»Nationale Sicherheitsstrategie«: Leitplanken aus Papier

Regierung präsentiert ihre »Nationale Sicherheitsstrategie«

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

So viel Rot, Grün und Gelb war nie in der Bundespressekonferenz. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) sowie Verteidigungsminister Boris Pistorius und Innenministerin Nancy Faeser (beide SPD) marschierten auf. Eigentlich hätten sich auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) dazugesellen können, denn auch ihre Ressorts sind zentral betroffen von dem 74-seitigen Papier, das am Mittwoch den Medien präsentiert wurde. Es handelt sich um die sogenannte Nationale Sicherheitsstrategie, die erste in der Geschichte der Bundesrepublik. Sie soll Antworten auf die veränderten Bedingungen der Weltpolitik geben. Drei Begriffe stehen im Mittelpunkt: Wehrhaftigkeit, Resilienz und Nachhaltigkeit.

Scholz betonte, es sei zentrale Aufgabe des Staates, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten: »Alle Mittel und Instrumente müssen ineinandergreifen, um unser Land vor Bedrohung von außen zu sichern.« Er nannte neben dem militärischen Schutz auch die Entwicklungszusammenarbeit, die Sicherheit vor Cyber-Angriffen und die »Resilienz« von Lieferketten. »Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit, keine Stabilität und auch keinen Wohlstand«, erklärte er. Seit Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 und dem Anschlag auf die Nordstream-Pipeline sei die Bedeutung eines umfassenden Sicherheitskonzepts noch deutlicher geworden.

Baerbock betonte: »Sicherheit im 21. Jahrhundert ist mehr als Militär und Diplomatie.« Herausforderungen zögen sich durch alle Lebensbereiche. Dies gelte für Medikamente ebenso wie für den Cyber-Raum und sauberes Wasser. Schon deshalb handle es sich nicht um eine Strategie der Bundesregierung, sondern um eine der gesamten Gesellschaft. Universitäten seien ebenso angesprochen wie Kommunen und Unternehmen.

Grundidee des Dokuments ist es, alle möglichen inneren und äußeren Bedrohungen zu berücksichtigen und die Abwehr ressortübergreifend zu organisieren. Es geht um Landes- und Bündnisverteidigung, Zivilverteidigung und Bevölkerungsschutz, internationales Krisenmanagement und Entwicklungspolitik. Man will Technologien und kritische Infrastrukturen schützen, die Cyber-, Weltraum-, Rohstoff-, Energie- und Ernährungssicherheit garantieren, die Klimakrise und Pandemien meistern. Notwendig sei eine verbesserte Analysefähigkeit der deutschen Nachrichtendienste, auch um besser gegen Desinformation und andere Formen ausländischer Einflussnahme gewappnet zu sein. Wenig überraschend soll die EU-Rüstungsindustrie gestärkt werden, eine gemeinsame Rüstungsexportpolitik will man vorantreiben.

Der sogenannte integrierte Ansatz zum Thema Sicherheit zeige eine weite Palette möglicher Bedrohungen, sagte Scholz. Er betonte die enge Verbundenheit Deutschlands mit der Nato, der EU und dem großen Nachbarn Frankreich. Auch die Außenministerin unterstrich, die Strategie werde »nur funktionieren, wenn wir sie europäisch und transatlantisch verankern«.

Eigentlich wollte die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag vereinbarten Leitplanken bereits vor der Münchner Sicherheitskonferenz Mitte Februar präsentieren. Das scheiterte jedoch an Differenzen innerhalb der Koalition. Strittig waren unter anderem Passagen zu Russland und China. Nun heißt es, zum Umgang mit Peking werde noch in diesem Jahr ein gesondertes Konzept präsentiert. Eckpunkte zum Verhältnis zu Russland und der Ukraine will man ebenfalls nachliefern.

Auch die Frage, ob Deutschland im Falle eines großen Cyberangriffs mit gleicher Münze, also mit Hackbacks, zurückzahlen soll, entzweite die Koalitionäre. Die Bundesländer, die für den Katastrophenschutz und die innere Sicherheit maßgeblich zuständig sind, sehen sich offenbar noch immer ins Abseits gestellt.

Auf die von der FDP gewünschte Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrats wurde verzichtet. Einen »größeren Mehrwert« durch ein solches Gremium habe die Koalition nicht erkennen können, sagte Scholz. Finanzminister Lindner ließ indes durchblicken, dass der Vorschlag für seine Partei keineswegs vom Tisch ist. Er betonte zudem, er werde kein zusätzliches Geld zur Umsetzung der umfangreichen Vorhaben bereitstellen. Die von der Nato geforderten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für das Militär könnten im Durchschnitt der kommenden Jahre erreicht werden.

Die Opposition kritisierte das Konzept scharf, wobei die Unionsfraktion anerkennennend hervorhob, es enthalte ein klares Bekenntnis zur transatlantischen Allianz mit den USA, zur wettbewerbsfähigen Aufstellung der Verteidigungsindustrie sowie zum Prinzip der nuklearen Abschreckung.

Linksfraktionschef Dietmar Bartsch nannte die Strategie hingegen »lückenhaft und ideologisch überladen«. Die Festschreibung des Ziels, zwei Prozent des BIP für die Verteidigung auszugeben, sei »kein Faktor für Sicherheit, sondern ein Brandbeschleuniger in einer zunehmend fragilen Welt«, betonte er. Sicherheit im 21. Jahrhundert sei »mehr als Aufrüstung«, sagte Bartsch und nannte die Themen »Cyber, Flucht, Klimaschutz«.

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