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G7: Bereit machen für den nächsten Krieg

Die Weltwirtschaftsmächte beklagen ihre ökonomische »Abhängigkeit«. Was meinen sie damit?

G7-Gipfeltreffen: G7: Bereit machen für den nächsten Krieg

Als »Macht« definiert der Duden »die Gesamtheit der Mittel und Kräfte, die jemandem andern gegenüber zur Verfügung stehen«. Von daher erscheint es sonderbar, dass ausgerechnet die Weltwirtschaftsmächte des Westens seit kurzem ihre wirtschaftliche Abhängigkeit beklagen, also ihre Ohnmacht. Gegenüber Ländern wie Russland und China habe man sich erpressbar gemacht, heißt es von Seiten der G7-Staaten. Die USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien, Kanada und Großbritannien arbeiten daher daran, ihre Unabhängigkeit zu stärken. Unter Titeln wie »Nachhaltigkeit«, »Derisking« oder »Resilienz« der Lieferketten bereiten sie sich ökonomisch auf den nächsten Kriegsfall vor.

Jahrzehntelang galt die Globalisierung als das Erfolgsmodell des Westens. Die internationale Verflechtung ihrer Geschäftsbeziehungen bewerten die G7 inzwischen aber als Schwachpunkt: Die EU müsse »wirtschaftlich unabhängiger von China« werden, sagte Ende März EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Außenministerin Annalena Baerbock forderte, »einseitige Abhängigkeiten müssen im Sinne der eigenen Sicherheit reduziert werden«. Laut US-Außenminister Anthony Blinken »versucht China, sich unabhängiger von der Welt zu machen und die Welt abhängiger von China«.

Die Klage der Abhängigkeit bezieht sich auf die wirtschaftlichen Leistungen Chinas, die die G7 für ihr eigenes Wachstum brauchen. Das ist zum einen die Lieferung einiger – weniger – Rohstoffe. Im vergangenen Jahr förderte die Volksrepublik fast drei Fünftel aller Seltenen Erden der Welt, die als Input für die Produktion elektronischer Ausrüstungen gebraucht werden. Aus Chinas Raffinerien stammen 60 Prozent des Lithiums und 80 Prozent des Kobalts – beide werden für die Batteriefertigung benötigt. Dominant ist das Land auch bei einzelnen Vorprodukten der Pharmaindustrie. »Unsere importseitige Abhängigkeit ist ein geopolitisches Risiko«, warnt Jürgen Mattes vom unternehmensnahen Institut der deutschen Wirtschaft.

Daneben ist China für den Westen wichtig als Exportmarkt, als Lieferant billiger Konsumgüter und Investitionsstandort. Für die 40 großen Unternehmen aus dem Deutschen Aktienindex (Dax) ist der chinesische Markt inzwischen fast so wichtig wie der Heimatmarkt. Von seinen neuen Shops, die der dänische Spielzeughersteller Lego 2022 weltweit neu eröffnete, fanden sich 60 Prozent in China. Stark ist das Land auch bei einzelnen Technologien. »In Schlüsselsektoren wie Solarpaneele oder Batterien können wir uns eine Abhängigkeit von China nicht erlauben«, sagte Blinken.

Ökonomisch ist Europa stärker auf China ausgerichtet als die USA: Die europäischen börsennotierten Unternehmen erzielen dort rund acht Prozent ihres Umsatzes, in den USA sind es nur vier Prozent, errechnet die US-Bank Morgan Stanley. Beide exportieren sieben bis acht Prozent ihrer gesamten Ausfuhren ins Reich der Mitte. Beide Größen – die Ausfuhren westlicher Unternehmen nach China und die Verkäufe westlicher Tochterunternehmen in China – hat das britische Magazin »Economist« addiert. Die Summe entspricht im Falle der USA 4,2 Prozent der Wirtschaftsleistung, im Falle Frankreichs und Großbritanniens vier bis fünf Prozent – der »große Ausreißer« sei Deutschland, wo die China-Umsätze fast zehn Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen.

Der Grad an Abhängigkeit des Westens erreicht damit zwar bei weitem nicht den der meisten Länder des Globalen Südens, von denen die Welthandelskonferenz UNCTAD über 100 als »rohstoffabhängig« klassifiziert und deren Ausfuhren zum Teil von einem einzigen Produkt und dessen Preisschwankungen abhängen. Dennoch definieren die G7 ihre lukrativen Geschäftsbeziehungen zu China nun als Bedrohung. Der Grund: Früher war der Weltmarkt »frei«, seine Nutzung stand also allen Ländern und Unternehmen offen, die die geforderten Preise zahlen und die erwarteten Renditen erzielen konnten. Inzwischen aber wird diese Freiheit zunehmend eingeschränkt und der Welthandel als geopolitische Waffe in Anschlag gebracht. Nicht nur vom Westen: Auf Australiens Beschränkung chinesischer Investitionen reagierte Peking mit Einfuhrstopps australischer Güter. Als Litauen Ende 2021 ein Repräsentantenbüro Taiwans in der Hauptstadt erlaubte, blockierte Peking aus Protest litauische Exporte.

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Als Bedrohung gilt Chinas ökonomische Macht zum einen, weil es den G7-Staaten über Sanktionen Schaden zufügen könnte. Dass Peking in einen Wirtschaftskrieg gegen Nordamerika und Westeuropa zieht, ist allerdings eher unwahrscheinlich, schließlich wären die Kosten gigantisch – China ist selbst zu abhängig vom Westen. Problematischer als ihre eigene Abhängigkeit ist für die G7 die Abhängigkeit anderer Länder von China, insbesondere im Globalen Süden. Hier könnte Pekings Macht dazu führen, dass sich in geopolitischen Konflikten Regierungen an die Seite Chinas stellen oder schlicht nicht an die Seite der G7. Dafür sind die Wirtschaftssanktionen gegen Russland ein Testfall: Nicht nur China, auch andere Länder tragen die Sanktionen nicht mit, was die Wirkung der Sanktionen auf Russland stark abschwächt und damit die Möglichkeit des Westens, seine geopolitischen Ziele zu erreichen.

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In diesem Sinne ist China »systemischer Rivale« des Westens – schließlich ist ein Rivale nicht nur ebenbürtig, sondern er verfolgt auch ähnliche Ziele. Um in dieser Rivalität die Oberhand zu gewinnen oder zu behalten, versuchen die G7-Länder nun, sich unabhängiger von China zu machen. Sie suchen neue Rohstofflieferanten, senken ihren Rohstoffverbrauch und erlegen ihren heimischen Unternehmen Exportverbote für den Geschäftsverkehr mit China auf. So will die Bundesregierung »eine übermäßige Konzentration deutscher Unternehmensinvestitionen in einzelnen Ländern vermeiden – eine klar auf China zugeschnittene Anpassung«, erklärt die Commerzbank. Die Investitionsbeschränkungen sollen nicht nur die Unabhängigkeit der G7 stärken, gleichzeitig nutzen die G7 Chinas Abhängigkeit von sich, um das Land zu schwächen. »Der langfristige Schaden der Beschränkungen für Chinas Wirtschaft könnte bedeutend sein«, urteilt Allianz Research.

Zudem bietet der Westen anderen Ländern der Welt Unterstützung gegen China an: Geplant sind weitere »Rohstoffpartnerschaften« sowie eine »Plattform gegen wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen«, mit der die G7 ihre Reaktionen auf eventuelle Handels- oder Investitionsboykotte Pekings koordinieren wollen. Darüber erlebt das Gremium eine Renaissance: Nach Jahren des Bedeutungsverlusts der G7 »ist es an der Zeit, den Wert, die Relevanz und den Einfluss der G7 zu erneuern«, schreibt die US-Denkfabrik GZero.

Mit seinen Maßnahmen will der Westen den Widerspruch lösen, dass er die ökonomische Potenz der Volksrepublik einerseits als Bedrohung sieht, andererseits aber von ihr profitiert. Statt einer Abkopplung – »Decoupling« – von China fährt er daher die Strategie des »Derisking«, also einer Minderung seines China-Risikos. Der Wunsch nach Unabhängigkeit von China bei gleichzeitiger Nutzung seiner wirtschaftlichen Ressourcen erfüllt sich allerdings nur, wenn es gelingt, China zu kontrollieren. »Derisking« und die Stärkung der »Resilienz« der Lieferketten ist daher ein offensives Programm.

Hieß es früher, gegenseitige ökonomische Abhängigkeiten sicherten den Frieden, so gelten sie heute als kriegsträchtig. »Die großen wirtschaftlichen Abhängigkeiten«, so erklärt die DZ Bank den Zweck des »Derisking«, »müssen reduziert werden, um im Ernstfall Sanktionen wirksam durchsetzen zu können.« Was der »Ernstfall« ist, darüber herrscht weitgehend Einigkeit: »Im Falle eines bewaffneten Konflikts um Taiwan wäre die deutsche Wirtschaft erpressbar«, so Ökonom Mattes vom IW.

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