem 74-Jährigen zuzumuten. Bei körperlichen Einschränkungen »muss er eben um Hilfe bitten«. Sie forderte 50 Tagessätze zu je 30 Euro. Die Nebenklage folgte der Forderung der Staatsanwaltschaft und wies dabei sichtlich bewegt auf das große Leid für die hinterbliebene Familie hin.

Das Gericht folgte der Verteidigung, die argumentierte, dass bei so vielen unbekannten Variablen der Hergang nicht aufzuklären sei und dass der übliche Schulterblick den Fahrradfahrer nicht zum Vorschein gebracht hätte. Der Richter stimmte dem zu: Ein sich umwendender Blick nach hinten sei vom Angeklagten nicht notwendigerweise zu verlangen.

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