Mit Plakaten in Russland gegen den Ukraine-Krieg

Viktoriia Kochkasova protestiert mit Plakaten gegen den Ukraine-Krieg und muss dafür vor Gericht

  • Interview: Ardy Beld
  • Lesedauer: 7 Min.
Immer wieder protestiert Viktoriia Kochkasova in Woronesch, wie hier am 8. März.
Immer wieder protestiert Viktoriia Kochkasova in Woronesch, wie hier am 8. März.

Frau Kochkasova, was möchten Sie mit Ihrem Protest erreichen?

Interview

Viktoriia Kochkasova ist in Woronesch geboren und aufgewachsen. Während ihres Architekturstudiums in Moskau lernte sie ihren Ehemann, einen Manager von Russlands größter Bank Sberbank kennen. Die mittlerweile 26-jährige Russin arbeitete in der Hauptstadt für ein kleines Bauunternehmen, wo sie sich mit der Gestaltung und Inneneinrichtung von Landhäusern befasste. Vor kurzem ließ sie sich von ihrem Mann scheiden und kehrte in ihre Heimatstadt zurück. Am 1. April wurde sie bei einer Demonstration auf dem zentralen Platz von Woronesch verhaftet. Die Architektin zeigte eine selbst gezeichnete Karikatur mit den drei wichtigsten Propagandisten des russischen Fernsehens, versehen mit der Aufschrift: »Ich glaube denen nicht. Und Sie?« Sie wurde auf die Polizeiwache gebracht, wo sie eine Erklärung abgeben musste. Noch am selben Tag war sie wieder auf freiem Fuß.

Am 1. April bin ich zum vierten Mal mit einer derartigen Aktion auf die Straße gegangen. In Anlehnung an das russische Sprichwort »1. April, 1. April, ich glaube keinem« wollte ich die Menschen an diesem Tag daran erinnern, der Propaganda nicht zu trauen. Dass sie die von den Medien verbreitete Aggression und den Hass gegen die Ukrainer nicht glauben sollten. Nicht glauben sollten, dass der Krieg normal ist, dass der Krieg eine Angelegenheit unserer ganzen Nation wäre und dass die Menschen die Pflicht haben, an die Front zu gehen und dort zu töten und zu sterben. Ich dachte auch, dass ich mit meiner Zeichnung Menschen, die Zweifel haben, dazu anregen könnte, den Fernseher auszuschalten und ihren Verstand zu benutzen. Und die Kriegsgegner sollten durch meinen Protest wissen, dass sie nicht allein sind.

Ist das Risiko, verhaftet und verurteilt zu werden, nicht viel zu groß?

Ich versuche, jede Karikatur so zu gestalten, dass kein Paragraf des Gesetzes auf sie angewendet werden kann. Ich bespreche die Details vorher mit meinem Anwalt. Da es, Gott sei Dank, noch kein Gesetz zur Diskreditierung von Propagandisten gibt, habe ich mich für diese Zeichnung entschieden (lacht). Denn es sind die Propagandisten, die den Leuten allen möglichen Unsinn erzählen. Hätte ich andere, wichtigere Figuren wie den Regierungssprecher Dmitrij Peskow gezeichnet, wäre eine Verurteilung sicherlich unvermeidlich gewesen.

Wie reagierten die Passanten?

Einige lächelten. Die ältere Generation ist normalerweise sehr überrascht. Einige gingen auch auf mich zu, umarmten mich und sprachen Worte der Unterstützung. Andere gehen schnell und mit vorwurfsvollem Blick vorbei.

Wie lange hat es am 1. April gedauert, bis die Polizei eintraf?

Etwa 35 Minuten. Wie immer wusste die Polizei nicht, was sie mit mir machen sollte. Mein Plakat war zweideutig. Es stand nicht das übliche »Nein zum Krieg« drauf. Daher mussten sie ihre Vorgesetzten anrufen, um Anweisungen einzuholen. Ein-Mann-Proteste sind in der Region Woronesch noch aus der Coronazeit verboten, obwohl sie landesweit wieder erlaubt sind. Solche Proteste gehören sogar bei uns zu den Bürgerrechten und bedürfen keiner Genehmigung durch die Stadt. Trotzdem nimmt die Polizei das regionale Gesetz immer zum Anlass, um mich auf die Wache zu bringen.

Was geschah auf der Polizeiwache?

Es wurde ein Bericht geschrieben und mein Plakat beschlagnahmt. Das machen die jedes Mal. Ich musste selber eine Erklärung schreiben, habe aber die Aussage verweigert. Das hatte ich schon vorher mit meinem Verteidiger – der ebenfalls anwesend war – so vereinbart. 

Sie können also nicht für Ihre Proteste verurteilt werden?

Doch, bei einer früheren Gelegenheit hatte ich ein Plakat mit der Aufschrift »No War, Stop Hate« gemalt. Das fiel schon unter das Gesetz der Diskreditierung der Armee. Die Gerichtsverhandlung findet am 20. April statt. Der Polizei werden bestimmte Regeln – eine Art Schablone – für die Art von Formulierungen vorgegeben, die in solchen Fällen zu einer Verurteilung führen. Da es das erste Mal war, wird die Straftat nur mit einer Geldstrafe geahndet. Im Wiederholungsfall kann auch eine Gefängnisstrafe oder eine Geldstrafe von 200 000 bis 300 000 Rubel (2300 bis 3400 Euro) folgen.

Ihr Ex-Mann ist Manager bei der Sberbank, die mehrheitlich dem russischen Staat gehört. Was hielt er von Ihren Ansichten über den Krieg, die Sie wahrscheinlich schon seit langem haben?

Meine Großmutter stammt aus der Ukraine, mein Vater wurde dort geboren. Schon 2014 war ich gegen die Aggression. Als die Invasion im Jahr 2022 begann, konnte ich es zunächst nicht fassen. Bald verstand ich aber, dass es sich wirklich um einen Krieg handelt. Danach beschloss ich, dass ich gegen diese Ungerechtigkeit protestieren wollte. Mein Mann wollte das aber unter keinen Umständen. Er hatte große Angst, seinen Job zu verlieren. Bei der Sberbank stehen alle Mitarbeiter unter strenger Kontrolle. Kollegen, die 2020 bei den Protesten für Alexej Nawalnyj waren, wurden entlassen. In ihren Arbeitsbüchern (ein in Russland für jeden Angestellten obligatorisches Dokument, in dem alle Arbeitgeber, Positionen und jede grobe Fahrlässigkeit festgehalten werden, Anm. d. Red.) wurde das vermerkt. Für diese Leute ist es nun fast unmöglich, einen Arbeitsplatz zu finden. Mein Mann wollte nicht, dass ich an den Protesten in Moskau teilnehme.

Aber über den Krieg haben Sie doch miteinander gesprochen?

Nein, seine Position war klar und deutlich, er hatte sich für seine Arbeit entschieden.

Aber er hatte eine Meinung zum Krieg?

Wissen Sie, in Moskau tun die meisten Leute so, als gäbe es keinen Krieg. In Moskau zählt nur ein guter Job und ein großzügiges Gehalt. Mehr interessiert sie nicht. Als ich nach Woronesch zurückkehrte, sah ich, dass die Menschen hier eine andere Einstellung haben. In der Provinz weiß man nur zu gut, was Armut bedeutet. Was desolate Zustände sind. Bei uns spielt der Krieg durchaus eine Rolle. In Moskau scheint man die Sanktionen und die Folgen des Krieges noch nicht wirklich zu spüren. Deshalb halten viele dort die Nachrichten für übertrieben oder sogar für unwahr. Die Menschen dort wollen nicht wahrnehmen, dass Menschen auf Geheiß ihrer Regierung getötet werden, Menschen eines Brudervolkes. Alle tun so, als ginge sie das nichts an. Zumindest war das die Haltung meiner Freunde und Bekannten in Moskau.

Als Architektin in Moskau haben Sie hauptsächlich für den wohlhabenden Teil der russischen Gesellschaft gearbeitet. Haben Ihre Kunden jemals über Putin und seine Politik gesprochen?

Jeder vermied es, über Politik zu reden. Aber als die Invasion begann, war klar, dass alle große Angst hatten. Es wurde nicht darüber gesprochen, aber die Aufträge blieben aus. Alle Bauprojekte stagnierten. Jeder versuchte, sein Geld ins Ausland zu schaffen. Die wohlhabenden Kunden, die wir früher hatten, wollten nicht mehr in Russland investieren. Wir bekamen immer weniger Aufträge.

Waren es die Sanktionen, die wirkten, oder eher die Angst vor der Zukunft?

Auch jetzt ist es hauptsächlich die Angst vor der Zukunft. Es wurde mit nuklearen Angriffen gedroht. Kürzlich gab es Berichte, dass sich der Krieg nach Russland verlagern wird. So wie ich es sehe, sind die Menschen einfach sehr ängstlich. Aber auch die Auswirkungen der Sanktionen werden früher oder später zu spüren sein. 

Woronesch liegt 270 Kilometer von Charkiw entfernt. Gibt es viele ukrainische Flüchtlinge in der Stadt?

Um ehrlich zu sein, bin ich erst im Dezember nach Woronesch zurückgekehrt und habe hier noch nicht mit Flüchtlingen aus der Ukraine sprechen können. Aber es gibt viele Menschen aus Belgorod in unserer Stadt. Sie sind vor den ständigen Beschüssen geflohen. Ich habe mit vielen von ihnen gesprochen. Die meisten haben große Angst, dass der Krieg auf russischem Gebiet weitergeht. Einige unterstützen dennoch die Invasion, aber es gibt auch Flüchtlinge, die den Krieg entschieden ablehnen. 

Glauben Sie, dass der Krieg letztendlich zu Veränderungen in Russland selbst führen wird?

Ich glaube fest daran. Was jetzt geschieht, kann nicht ohne Folgen bleiben. Für niemanden. Das gesamte russische Volk wird für das, was in der Ukraine geschieht, bezahlen müssen. Der Krieg wird Folgen für alle haben, auch für die Schuldigen und diejenigen, die geschwiegen und so getan haben, als ginge sie das alles nichts an. Die Angst und das verursachte Leid können nicht ungestraft bleiben. Welche Veränderungen das in unserem Land bewirken wird, weiß ich nicht. Auf jeden Fall hoffe ich, dass das autoritäre Regime in Russland fallen wird.

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