Weltflüchtlingstag: Oranienplatz gegen Entrechtung

Aktivisten der Geflüchtetenbewegung rufen zur Kundgebung am Oranienplatz auf

  • Noah Kohn
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Geflüchtetenbewegung nutzt den Kreuzberger Oranienplatz regelmäßig für Protestaktionen – wie 2014, als Napuli Langa vier Tage auf einem Baum verbrachte.
Die Geflüchtetenbewegung nutzt den Kreuzberger Oranienplatz regelmäßig für Protestaktionen – wie 2014, als Napuli Langa vier Tage auf einem Baum verbrachte.

In drei Pavillon-Zelten sitzen rund 20 Menschen im Kreis und tauschen sich über den politischen Kampf gegen Abschiebungen und Grenzen aus. Reis mit Bohnen und Erdnusssoße steht gegen Spende bereit, Passanten bleiben stehen und blättern durch die Flyer und Magazine, die auf den Infotischen ausliegen. Es wird diskutiert, gelacht, gerufen: »No one is illegal – Bleiberecht überall!«

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Bereits am Wochenende lebte der Oranienplatz in Kreuzberg wieder auf. Die O-Platz-Bewegung hatte von Freitag bis Sonntag unter dem Motto »O-Platz lebt« zu einem offenen Treffen eingeladen. Anlässlich des Weltgeflüchtetentages am Dienstag organisieren die Aktivisten aus der Geflüchtetenbewegung »Wir sind O-Platz« dort außerdem eine Kundgebung, die um 18 Uhr starten soll. Die Veranstalter wollen sich mit ihrer Kundgebung für Menschen auf der Flucht einsetzen und »ein starkes Zeichen des Widerstands gegen die Entrechtung von geflüchteten Menschen« setzen, wie es in einer Pressemitteilung vom Montag heißt.

Die Bewegung entstand vor knapp elf Jahren, nachdem sich ein 29-jähriger Iraner in einer Würzburger Geflüchtetenunterkunft das Leben nahm. Nach folgenlosen Protestaktionen in Würzburg machten sich mehrere Hundert Geflüchtete auf einen 28-tägigen Fußmarsch nach Berlin auf, wo schließlich der Oranienplatz besetzt und zu einem Protestcamp wurde, um für bessere Asylbedingungen und Aufenthaltsrecht zu demonstrieren. Seitdem ist der Platz ein zentraler Ort der Geflüchtetenbewegung für Proteste, Kundgebungen und Sitzstreiks.

Bis heute sind daraus verschiedene Protestgruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten entstanden, beispielsweise International Women* Space, eine selbstorganisierte feministische Gruppe geflüchteter Frauen, oder die Gruppe No Border Assembly, die sich gegen Grenzen jeglicher Art einsetzt. Geeint sind die Gruppen laut Veranstalter in ihrem gemeinsamen Kampf gegen »die Entrechtung durch den zunehmend autoritäreren deutschen Staat, das europäische Grenzregime und die tägliche rassistische Gewalt«.

Dass das möglich wurde, liegt auch an Napuli Langa. Sie ist eine der Hauptfiguren der Geflüchtetenbewegung und Mitbegründerin des International Women* Space. Als im April 2014 ein Infozelt der Geflüchteten auf dem Oranienplatz entgegen der ursprünglichen Vereinbarung mit dem Senat abgerissen wurde, kletterte Langa auf eine Platane und kam erst vier Tage später wieder herunter, als der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg die dauerhafte Genehmigung für ein Infozelt erteilte. »Wir wollen unsere Bewegung auf die Straße tragen und in Kreuzberg mit Präsenz unsere Forderungen unterstreichen«, sagt Langa.

Turgay Ulu war schon 2012 beim Protestmarsch aus Würzburg nach Berlin mit dabei. »Wir fordern die Abschaffung der Residenzpflicht, des Lagersystems und der Abschiebungen«, erläutert Ulu die Forderungen der Bewegung gegenüber »nd«. Die Residenzpflicht sieht vor, dass Asylsuchende und Geduldete in Deutschland sich nur in einem von der für sie zuständigen Behörde festgelegten Bereich aufhalten dürfen.

Der Aktivist saß in der Türkei 15 Jahre im Gefängnis und floh nach Deutschland. Er verweist auf die Geschehnisse am vergangenen Mittwoch, als ein Boot mit Geflüchteten südlich der griechischen Stadt Pylos sank – 78 Leichen barg die griechische Küstenwache daraufhin. Einer von unzähligen Vorfällen. Allein in diesem Jahr sind bei dem Versuch der Flucht über das Mittelmeer schon über 1000 Menschen gestorben. »Wenn die Leute im Krieg nicht sterben, dann sterben sie unterwegs«, sagt Turgay Ulu im Gespräch mit »nd«.

Auch Franziska Brychcy von der Berliner Linkspartei kritisiert den Status Quo der deutschen Asylpolitik: »Immer mehr und höhere Mauern werden Menschen nicht an der Flucht hindern, aber noch mehr Leid und Elend verursachen. Die Festung Europa muss fallen. Mehr denn je brauchen wir Solidarität, zentraler Grundwert eines menschlichen Europas.« Die Landesvorsitzende plant am Weltgeflüchtetentag auch an einer Kundgebung teilzunehmen, allerdings nicht auf dem Oranienplatz bei Ulu und Langa und den anderen Aktivisten der Geflüchtetenbewegung, sondern vor dem Bundesministerium des Inneren, wie die Berliner Linke-Pressesprecherin Diana Buhe auf Anfrage von »nd« mitteilte. Dort findet die Kundgebung »Nein zu Geas!« statt.

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