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BER in Schönefeld: Freiheit der Flüchtlinge endet am Flughafen

Zeltlager gegen ein geplantes Abschiebedrehkreuz am Airport BER in Schönefeld

Als Jugendlicher ist Omar Bah nach Europa geflohen und über Italien nach Deutschland gelangt. Die instabilen politischen Verhältnisse in seiner afrikanischen Heimat Gambia haben ihn dazu veranlasst. Er wollte in Freiheit leben. 2016 beantragte Omar Bah Asyl und stellte schnell fest, wie Flüchtlinge in der Bundesrepublik leben. Mehrere einander fremde Menschen aus verschiedenen Staaten mussten sich im Asylheim ein Zimmer teilen. Sie schliefen in Doppelstockbetten. Endlich fand der heute 24-Jährige einen Ausbildungsplatz als Maschinen- und Anlagenfahrer. Doch sein Rechtsanwalt erklärte ihm, dass er keine Chance habe, in Deutschland zu bleiben. Denn Gambia sei als sicher eingestuft. Bah könne noch seine Ausbildung beenden und dann müsse er seine Sachen packen und gehen.

Er sei bisher kein Aktivist gewesen, erzählt der 24-Jährige. »Mein Engagement startet mit diesem Camp hier.« Es ist ein Protestcamp gegen Abschiebungen, das noch bis zum Dienstag läuft. Seit Donnerstag stehen immer mehr Zelte auf einer weitläufigen Wiese am Kiekebuscher See. Das Gewässer ist von hier aus nicht zu sehen, aber am Himmel immer wieder Flugzeuge, die den nahen Hauptstadtflughafen BER in Schönefeld ansteuern. Sie gehen tief herunter und setzen hinter dem Maschendrahtzaun des Airports auf der Landebahn auf. Ein für die Luftfahrt begeisterter älterer Herr stellt an dem Maschendrahtzaun zwei Klappstühle auf und beobachtet die Flugzeuge. In der Ferne sind Passagiermaschinen zu erkennen, die abheben. Die Richtung hängt vom Wetter ab. Gestartet wird immer gegen den Wind.

Für Geflüchtete sind solche technischen Details aber uninteressant. Sie bewegt, ob sie in Europa eine Perspektive bekommen oder mit so einem Flugzeug weggeschafft werden, als wären sie keine menschlichen Wesen. In Schönefeld soll in den nächsten Jahren ein privater Investor ein Behördenzentrum für den Bund und das Land Brandenburg bauen. Hier sollen ankommende Flüchtlinge im Schnellverfahren abgefertigt und Rückführungen abgewickelt werden. »Abschiebedrehkreuz« – so und nicht anders bezeichnet die Landtagsabgeordnete Andrea Johlige (Linke) das Vorhaben. Der Investor würde 155 Millionen Euro einsetzen und dann über 30 Jahre hinweg 470 Millionen Euro Kaltmiete vom Staat kassieren, Preissteigerungen noch nicht eingerechnet, sagt sie. Die unmenschliche Asylpraxis wäre also auch noch ein gutes Geschäft.

Gegen das Abschiebezentrum und gegen die Asylpraxis richtet sich das Camp am See. Bis zum 6. Juni werden dazu rund 500 Menschen erwartet – Flüchtlinge und Unterstützer ihrer Anliegen. Seit 1. Juni ist auch Zongo Seydou vor Ort. In Burkina Faso habe er sich politisch engagiert und sei deswegen verfolgt worden, berichtet der 37-Jährige. 2013 nach Deutschland gekommen, sei er zunächst in Bitterfeld in Sachsen-Anhalt gewesen. »Es ist dort sehr schlecht gelaufen«, erinnert sich Seydou an eine für ihn sehr schwere Zeit. »Die Angst vor Abschiebung ist zermürbend und kann sogar Menschen in den Tod treiben.« Er habe 2017 und 2018 unter extremem Druck gestanden. »Mir ging es sehr schlecht. Ich würde den Zustand als Depression beschreiben.« Wenn es nicht Menschen gegeben hätte, die ihm halfen, würde er heute nicht hier sitzen. Aber er kenne Leidensgenossen, die dieses Glück nicht hatten, die abgeschoben wurden oder die versuchten, sich das Leben zu nehmen.

»Wir fordern, dass dieses System beendet wird und dass Menschen eine Chance bekommen«, sagt Seydou. Er lebt jetzt in Berlin und engagiert sich in der No Border Assembly, der Keine-Grenzen-Versammlung. Diese gehört zu den Initiativen, die das Zeltlager mit vielfältigem Programm am Kiekebuscher See auf die Beine gestellt haben. Verschiedene Organisationen steuerten etwas bei, Geld oder auch Ressourcen, erklärt Sulti Mandel. Definitiv habe keine politische Partei das Camp gesponsert. Soweit Mandel weiß, auch keine staatliche Organisation. Mandel stellt Fragen und gibt die Antworten gleich selbst. »Die erste Frage ist: Warum Flüchtlinge hier sind? Wegen der Folgen des Kolonialismus, wegen der Ausbeutung, wegen der weißen Vorherrschaft, wegen des Waffenhandels – deswegen mussten sie ihre Länder verlassen! Die zweite Frage ist: Warum gegen das Abschiebezentrum kämpfen? Weil Bewegungsfreiheit das Recht von allen ist!«

Doch schon direkt am Zeltlager endet diese Bewegungsfreiheit – in diesem Falle durch eine Selbstbeschränkung der Vorsicht halber. Von hier führt ein etwa dreieinhalb Kilometer langer Fußweg zum Airport BER. Mit dem Expresszug vom Flughafenbahnhof wäre man dann in 19 Minuten am Berliner Ostkreuz. Trotzdem empfiehlt das Camp Besuchern für die An- und Abreise den acht Kilometer entfernten S-Bahnhof Zeuthen. Denn der kürzere Weg führt direkt am eingezäunten Rollfeld vorbei. Für weiße EU-Bürger ist das kein Problem. Doch am Camp warnt ein angeklebter Zettel in deutscher und englischer Sprache: »Benutze diesen Weg nicht, aus Sicherheitsgründen (erhöhte Polizeipräsenz).« Tatsächlich stehen zeitweise alle paar hundert Meter Polizeifahrzeuge vor dem Zaun und dahinter patrouillieren weitere. Bei Kontrollen könnten Asylbewerber schnell ernste Schwierigkeiten bekommen, vielleicht auch wegen Verstößen gegen die Wohnsitzauflage, die ihren Aktionsradius einschränkt. Wie die schwarze Aktivistin Napoli im Camp anprangert: »Geflüchtete werden kriminalisiert ohne Verbrechen.« In Berlin und Brandenburg immerhin dürfen sich die hier untergebrachten Flüchtlinge frei bewegen.

Für Montag ist eine Demonstration geplant. Darüber hinaus gibt es an den sechs Tagen des Camps Filmvorführungen, Theateraufführungen, Zirkusnummern für Kinder und viele, viele Workshops zu allen möglichen asylpolitischen Themen. Es herrschen spartanische Bedingungen in dem Zeltlager. Dazu gehören Plumpsklos und andere provisorisch wirkende Einrichtungen. Bei aller Bescheidenheit und Ernsthaftigkeit kommt trotzdem ein bisschen Festivalstimmung auf. Auch bei politischen Botschaften, etwa wenn Aktivistin Napoli die Losung ausgibt: »Kein Mensch ist illegal.« Alle antworten im Chor: »Bleiberecht überall.«

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