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Meritokratie war nie
Larissa Kunert über Künstliche Intelligenz im akademischen Betrieb
Die Diskussion über den Einsatz Künstlicher Intelligenz in Bildung- und Forschungsseinrichtungen geht weiter. Was tun, wenn das Programm ChatGPT in wenigen Sekunden passable Hausarbeiten ausspuckt und Prüfungen an Eliteuniversitäten mit guten Noten besteht? Die Software sorgt derzeit bei vielen Studierenden für Entlastung: Statt selbst zu denken, genügt es, sie mit ein paar Stichworten zu füttern, um das Semester erfolgreich abzuschließen. Eine Umfrage unter US-amerikanischen College-Studierenden ergab kürzlich, dass ein Drittel von ihnen schon auf ChatGPT zurückgegriffen hatte, um schriftliche Arbeiten zu erstellen. Ein Anteil von 60 Prozent aus dieser Gruppe gab an, das Programm bei mehr als der Hälfte der zu erledigenden Aufgabenstellungen genutzt zu haben.
Nun das Ende der Bildung zu befürchten, wäre indessen lächerlich: Über Jahre hinweg haben uns die Giffeys, Koppetschs und Guttenbergs vorgeführt, dass Schummeln im akademischen Betrieb selbst auf höchster Ebene keine Ausnahme, sondern Usus ist. Plagiieren konnte man auch schon früher – zum Beispiel, indem man aus Büchern abschrieb oder sich mit Hilfe von Google Textbausteine zusammensuchte –, wenngleich es etwas aufwändiger gewesen sein mag. Und wer reich genug war, konnte sich einen Ghostwriter leisten. Dass Studierende gemäß ihrer Denk- und Arbeitsleistung, das heißt meritokratisch, beurteilt würden, war schon immer eher eine Mär. Vielleicht sorgen Programme wie ChatGPT also sogar für einen faireren Wettbewerb: Wie man plagiiert, sollte nun wirklich jedem bekannt sein, die Mittel dazu stehen kostenlos zur Verfügung. Auf der anderen Seite wird es für diejenigen, die ein echtes Interesse daran haben, nach wie vor leicht sein, kritisches Denken auch bei anderen zu erkennen. Dumm allerdings, dass Skepsis nur selten der Karriere hilft.
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