Reise zum Mittelpunkt der Erdwärme

Brandenburgs Landtag beschließt Förderung der Geothermie, knausert aber bei den Fördermitteln

Jules Vernes berühmter Roman »Die Reise zum Mittelpunkt der Erde« von 1864 ist reine Fantasie. Real sind die Pläne der Stadtwerke Potsdam zur Nutzung der Erdwärme. Seit Mitte Dezember wird dort bis in eine Tiefe von 2000 Metern gebohrt. Denn 700 bis 750 Wohnungen sollen an der Heinrich-Mann-Allee, Ecke Kolonie Daheim gebaut werden – und die will man kostengünstig und klimaneutral mit Erdwärme heizen. Am Montag hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz mit Oberbürgermeister Mike Schubert (beide SPD) an Ort und Stelle über die Probebohrungen informiert, die in einigen Wochen abgeschlossen sein sollen.

Das Grundprinzip ist eigentlich simpel. Eine Faustregel besagt: Ab 50 Metern unter der Erdoberfläche steigt die Temperatur alle 100 Meter um ein Grad Celsius. 5000 Kilometer tief herrschen 5000 Grad Celsius. Aber schon nach zwei Kilometern ist eine Temperatur erreicht, die sich fürs Heizen lohnt. Man muss nur Wasser einleiten, damit es sich erhitzt, und dann wieder hochpumpen. Im Detail ist es natürlich komplizierter. Es braucht poröses, heißes Gestein, und andere Voraussetzungen müssen auch erfüllt sein. Eine Schwierigkeit besteht darin, eine geeignete Stelle zu finden. Denn selbst nach dem positiven Ergebnis einer Vorerkundung kann sich noch herausstellen, dass vergeblich gebohrt wurde.

»Man braucht eine Menge Informationen zum Untergrund. Das kostet Zeit und Geld«, weiß der Landtagsabgeordnete Helmut Barthel (SPD). Seine Fraktion beantragt und beschließt am Freitag gemeinsam mit den Koalitionspartnern CDU und Grüne, die Wärmewende in Brandenburg durch Geothermie voranzubringen. Es sollen Erkenntnisse eines Wärmekatasters genutzt werden, an dem schon gearbeitet wird. Finanzielle Unterstützung verheißt der Beschluss für vorbereitende Maßnahmen wie Machbarkeitsstudien und seismische Untersuchungen, allerdings nur »im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel«.

Genau da liegt für Linksfraktionschef Sebastian Walter das Problem. »Wieder einmal«, so betont er am Freitag, werde eine wichtige Sache unter Haushaltsvorbehalt gestellt. Denn Walter schaute extra noch einmal nach, wie viel Geld denn im Landeshaushalt für die Geothermie eingeplant ist: Es seien gerade einmal läppische 2,9 Millionen Euro. Elf Millionen Euro zusätzlich biete zwar ein Entlastungspaket für die Geothermie plus 7,5 Millionen allgemein für die Wärmewende. Aber das Geld müsste sehr fix beantragt werden. Doch der Planungsvorlauf für ein Erdwärmeprojekt betrage vier Jahre. Die vorgesehenen Mittel seien hier sprichwörtlich und auch im Wortsinn ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn allein für ein einzelnes Projekt werden Walter zufolge 25 Millionen Euro aufgewendet, davon zehn Millionen Fördermittel des Bundes. Immerhin freut sich Walter, dass dem Wirtschaftsausschuss des Landtags bis zum zweiten Quartal 2024 über die bis dahin erzielten Fortschritte berichtet werden soll. Es sei ein »kleiner Schritt«, bedauert Walter. Aber die Richtung stimme. Darum stimmt die Linksfraktion dem Antrag zu.

Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) zufolge ist Geothermie noch ein exotisches Thema. Doch er ist überzeugt, dass es so kommen werde wie bei der Wasserstofftechnologie. Als er 2018 dem Bund damit gekommen sei, habe man ihn nicht ernst genommen. Nun sei diese Technologie auf dem Vormarsch. Man werde sich später nur wundern, warum es so lange gedauert habe. Im Jahr 2030 werde die Geothermie Normalität sein. Der Obstgroßhändler Werder Frucht in Groß Kreuz, der Flughafen BER in Schönefeld und die Therme in Bad Belzig seien schon interessiert, die Erdwärme zu nutzen.

Der Abgeordnete Philip Zeschmann (Freie Wähler) hat an sich nichts gegen die Geothermie einzuwenden – wie eigentlich niemand in der Debatte am Freitagmorgen. Aber Zeschmann benennt zwei Risiken. Da sei einmal das Risiko, dass sich kleine Stadtwerke finanziell übernähmen. Sie bräuchten vom Staat mindestens Bürgschaften. Und da sei die Gefahr, dass die Erdwärmeanlagen zu Erdbeben führten, wie in Korea, der Schweiz und Frankreich geschehen.

Solche Beben, die Schäden an Häusern verursachen, fürchtet auch der Abgeordnete Peter Drenske (AfD). Er rechnet mit Widerstand der Bevölkerung und prophezeit einen »Sturm der Entrüstung«. Außerdem: acht bis 13 Millionen Euro koste eine Bohrung. Ohne Fördermittel sei es nicht wirtschaftlich und eine »Verschwendung von Steuergeld«. Die AfD sei »technologieoffen«, aber die Geothermie solle nur dort zur Anwendung kommen, wo es sinnvoll sei. Für Großprojekte sei sie nicht geeignet, behauptet Drenske. Später versteigt er sich zu Formulierungen wie »von Ideologie getrieben«, »der blanke Irrsinn« und »nicht bezahlbar«.

Da kann der SPD-Abgeordnete Barthel nur schmunzeln. Von Ideologie getrieben sei die AfD, die an überholten Technologien festhalte. Linksfraktionschef Walter spottet, die AfD-Abgeordneten würden »am liebsten nackt mit Brennstäben durchs Plenum laufen« und spielt damit auf deren Vorliebe für die hochriskante Atomkraft an. Da von Risiken der Erdwärme zu sprechen, sei lächerlich. Der Abgeordnete Clemens Rostock (Grüne) sieht ein riesiges Potenzial für Erdwärme in Brandenburg, wenn auch nicht so viel wie in Island mit seinen heißen Quellen, den Geysiren, aus denen Wasserfontänen hervorschießen. Deutschland habe sich vorgenommen, 2030 zehn Terrawattstunden Energie aus Erdwärme zu gewinnen, erklärt Rostock. Das seien zehnmal mehr als derzeit. Dazu müssten 100 zusätzliche Projekte angeschoben werden. Mehr als 20 000 Erdwärmepumpen gibt es schon in Brandenburg. Sie sind meist klein und reichen für die Versorgung eines Einfamilienhauses.

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