Blutroter Neptunbrunnen erinnert an tödlichen Polizeieinsatz

Vor zehn Jahren erschoss ein Berliner Polizist Manuel F., der sich in einer psychischen Krise befand

Rot gefärbtes Wasser erinnert an den Tod von Manuel F. vor zehn Jahren im Neptunbrunnen. Regelmäßig sterben Menschen in psychischen Krisen durch polizeiliches Handeln.
Rot gefärbtes Wasser erinnert an den Tod von Manuel F. vor zehn Jahren im Neptunbrunnen. Regelmäßig sterben Menschen in psychischen Krisen durch polizeiliches Handeln.

Rot plätschert das Wasser am Mittwochmorgen im Neptunbrunnen. Unbekannte haben den Brunnen am Roten Rathaus gefärbt, um an den Tod von Manuel F. zu erinnern. Vor zehn Jahren, am 28. Juni 2013, starb F. dort durch eine Polizeikugel. Der 31-Jährige war während einer psychischen Krise in das Becken gestiegen und hatte sich mit einem Messer selbst verletzt. Als er sich einem Polizeibeamten näherte, schoss der ihm in die Brust. Manuel F. starb noch vor Ort.

Sein Tod sorgte damals für Aufregung. Durch das Handyvideo einer Passantin ließ sich das Geschehen rekonstruieren: F. steht nackt mit einem Brotmesser in der Hand im Brunnen. Dann geht er auf den Polizisten zu, der ebenfalls im knöcheltiefen Wasser steht. F. hält das Messer in der rechten Hand, die er seitlich hängen lässt – zu keinem Moment hebt er den Arm oder richtet das Messer gar gegen den Beamten. Fünf Sekunden lang läuft F. so in die Richtung des eineinhalb Meter entfernten Polizisten, der weicht zurück und ruft zweimal »Messer weg!«. Dann schießt er Manuel F. in die Brust.

Später wird bekannt, dass Manuel F. sich wegen Schizophrenie in Behandlung befand. Zudem stand er während seiner Krise möglicherweise unter Drogeneinfluss. Die Berliner Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen den Polizeibeamten zwei Monate später ein und berief sich in ihrer Erklärung auf Notwehr.

Die Aktivist*innen wollen mit der Farbaktion die Erinnerung an Manuel F. aufrechterhalten. Mit Sprühkreide haben sie seinen Namen und das Todesdatum auf den Boden vor den Brunnen geschrieben. Zusätzlich weisen sie daraufhin, dass psychisch kranke Menschen regelmäßig Opfer von tödlichen Polizeieinsätzen werden. In einer Pressemitteilung schreibt »Rosa Brunn«, Sprecherin der Aktivist*innen: »Statt eine für psychische Krisensituationen ausgebildete und kompetente Person zur Hilfe zu holen, entschied einer der Polizeibeamten am 28. Juni 2013, die Angelegenheit einfach auf ›Cop-Art‹ zu regeln: Dumm rummackern, Dominanz und Stärke ausstrahlen.« Der Tod von Manuel F. stünde exemplarisch für ein systematisches Versagen im Umgang mit psychischen Krisen.

Tatsächlich sterben Menschen in psychischen Ausnahmesituationen regelmäßig durch polizeiliches Handeln. Im Januar 2020 erschoss ein Polizist Maria B. in ihrer Wohnung in Friedrichshain. Die etwa 50 Kilo schwere und an Multipler Sklerose erkrankte Frau war ebenfalls mit einem Messer in der Hand auf den Beamten zugegangen. Im Herbst 2022 starb Kupa Ilunga Medard Mutombo nach einem Polizeieinsatz, der eigentlich seinen Transport von einer Wohneinrichtung in eine Psychiatrie begleiten sollte. Polizist*innen drückten dem an Schizophrenie leidenden Mann ein Knie in den Nacken, wodurch Mutombo kollabierte. Für das Jahr 2022 zählt die Initiative Death in Custody bundesweit sechs Todesfälle von Menschen in psychischen Notlagen.

Benjamin Jendro von der Gewerkschaft der Polizei Berlin kann jedoch kein grundsätzliches Problem erkennen. »Die Mehrzahl der Einsätze wird durch Kommunikation gelöst«, so Jendro. Auch habe sich in den vergangenen zehn Jahren einiges verändert. So sei etwa der tödliche Einsatz gegen Manuel F. im Nachhinein als Übungsszenario in Praxis-Seminare eingeflossen. Selbst wenn ein Einsatz »mal nicht so läuft wie gewünscht«, plädiert Jendro für Verständnis gegenüber den Beamt*innen: Eine Person mit Messer ohne Waffengebrauch abzuwehren, sei sehr schwer. Jendro wiederholt deshalb, was Polizei und die SPD-geführte Innenverwaltung ständig fordern: die flächendeckende Einführung von Tasern inklusive der gesetzlichen Regelung, sie mit geringeren Voraussetzungen als bei Schusswaffen einsetzen zu dürfen.

Niklas Schrader hält das für eine schlechte Idee: »Das ist ja das grundsätzliche Problem, dass der Glaube vorherrscht, man könnte solche Situationen mit Waffengewalt lösen.« Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus bezieht sich auf Studienergebnisse aus den Niederlanden. Demnach sank dort die Hemmschwelle zum Einsatz von Tasern immer weiter. »Das hätte dann wieder gefährliche Folgen.« Er unterstützt stattdessen die Einführung von multiprofessionellen Kriseninterventionsteams, die so schnell und zuverlässig gerufen werden können, wie aktuell die Polizei. In einem Antrag fordern seine und die Grünen-Fraktion den schwarz-roten Senat auf, mit einem Modellprojekt derartig geschulte Teams zu testen.

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In Biplab Basus Augen braucht es vor allem Konsequenzen gegen die verantwortlichen Polizist*innen. »Aber Politik und Justiz wehren sich mit Händen und Füßen dagegen. Sie befürchten, dass die Polizeigewerkschaften dann auf die Barrikaden gehen, wenn Polizisten wegen Mord oder Totschlag angeklagt werden«, sagt der Sprecher der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt KOP. »Wenn es keine Sanktionen gibt gegen diese Brutalität, werden die Polizisten genauso weitermachen wie bisher.«

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