»Dirty Little Secrets«: Das Schweigen der Profiteure

Die dreiteilige ARD-Doku »Dirty Little Secrets« zeigt, wie Audio-Portale und Musik-Konzerne Künstlerinnen und Künstler ausbeuten

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Musikgeschäft ist viel Geld zu machen. Allerdings wandert dieses oft in die falschen Taschen.
Im Musikgeschäft ist viel Geld zu machen. Allerdings wandert dieses oft in die falschen Taschen.

Wer oder was genau das ultimativ Böse ist, hängt einerseits vom Höllenpfuhl ab, dem es entspringt, andererseits von der Perspektive darauf. Ein ökonomisch inkompetenter, politisch gefährlicher Despot wie Recep Tayyip Erdoğan zum Beispiel wird von Oppositionellen in der Türkei verteufelt, von Anhängern jedoch vergöttert. Gleiches gilt für Elon Musk, Donald Trump, Oli Kahn oder einen Unterhaltungsdienstleister, der zwischen Liebe und Verachtung noch weniger Spielraum lässt als, sagen wir, Bayern München.

Gleiches lässt sich über Spotify sagen. Aus der Sicht der zahllosen Kundschaft eine Plattform zur Demokratisierung der Musik, die man nahezu vollumfänglich für schlappe zehn Euro pro Monat abrufen kann; andere jedoch sehen darin ein Instrument zur Ausbeutung – und zwar ausgerechnet derjenigen, die es musikalisch füllen, jedoch größtenteils mit Almosen abgespeist werden.

Die Berliner R-’n’-B-Aktivistin Balbina hat es einmal vorgerechnet: Weniger als ein Prozent der Künstlerinnen und Künstler, beklagt sie in der hochinteressanten ARD-Dokumentation »Dirty Little Secrets«, verdiene beim Stockholmer Audio-Dienstleister 90 Prozent des Geldes. Pro Stream seien das 0,3 Cent, von denen Kreative allerdings nur Bruchteile erhalten. Der Rest geht an multinationale Unterhaltungskonzerne und deren regionale Ableger, die voriges Jahr mit 26,2 Milliarden Dollar Umsatz einen Allzeitrekord aufgestellt haben – und das, obwohl der Tonträger-Absatz auf schäbige 10 Prozent der Erträge eingebrochen ist. Weshalb für Künstler und Künstlerinnen wie Balbina da nur Konzerte und Downloads bleiben – oder Portale wie Spotify.

Die streitbare Sängerin konnte von Friederike Wipfler, Lennart Bedford-Strohm, Anne Brier und Sprecherin Julia Schweinberger als Kronzeugin für ihre filmische Anklageschrift gewonnen werden. Das erfahrene Quartett des Bayerischen Rundfunks entlarvt in Spielfilmlänge in drei Teilen ein unerhörtes Ausbeutungssystem zulasten kreativer Menschen, von denen kaum jemand am eigenen Ast sägen, also schlecht über Spotify, Amazon, Apple oder Tencent reden will. Balbina hat dennoch neun Gleichgesinnte gefunden, die mit ihr über »schmutzige kleine Geheimnisse«, so der Sendungstitel auf Deutsch, diskutieren. Allgemein bekannt sein dürften von ihnen allerdings nur Peter Maffay und Jennifer Rostock sein. Die Popularität der Rapper Chefket und Maeckes beschränkt sich auf deren Hip-Hop-Blase, während Rocko Schamoni, Karo Schrader, Andy Penn und Charlotte Brandi wohl nur einem engen Kreis von Fans etwas sagen.

Während »Lennie, Fritzi, Anne und ich«, wie Sprecherin Julia ihr Team im internetaffinen Duzton aus dem Off vorstellt, das Pop-Business durchleuchten, sprechen die »Desperados« an einer Art rundem Tisch übers mafiöse Netzwerk ihrer Branche, wobei sie teils etwas Unterstützung von außen erhalten: Smudo zum Beispiel, als Teil der Fantastischen Vier ähnlich unabhängig wie der frühere Universal-Chef Tim Renner, oder – mit Abstrichen – die Festival-Headliner OK Kid, dank 40 000 Euro für 20 Millionen Streams in sieben Jahren immerhin ansatzweise bei Spotify erfolgreich.

Das Metier selbst aber hüllt sich angesichts der immensen Marktmacht einiger weniger Megakonzerne wie Sony und Warner in Schweigen – allen voran die Marktmächtigen selbst. Von denen nämlich war trotz Dutzender Anfragen nur ein Unternehmen bereit, sich offiziell zu äußern: Spotify selbst, vertreten durch Conny Zhang als Musikchefin für den deutschsprachigen Raum, im Forbes-Ranking der einflussreichsten 30 der von unter 30-Jährigen frequentierten Online-Plattformen und damit überaus aussagekräftig. Theoretisch. Denn praktisch gendert sie zwar perfekt, weicht jedoch jeder substanziellen Frage aus (»Dazu möchte ich nichts sagen«). Oder sie antwortet gar zynisch (»Ob das genug zum Leben ist, ist ja auch ’ne philosophische Frage«).

So bleibt Lennie, Fritzi, Anne, Julia nur die Kraft der eigenen Recherche. Diese sich anzuschauen lohnt sich, trotz eines gewollt jugendlichen Tonfalls und arg auf Wirkung gebürsteten Soundtracks. Von der Vinyl-Ära bis zur Digitalisierung fördert die Doku Wahrheiten über den Ausverkauf origineller Inhalte zutage, die zwar alle erahnen können, die aber dennoch empörend sind.

Schade nur, dass ARD und BR so etwas nicht einfach mal an einem Tag zur Primetime zeigen. Vielleicht bekäme man so ein paar Interessierte diesseits der 65 ins lineare Programm. Und vielleicht würden Dokumentarformate wie dieses dann sogar etwas bewirken in einer Branche, die das Geldverdienen mehr noch als anderswo zum Fetisch einer abgehobenen (Männer-)Elite erkoren hat.

»Dirty Little Secrets«, dreimal 30 Minuten, ARD-Mediathek.

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