»Gegen die Profis kann man wenig machen«

Wissenschaftliches Ghostwriting ist an den Universitäten zwar geächtet, aber weit verbreitet

  • Andreas Boueke
  • Lesedauer: 9 Min.
Sich die akademischen Arbeiten für die Hochschule schreiben zu lassen, ist zwar teuer. Aber die Nachfrage ist da.
Sich die akademischen Arbeiten für die Hochschule schreiben zu lassen, ist zwar teuer. Aber die Nachfrage ist da.

Manchmal findet er kein treffendes Wort. Dann lacht er verlegen. Offensichtlich fällt ihm das telefonische Interview schwer. Seinen Namen möchte er lieber nicht nennen: »Also, ich weiß ja, dass es für mich nicht illegal ist, was ich mache. Aber für die Kunden ist es nicht legal. Und insofern bleiben wir lieber bei anonym.«

Nennen wir ihn Karl Klug, denn klug muss man sein, um als akademischer Ghostwriter arbeiten zu können. Aber ist es auch ethisch vertretbar, Menschen zu helfen, die bereit sind, für das Erstellen einer wissenschaftlichen Arbeit Geld zu zahlen, auch wenn man davon ausgehen kann, dass sie die Texte zum Betrug nutzen werden? Karl Klug räuspert sich. Er versucht, sich zu rechtfertigen. Aber dann gibt er doch zu: »Eigentlich hilfst du beim Schummeln. Klar, ja, sicher.«

Schummeln, das klingt wie das Verhalten eines kleinen Kindes, das sich beim Memory-Spiel nicht an die Regeln hält. Der Religionssoziologe Leif Seibert bevorzugt das Wort Betrug: »Ich würde es nicht als Kavaliersdelikt abtun. Ich halte es schlicht für akademischen Betrug.«

Der erfahrene Universitätsdozent betreut jedes Semester Dutzende Hausarbeiten, Bachelor- und Masterarbeiten. Seiner Meinung nach ist es unerlässlich, dass sich Studierende beim Erstellen dieser Texte an bestimmte Regeln halten. »Aber natürlich gibt es genügend Leute, die versuchen, mit geringstmöglichem Aufwand, oder mit finanziellem statt kulturellem Aufwand, durch die Nummer durchzukommen.«

Der stämmige Mann mit blondem Bart und kleiner Brille ist mit Leidenschaft Wissenschaftler – eine Haltung, die nicht alle Menschen an der Universität teilen. »Ich treffe immer wieder auf eine karrieristische Einstellung, die in der universitären Ausbildung ein notwendiges Übel auf dem Weg zum Geldverdienen sieht. Diese Leute gehen von der Annahme aus, dass die Spielregeln der Universität so praxisfern sind, dass man da nicht so genau hinhören muss.«

In den Mensen der Universitäten jedenfalls sprechen einige Studierende recht unbekümmert über das Thema. Lara, Studentin der Sozialwissenschaften, beschreibt ihre Erfahrungen so: »Ich habe sehr viele Hausarbeiten geschrieben, die schlichtweg unnötig waren. Für meinen Beruf später bringen die mir nichts. Dann finde ich es legitim, wenn ich da nicht viel Aufwand aufbringe, aber trotzdem eine gute Note haben möchte.«

Viele Studierende kennen Personen, die bereit und fähig sind, ihnen für Geld das Schreiben einer Hausarbeit abzunehmen. »Das kostet dich mehrere Tausend Euro, dann schreibt der dir deine Bachelorarbeit«, sagt der BWLer Finn. »Da gibt es diesen einen Typen, der schreibt solche Texte.«

Tatsächlich gibt es nicht nur einen solchen Typen. Im deutschsprachigen Raum verdienen viele Menschen Geld mit dem Anfertigen wissenschaftlicher Arbeiten für andere. »Wenn jemand das in Anspruch nimmt, ist das sein Ding«, meint die Medizinstudentin Pia. »Mich regt das nicht auf. Aber: Cool finde ich es nicht.«

Der Religionssoziologe Leif Seibert ist weniger nachsichtig: »Ich bin immer etwas entrüstet, weil es tatsächlich die ganze Logik des wissenschaftlichen Arbeitens infrage stellt. Die Universität ist ja kein obligatorischer Umweg zum Arbeitsmarkt. Wissenschaftliches Arbeiten ist mit einem bestimmten Ethos verbunden. Die Regeln haben einen Sinn. Und wenn so eklatant dagegen verstoßen wird, dann frage ich mich schon: Was wollen die Leute hier eigentlich?«

Glaubwürdigkeit und Transparenz sind Voraussetzungen für gute Wissenschaft. Betrug erschüttert das Vertrauen. Aber auch Ghostwriter bemühen sich um einen Anschein der Vertrauenswürdigkeit. In fast jeder Universität finden sich Flugblätter, auf denen jemand dafür wirbt, dass seine Texte einer Prüfung durch gängige Plagiatssoftware standhalten. Leif Seibert empört sich: »Ich finde es besonders dreist, dass solche Aushänge sogar an den Schwarzen Brettern hängen. Da werden Leistungen wie Korrekturhilfe, Copyediting oder ähnliches angepriesen. Das Wort Ghostwriter wird vermieden, aber dahinter verbergen sich Agenturen für akademisches Ghostwriting.«

Die wenigsten Ghostwriter sind Einzelkämpfer. Die meisten kooperieren mit Agenturen, die sich unverhohlen ins Licht der Öffentlichkeit stellen. Sie betreiben Marketing, pflegen Internetauftritte, bieten kostenlose 0800-Nummern zur Kontaktaufnahme an und lassen sich per PayPal bezahlen. Daraus ergibt sich eine stabile Einkommensquelle für Menschen wie Karl Klug: »Ich habe eine Anzeige gesehen und da mal nachgefragt. Es gibt eine ganze Menge solcher Agenturen.« Er hat damit angefangen und macht den Job jetzt seit fünfzehn Jahren.

Juristische Probleme brauchen clevere akademische Ghostwriter in Deutschland nicht zu fürchten. Das sollte sich ändern, meint der Rechtswissenschaftler Thomas Hoeren, der lange als Richter für Urheberrecht an einem Oberlandesgericht gearbeitet hat. »Diese schwarzen Schafe werden von der gesamten Wissenschaftsgemeinde als total unmoralisch abgelehnt. Aber man kann wenig gegen sie machen.«

Thomas Hoeren ist seit 1997 Universitätsprofessor für Medienrecht. »In der Geschichte der Wissenschaftskultur hat es schon immer solche Fälle gegeben, schon im Mittelalter. Aus dieser Zeit kommt der Begriff plagiarius. Als Hochschullehrer müssen wir gegen Plagiate kämpfen, auch wenn es ein Kampf gegen Windmühlen ist.«

Bei dem Begriff »Plagiate« wird der akademische Ghostwriter Karl Klug hellhörig. Damit habe er nichts zu tun, versichert er: »Es kommt öfter vor, dass die Leute mich mit Plagiaten und solchen Dingen in einen Topf werfen. Aber so was mache ich nun gerade nicht. Ich zitiere nicht falsch oder kopiere anderer Leute Texte. Meine Arbeit ist wissenschaftlich völlig korrekt.«

Offenbar pflegen auch akademische Ghostwriter ein professionelles Ethos, obwohl sie wissen, dass ihre Arbeit häufig auf Betrug hinausläuft. »Auf die Kunden mag das zutreffen, aber nicht auf mich«, versichert Karl Klug. »Ich finde schon, dass das ein Unterschied ist. Da wehre ich mich dann doch dagegen, wenn solche Unterstellung kommen.«

Die akademischen Ghostwriter selbst werden nahezu nie belangt. Aber für die Nutzerinnen und Nutzer ihrer Texte ist die Rechtslage eindeutig, betont Professor Hoeren: »Wir schreiben in jede Prüfungsordnung rein, dass alle Sachen selbst geschrieben werden müssen. Man muss alles offen legen und darf sich nicht von Diensten Dritter beeinflussen lassen. Bei jeder Studienarbeit unterschreibt man, dass die Arbeit eigenständig erstellt wurde. Manchmal gibt es sogar die Aufforderung, das unter Eid zu tun. Damit ist das sofort strafrechtlich relevant. Manche Promotionsordnungen kennen da kein Pardon. Die Hochschullehrer weisen die Studierenden so deutlich wie möglich darauf hin: ›Da droht euch was.‹«

Trotz solcher Abschreckungsmaßnahmen ist akademisches Ghostwriting heute die wichtigste Einkommensquelle für Karl Klug. »Im Moment bestreite ich damit meinen Lebensunterhalt. Das hat Vorrang für mich. Die moralische Frage ist mir natürlich bewusst. Ganz gelegentlich denke ich auch darüber nach. Es ist ja nicht so, als ob mir das völlig egal wäre.«

Manchmal verdient Karl Klug in einem Monat mehr Geld als einer der vielen wissenschaftlichen Mitarbeiter, die sich an deutschen Universitäten von einem Honorarvertrag zum nächsten hangeln. Dieser Weg führt häufig in eine Sackgasse. Dann stehen junge Leute plötzlich mit viel Wissen, aber ohne Zukunftsperspektive da. Professor Hoeren spricht von einem wissenschaftlichen Prekariat: »Wenn jemand Spaß am Schreiben hat, aber aus irgendwelchen Gründen keine Professur oder andere Festanstellung an einer Universität bekommt, dann ist es eine nachvollziehbare Entscheidung, für andere Menschen zu schreiben und ihnen so zu helfen, ihre Titel zu bekommen. Verstehen kann ich das schon, aber ich muss es auch zutiefst verurteilen.«

Keine erfolgreiche Ghostwriting-Agentur würde offen anbieten, dass sie abgabefertige Abschlussarbeiten erstellt. Das weiß auch Professor Hoeren: »Gegen die Profis kann man wenig machen. Die stellen es so dar, als würden sie nur Orientierungshilfen geben. Deshalb verlaufen Verfahren gegen solche Leute regelmäßig im Sand.«

Deutsche Gerichte beurteilen die Tätigkeit der akademischen Ghostwriter als »einen Verstoß gegen die guten Sitten«, aber nicht als rechtswidriges Verhalten. Im Jahr 2015 gab es mal einen Versuch, Wissenschaftsbetrug als neuen Strafbestand einzuführen. Das hat nicht funktioniert. Seither wächst der Wirtschaftszweig unbehelligt weiter. Professor Hoeren ärgert sich über Studierende, die sich einfach keine Mühe geben. Aber in manchen Fällen hat er auch Mitleid mit den Betrügenden. »Dann geht es meist um Studienstress. Massiver Leistungsdruck. Oft sind die Eltern ein wichtiger Faktor, gerade beim Ghostwriting. Jemand muss ja die Tausende von Euro zahlen.«

Der Jurist Thomas Hoeren wünscht sich, dass mehr Betrugsvergehen geahndet werden. Der Professor macht ein vorwurfsvolles Gesicht, hebt die Augenbrauen und seine rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger. »Wenn du nur einmal erwischt wirst, dann wird dir gesagt: ›Das machst du aber nicht nochmal.‹«

Eine solche Mahnung ändert wenig. »Beim nächsten Mal wird die Note nicht vergeben. Und eine dritte Stufe: Die ganz kriminellen statten sich mit guten Anwälten aus, und zwar unter Einbezug der Ghostwriter selber. Das ist Teil der Serviceleistung. Die Agentur besorgt juristische Unterstützung, und letztendlich gewinnt immer der Student.«

Gegen solche Dreistigkeit vorzugehen, ist für eine Universität sehr aufwendig, ärgert sich Professor Hoeren: »Die Hochschulverwaltung sollte mal Ultima Ratio machen, wirklich massiv vorgehen. Aber das stößt an die Grenzen des Verwaltungsrechts. Man muss eigene Anwälte bezahlen, die gegen die guten Anwälte auf der Gegenseite vorgehen. Das scheut eine Hochschulverwaltung. Die ganz abgefuckten Betrüger sind eben Profis und die kämpfen mit allen Wassern.«

Schriftliche Hausarbeiten sind seit Jahrhunderten Teil der akademischen Kultur. Bislang war die finanzielle Hürde des Ghostwritings für die meisten Studierenden so hoch, dass sich nur wenige diese Form des Betrugs leisten konnten. Doch das ändert sich gerade, meint der Religionssoziologe Leif Seibert. Er rechnet damit, dass Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz die Bewertbarkeit von Hausarbeiten schon jetzt grundsätzlich infrage stellen. »Wenn die Texte per Knopfdruck abrufbar sein werden, ohne dass das irgendetwas kostet, dann ist die Prüfungsmethode der schriftlichen Hausarbeiten und Abschlussarbeiten grundsätzlich in Gefahr. Dann braucht es entweder ergänzend oder stattdessen andere Prüfungsmodalitäten.«

Programme der Künstlichen Intelligenz wie ChatGPT könnten auch für das Geschäftsmodell der Ghostwriter zu einem Problem werden, meint Professor Hoeren: »In den nächsten Jahren wird es eine spannende Konkurrenzsituation geben zwischen Ghostwriting-Büros und ChatGPT

In seinem Fachbereich der Jurisprudenz geht er noch davon aus, dass Programme Künstlicher Intelligenz nicht so weit sind, kreative Lösungen für konkrete Fälle zu finden: »Da scheitert es. Und darin liegt die Chance für unsere Freunde aus der Ghostrwiting-Szene. Sie können jetzt werben: ›Wir sind besser als ChatGPT.‹«

Unterdessen wird der Ghostwriter Karl Klug immer wortkarger. Irgendwann fragt er sich, ob es eine gute Idee war, so ausführlich über seine Erfahrungen in der Ghostwriter-Branche zu sprechen: »Ich habe die Zusage aus einem Bauchgefühl heraus gegeben, weil ich dachte: ›Och, der Andreas ist ein netter Typ. Dem kannst du so was wohl erzählen.‹ Aber ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, was so ein Gespräch für mich selbst bedeutet.«

Karl Klug seufzt. Dann lacht er wieder verlegen. Am Ende des Interviews fühlt er sich mies: »Na ja, ordentlich durch die Mangel gedreht.«

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