Weberwiese in Berlin: Damoklesschwert Eigenbedarf

Mieter an der Friedrichshainer Weberwiese fürchten Verdrängung

  • Darius Ossami
  • Lesedauer: 4 Min.
Viele der Häuser wie hier in der Wedekindstraße sind unsaniert.
Viele der Häuser wie hier in der Wedekindstraße sind unsaniert.

»Na, da freuen sich die Legionellen!«, sagt Gundel Riebe trocken. Die Expertin vom Berliner Mieterverein ist zu Gast an der Friedrichshainer Weberwiese. Hier, im denkmalgeschützten Gebäudeensemble rund um die Grünberger, Gubener und Wedekindstraße, ist Anfang des Jahres eine Legionellenbelastung festgestellt worden. Inzwischen sollen etwa 130 von rund 500 Wohnungen – etwa jede vierte – von den Bakterien im Wasser betroffen sein, die grippeartigen Beschwerden bis zu schweren Lungenentzündungen auslösen können.

Für zwei Aufgänge wurde zwischenzeitlich ein behördliches Duschverbot verhängt. Was den Legionellenbefall ausgelöst hat, ist unklar. Anwohner*innen vermuten, dass die Hausverwaltung die Wassertemperatur auf 40 Grad abgesenkt habe. Zudem berichten sie, dass in ihren Häusern einige Wohnungen leer stehen und Wasserleitungen veraltet seien.

Die Legionellen sind nicht das Einzige, was den Mietern Sorgen macht. Mehrere der inzwischen privatisierten Wohnungen werden nach und nach einzeln verkauft. Vor einigen Monaten hat ein von der Hausverwaltung Residia GmbH beauftragtes Maklerunternehmen begonnen, mehreren Mieter*innen ihre Wohnung zum Kauf anzubieten oder sie mit Abfindungen zum Auszug zu motivieren. Einige Wohnungen wurden bereits verkauft, weitere werden über die Website »54 East« vermarktet. Ein Anwohner berichtet, ihm selbst sei seine Wohnung mit 57 Quadratmetern für 290 000 Euro angeboten worden.

Die wenigsten Mieter*innen könnten jedoch die finanziellen Mittel aufbringen, um von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen. Auch die Abfindungszahlungen würden wenig helfen, betrachte man die schwindenden Chancen, heutzutage überhaupt vergleichbaren Wohnraum in Berlin zu finden, heißt es von der Initiative »Weberwiese – Milieu sind wir«. In dieser haben sich mehrere Bewohner*innen zusammengeschlossen.

Das weiß man auch im Bezirk, wo man auf eine Übernahme des Blocks durch ein landeseigenes Wohnungsunternehmen hofft. Laut einem Bericht der »Berliner Zeitung« hat sich die Hausverwaltung nun offen für einen Verkauf der Blöcke gezeigt. Dass Residia Gesprächsbereitschaft bekundet, sei ein »gutes Zeichen«, so eine Vertreterin der Mieter*inneninitiative. Sie ist Teil einer im Februar mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg einberufenen Kommission, die nach Wegen sucht, um alle Mieter*innen vor Verdrängung durch Eigenbedarfskündigung und Entmietung zu schützen. Die Kommission will demnächst ihre Ergebnisse vorstellen und das Gespräch mit Hausverwaltung suchen.

Das denkmalgeschützte Gebäudeensemble in Friedrichshain war 1954 im Architekturstil der »nationalen Tradition« erbaut worden. Nach der Wiedervereinigung gehörte es zunächst der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain. 1998 wurde ein Großteil, 35 Aufgänge mit rund 500 Wohnungen, privatisiert und 2006 an den dänischen Investor Tækker verkauft. Seit 2012 wurden die Häuser nach und nach von Miet- in Eigentumswohnungen umgewandelt, für die der erst 2016 in Kraft getretene Milieuschutz zu spät kam. Im Jahr 2017 gingen die Häuser dann in Form eines Share-Deals an die Firma White Tulip GmbH über, die wiederum dem Investmentfonds Round Hill Capital gehört.

Zwar seien inzwischen bei der Hälfte der Häuser Fassaden, Ornamente, Treppenhäuser und Gartenanlagen denkmalgerecht instand gesetzt worden, schreibt die Initiative. Dass Elektrik und Bäder oft nicht renoviert seien und einige Wohnungen stehen leer stünden, könnte durchaus Absicht sein, denn »eine leere Wohnung verkauft sich besser als eine bewohnte«, meint Gundel Riebe vom Berliner Mieterverein.

Jene Mieter*innen, die schon vor der Umwandlung in Eigentumswohnungen 2012 dort gewohnt haben, hätten ein Vorkaufsrecht, für sie gelte ein zehnjähriger Kündigungsschutz, erklärt Riebe. Aber »für die, die später eingezogen sind, gilt das nicht«, warnt sie. Dennoch solle man sich nicht unter Druck setzen lassen: Erst wenn es bereits einen Kaufvertrag mit Dritten gebe, müsse sich der Mieter entscheiden. »Wichtig ist, dass Sie sich nicht einschüchtern lassen«, redet sie den Anwesenden zu.

»Wir wollen, dass das Land Berlin den Block insgesamt kauft«, so Damiano Valgolio (Linke), der seinen Abgeordnetenhaus-Wahlkreis hier hat. Entweder kann das klappen, wenn der Eigentümer tatsächlich im Ganzen verkauft. Auch sei vorstellbar, dass die Mieter*innen ihr individuelles Vorkaufsrecht mithilfe eines Kredits der Investitionsbank Berlin nutzen und die Wohnung anschließend an ein landeseigenes Wohnungsunternehmen verkaufen. »Gestreckter Erwerb« nennt sich das. Für beides ist aber Geld und der politische Wille auf Landesebene nötig.

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