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  • Braun-Sammlung in Kronberg

Firma Braun: Von Mozart zum Schneewittchensarg

Museyroom (Teil 4): Die Designs des Elektrogeräte-Herstellers Braun waren im 20. Jahrhundert wegweisend. Im hessischen Kronberg lassen sie sich besichtigen

  • Jürgen Schneider
  • Lesedauer: 6 Min.
Form follows function: Sony und Apple nahmen sich an Braun-Designs ein Vorbild.
Form follows function: Sony und Apple nahmen sich an Braun-Designs ein Vorbild.

Vom Hauptbahnhof der hessischen Metropole Frankfurt am Main gelangt man mit der S4 nach Kronberg-Süd. Direkt neben den Gleisen befindet sich dort der Sitz des Unternehmens Braun samt Designabteilung. Dahinter schließt sich das Westerbach Center mit Supermarkt, Arztpraxen und Apotheke an, ein langweiliges Denkmal der Konsumgesellschaft. In der ersten Etage dieses Hauses lebt jedoch die ebenso außergewöhnliche wie facettenreiche Geschichte des Unternehmens und der Marke Braun in der »BraunSammlung« fort. Nahezu 1000 Exponate illustrieren die Entwicklung des Braun-Designs von den Anfängen bis heute in den Bereichen Unterhaltungselektronik, Rasierer, Foto und Film, Haarpflege und Medizin, Haushalt, Uhren, Feuerzeuge sowie Mundpflege.

Der Erfinderunternehmer Max Braun erzielte Anfang der 1920er Jahre seinen ersten Verkaufserfolg mit einem Riemenverbinder, einer kleinen Heftmaschine, mit der Werkstätten und Fabriken Antriebsriemen verbinden konnten. Nach 1933 verkauften sich die Volksempfänger von Braun ebenso wie Kofferradios und Radio-Plattenspieler-Kombinationen. Das erste wirkliche Massenprodukt war jedoch eine Taschenlampe mit Handaufzug, die sich in den finsteren 40er Jahren rund drei Millionen Mal verkaufte. Nach Kriegsende wurde der Elektrorasierer mit Scherblatt zum Erfolgsmodell, nicht zuletzt auch deshalb, weil Braun einen Vertrag mit der US-amerikanischen Firma Ronson abschloss, die den Rasierer auf dem US-Markt einführte.

Als Max Braun starb, übernahmen seine Söhne Erwin und Artur die Unternehmensleitung. Erwin holte den Kunsthistoriker, Maler und Regisseur Fritz Eichler 1953 als Berater und Werbefilmer ins Unternehmen. Eichler betätigte sich aber auch als Designer und wurde später erster Design-Chef des Hauses. Gemeinsam mit Artur Braun entwarf er das legendäre Tischradio »SK 1«, das in dem bei Dumont erschienenen Buch »Braun – 50 Jahre Produktinnovationen« wie folgt beschrieben wird: »Ein Radio im Taschenbuchformat, das sich in Zurückhaltung übt: durch eine einfache, geschlossene Form, die durch das Kunststoffgehäuse eingerahmt wird, und durch Verzicht auf alles nicht unbedingt Notwendige, wie etwa die sonst obligatorischen Tasten.«

Ebenfalls 1955 wurde die tragbare Radio-Phono-Kombination »combi« für Netz- und Batteriebetrieb von Wilhelm Wagenfeld entworfen. Er wählte weiche, fließende Formen und ließ bei der Gestaltung des Kunststoffgehäuses alles Unwesentliche weg. Die Gestaltung des »combi« war ein Ansatz zu einem neuen Design, der von Braun nicht weiterverfolgt wurde, obwohl er bereits wesentliche Elemente des späteren Braun-Designs zeigte. In der Rückschau markiert der »combi« dennoch einen wichtigen Baustein auf dem Weg zu einer neuen Gestaltungskonzeption. Dieser Weg führte dann dank der entscheidenden Hilfe der Ulmer Hochschule für Gestaltung zum Braun-Design.

Wilhelm Wagenfeld (1900–1990) war 1923 in die Metallwerkstatt des Bauhauses in die Klasse bei László Moholy-Nagy gekommen. Ab 1932 unterhielt er als Formgestalter Kontakte mit der Industrie, 1954 gründete er die Werkstatt Wagenfeld, und im September jenes Jahres schrieb Max Braun einen Brief an Wagenfeld, in dem er um Mitteilung bat, unter welchen Bedingungen dieser für Braun arbeiten würde.

Im Herbst 1954 begann auch die Zusammenarbeit zwischen der Max Braun OHG und der experimentell ausgerichteten Hochschule für Gestaltung in Ulm, bekannt für den dezidiert antifaschistischen Impetus ihrer Gründer und getragen von einer privaten Stiftung, die den Namen der von den Nazis hingerichteten Geschwister Hans und Sophie Scholl trug.

In kurzer Zeit wurden die entscheidenden Entwicklungsschritte, die Radio- und Phonoindustrie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchliefen, systematisch eruiert und niedergelegt. Der Ulmer Dozent für Produktdesign, Hans Gugelot, entwarf für Braun die Gehäuse des Plattenspielers »G 12«, des Fernsehgeräts »FS-G« und des Rundfunkempfängers »G 11«. Diese Geräte wurden auf der Deutschen Funkausstellung 1955 viel beachtet. Hans Gugelot gestaltete das rechtwinklige Gehäuse des »G 11« aus hellem, schlichtem Ahornholz. Die gekonnt variierten und platzierten Parallelschlitze mit gerundeten Abschlüssen für den Schallaustritt galten fortan als markantes Element des Braun-Produktdesigns. Ulmer Systemdenken: Gugelot betrachtete einen Plattenspieler, ein Rundfunk- oder Fernsehgerät nicht isoliert, sondern bezog die Geräte mit ihren Grundmaßen aufeinander. Das Fernsehgerät »FS-G«, das Rundfunkgerät »G 11« und der Plattenspieler »G 12« lassen sich als Module in horizontaler Reihung oder vertikaler Stapelung kombinieren und so zu einem harmonischen Ganzen anordnen. Dem Braun-Stand wurde bei der Düsseldorfer Funkausstellung auch deswegen große Aufmerksamkeit zuteil, weil dessen Gestaltung dem Ulmer Grafiker Otl Aicher übertragen worden war und der Stand sich von seiner Umgebung abhob: ein lichter Raum aus Stahlprofilen und Tischlerplatten. Das Rastersystem setzte Standards. Otl Aicher legte mit den von ihm und Hans G. Conrad entwickelten Ausstellungssystemen und mit seinen grafischen Systemen die Basis für die visuelle, ganzheitliche Gestaltung des Erscheinungsbildes von Braun und des Braun-Designs. In Aichers Position zur Produktgestaltung ist das zukünftige Produktdesign von Braun skizziert: »Ein Produkt ist immer ein Zeichen und zur Produktqualität gehört, dass das Produkt signalisiert, was es ist. Produktgestaltung hat neben der technischen Qualität, neben der Gebrauchsqualität auch eine Kommunikationsqualität herzustellen, nämlich das Produkt transparent, verständlich, einsichtig zu machen, was sowohl Herkunft, Fertigung, Materialien, Konstruktion und Gebrauch betrifft. Ein wirklich gutes Produkt zeigt sich so, wie es ist.«

Neben Hans Gugelot und Fritz Eichler war Dieter Rams der bedeutendste Designer bei Braun, die drei personifizierten die Verbindung zwischen Ulm und Kronberg. Rams trat 1955 in die Firma ein. Er und sein Team entwarfen Geräte, die aufs Nötigste reduziert waren – keine überflüssigen Verzierungen, weiße, schwarze und graue Gehäuse statt eklektizistisches, buntes everything goes. Und auch keine manirierten Modellnamen mehr, wie früher etwa »Edelsuper« oder »Mozart«. »SK 4« hieß die von Rams und Gugelot 1956 entworfene Kombination von Radio und Plattenspieler mit Glasdeckel, besser bekannt unter dem Namen »Schneewittchensarg«, berühmt für ihre zeitlos klare Formensprache und bis heute eine Ikone. Weitere Highlights des Designers Rams sind unter anderem der Weltempfänger »T 1000« (1963), »studio 1000«, bestehend aus dem Verstärker »CV 500« und dem Plattenspieler »PS 500« oder etwa das Kompaktgerät mit Plattenspieler »audio 308« (1973). Brian Eno komponierte 2018 den Soundtrack zu Gary Hustwits Dokumentarfilm über Dieter Rams.

Zu nennen wären noch einige ikonische Designprodukte aus dem Hause Braun, wie etwa der ideale Reisewecker »AB 312 vsl«, der 1985 von Dietrich Lubs entworfen wurde. Da lag die Übernahme von Braun durch den US-Rasierklingenfabrikanten Gillette schon nahezu zwanzig Jahre zurück. Die Braun-Produkte inspirierten die Designer von Sony und Apple. Die klare Linie dessen, was einst Braun-Design war, wird aber seit einiger Zeit leider verwässert und weicht der als zeitgemäß erachteten Gestaltung neuer Modelle, etwa der Elektrorasierer – tailliert und farbig.

Die Braun-Aficionados treffen sich zur »Braun+Design Börse 2023« am 13. Mai 2023 im Atrium des Verwaltungsgebäudes von Braun (www.braun-design-boerse.de).

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