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VC Bitterfeld-Wolfen wagt Aufstieg in 1. Volleyball-Bundesliga

Gebeutelte Liga bekommt neuen Unterbau durch mutige Zweitligisten

  • Ullrich Kroemer, Bitterfeld
  • Lesedauer: 6 Min.
Schon im Herbst soll in der Bernsteinhalle in Friedersdorf ertsmals in der 1. Bundesliga aufgeschlagen werden.
Schon im Herbst soll in der Bernsteinhalle in Friedersdorf ertsmals in der 1. Bundesliga aufgeschlagen werden.

Die Bernsteinhalle in Friedersdorf liegt ein wenig versteckt oberhalb eines Wohngebietes. Wer noch nie da war und die Gegend kennt, den kann die Handy-Navigation schon mal in die Irre führen. Die Umgebung des beschaulichen, knapp 2000 Einwohner zählenden Örtchens zwischen Muldestausee und Goitzsche im Südosten Sachsen-Anhalts ist ein renaturiertes Naherholungsgebiet. Einst wurde hier fünf Kilometer vor den Toren der Industriestadt Bitterfeld-Wolfen Braunkohle abgebaut und in den 1970er Jahren der Bitterfelder Bernstein entdeckt, die zweitgrößte Bernstein-Lagerstätte der Welt. Aus diesem Grund gibt es hier eine Bernstein-Apotheke, eine Bernstein-Schule und eben auch eine Bernsteinhalle, in der in der kommenden Saison nicht nur der Name funkelt.

Der VC Bitterfeld-Wolfen hat sich auf der seiner Vorstandssitzung am Mittwochabend dieser Woche dazu entschieden, künftig in der 1. Volleyball-Bundesliga ans Netz zu gehen. Das bestätigte Vereinspräsident Michael Eisel dem »nd«. Mangels Alternativen in der Region ist die eigentlich für Schul- und Freizeitsport sowie für Veranstaltungen gebaute Bernsteinhalle die Spielstätte. Wenn nun noch der Ligaverband VBL der Lizenzierung zustimmt, wovon auszugehen ist, dann fahren in der kommenden Saison die Teambusse der Branchenführer aus Berlin und Friedrichshafen in Friedersdorf vor. »Eine große Mehrzweckhalle gibt es bei uns im Landkreis nicht. Aber die Option, nach Halle, Leipzig oder Dessau auszuweichen, kommt für uns nicht infrage. Dann würden wir das Projekt 1. Liga nicht machen«, betont Eisel.

Der ehrenamtliche Manager zeigt beim Rundgang auf dem Hallengelände auf einen Lkw-Auflieger, in dessen Inneren eine 24 Meter lange, mobile Tribüne lagert. Ein »Wahnsinnsaufwand« sei das, sagt er, die bei jedem Heimspiel aufzubauen, weil es in der Halle gar keine festen Zuschauerplätze gibt. Genauso den mobilen Hallenboden, den die Bitterfelder gebraucht aus dem bayerischen Herrsching gemietet haben, jedes Mal aufs Neue zu verlegen und abzubauen. Zehn Helfer sind allein dafür pro Heimspiel im Einsatz. Mehr als maximal 400 Zuschauer passen dennoch nicht hinein.

In den vergangenen Monaten haben Klub-Urgestein Eisel und seine Mitstreiter alles dafür getan, um die Chance auf den Aufstieg zu nutzen. Um 200 000 Euro auf dann 460 000 Euro wollen sie den Etat steigern. Drei Viertel dieses Betrages, sagt Eisel, sei bereits sicher. Um das restliche Viertel ringt er noch in Gesprächen mit Unternehmen der Region. Bereits am Donnerstagvormittag nach der Entscheidung hatte er weitere Treffen mit potenziellen Sponsoren. »Wir hoffen, durch dieses Signal weitere Türen zu öffnen und die Lücke zu schließen«, sagt er.

An finanzstarken Firmen mangelt es nicht in der Umgebung. »Der Chemiepark bietet ein unglaubliches, wirtschaftliches Potenzial, aber die Unternehmen werden in Westdeutschland gesteuert oder sind Weltkonzerne, haben keinen Bezug zur Region und kein Interesse an einem großen Sponsoring«, erklärt Eisel. »Diese harte Nuss müssen wir irgendwann knacken.« Die Geschäftsführung des Chemieparks hat Eisel schon im Boot; eines Tages sollen die großen Firmen nachziehen, um den Etat peu á peu weiter in Richtung der Millionengrenze zu steigern. »Wir müssen daran arbeiten, dass erkannt wird, dass man in der Region nicht nur Arbeitskraft einkauft, sondern auch das Leben vor Ort gestaltet und den Beschäftigten etwas zurückgibt«, betont Eisel.

Der 62-Jährige spielte einst selbst jahrelang in der zweitklassigen DDR-Liga bei Einheit Bitterfeld. Später wurde er Spielertrainer und begann im Jahr 2001 in der 6. Liga damit, auch organisatorisch Aufbauarbeit zu leisten, als er bei den ersten Sponsoren Fahrgelder auftrieb. »Ich will den Verein so entwickeln, dass ich als Rentner in die Halle gehen und qualitativ hohen Volleyball gucken kann«, sagte Eisel damals zu seinen Vereinskollegen. »Die 2. Liga war das ursprüngliche Ziel.« Bis 2012 schaffte der Klub den Durchmarsch von der Oberliga genau dorthin und hat sich seither in elf Jahren an der Zweitliga-Spitze etabliert.

Nun entwickelten Eisel, der Vertriebsleiter einer Deponie war und in Altersteilzeit ist, sowie die Führungscrew des Vereins einen neuen Traum: »Ein Erstligist in der Region wäre das Flaggschiff«, sagt er. Bitterfeld-Wolfen für Bundesliga-Volleyball bekannt zu machen, ist die Vision der Organisatoren. »Das ist gerade eine einmalige Chance für unsere relativ kleine Stadt, die Vision wahr werden zu lassen.«

Und die Gelegenheit ist günstig wie nie: Die ausgedünnte Männer-Bundesliga sucht aktuell händeringend nach neuen Mitgliedern und hat dafür die hohen Kriterien des Liga-Masterplans ausgesetzt. Platzierungen in der Tabelle sind dabei nur zweitrangig; der VC BiWo etwa ist nur Dritter in der 2. Liga Nord. Auch die Süd-Zweitligisten Dachau, Karlsruhe und Freiburg wollen den Schritt wagen und damit einen neuen Unterbau in der Bundesliga bilden.

Zwar sind die Bedingungen an den neuen Standorten aktuell eher zweitligatauglich. Doch die Überzeugung der Macher in Verein und Verband ist es, dass die Klubs leichter auf Erstliga-Niveau kommen, wenn sie im Oberhaus und nicht in den unscheinbaren zweiten Ligen spielen. Die von Insolvenzen gebeutelte Bundesliga garantiert sogar den Nichtabstieg, hilft mit Know-how bei der Vereinsentwicklung und steuert je 15 000 Euro für eine neue Stelle im Marketing bei. »Der Verein hat sich in den vergangenen Jahren einen Namen als gute Adresse für ambitionierte, junge Spieler erarbeitet«, sagt Julia Retzlaff, Geschäftsführerin Sport bei der VBL, über den Standort Bitterfeld. »Es würde der Männer-Bundesliga gut zu Gesicht stehen, wenn wir dort einen neuen Leuchtturm hätten, der Volleyball in der Region noch präsenter macht.«

Doch für einen kleinen Verein wie den in Bitterfeld ist das mit immensem Aufwand verbunden. »Das ist so ähnlich wie bei einem Olympiasieger, der erst sehr viel später realisiert, was er vollbracht hat«, sagt Eisel am Morgen nach dem Vorstandsbeschluss. »Momentan ist die Freude noch überschaubar, weil ein Riesenberg Arbeit vor einem liegt. Es wird spannend.« Eisel und Co müssen nicht nur weitere Geldgeber finden, sondern auch einen neuen Trainer mit Erstliga-Erfahrung anheuern, weil der bisherige Coach Danilo Mirosavljevic den Klub verlässt.

Zudem bedarf es neuer Spieler, die das Niveau in dem jungen Team vorgeben. Talente ins Niemandsland zwischen Berlin und Leipzig zu locken, ist nicht gerade einfach. »Wir sind keine Universitätsstadt, keine Kulturstadt und erst recht keine Großstadt«, betont Eisel. Aber Bitterfeld könnte sich als gute Station für aufstrebende Spieler im ersten Profijahr einen Namen machen, sich auf hohem Niveau zu beweisen. So wie bei Mittelblocker Eric Christopher Visgits, der aus Pittsburgh in den USA nach Bitterfeld kam und am liebsten bleiben würde. Wichtiger jedoch als Jungprofis aus dem Ausland ist die Perspektive für den Bitterfelder Nachwuchs, der von der Strahlkraft der Bundesliga sportlich und finanziell eines Tages so profitieren soll wie die Gemeinde Friedersdorf vom Bernstein.

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