Emanzipationsfeindliches Ehegattensplitting

Das konservative deutsche Steuerrecht bremst noch immer viele Frauen bei der Erwerbsbeteiligung aus

  • Rudolf Hickel
  • Lesedauer: 3 Min.

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat ziemlich überraschend in den Streit um die Finanzierung der Kindergrundsicherung mit der Forderung eingegriffen: »Wir schaffen endlich das Ehegattensplitting ab.« Dabei liegt die Betonung auf »endlich«. Denn seit Jahrzehnten wurde immer wieder die Abschaffung oder zumindest die Einschränkung des Ehegattensplittings gefordert. Der Mythos von der Stärkung der Ehe auf der Basis traditioneller Rollenteilung zwischen Mann und Frau in der Familie war immer schon nicht angemessen.

Das Ehegattensplitting gilt für Ehepaare und mittlerweile auch Lebenspartnerschaften, die keine Einzelveranlagung wählen. Das gemeinsame Einkommen wird halbiert und die darauf entfallende Einkommensteuer berechnet. Durch die Verdoppelung dieser Einkommensteuer wird die Steuerschuld ermittelt. Gegenüber einer Einzelveranlagung beider Partner hängt der Splittingvorteil von zwei Faktoren ab: Zum ersten ist der Progressionsverlauf nach dem Eingangssteuersatz (14 Prozent) bis zum Spitzensteuersatz (42 Prozent) maßgeblich. Steigt das zu versteuernde Einkommen, wird das zusätzliche Einkommen mit einem höheren persönlichen Grenzsteuersatz belastet. Durch das Splitting des zu versteuernden Einkommens fällt der anzuwendende Progressionssatz erheblich geringer als im Falle der Individualbesteuerung aus. Zum zweiten ergibt sich der höchste Vorteil aus dem Splitting, wenn nur einer der Ehepartner hohe Einkünfte erzielt. Dabei reduziert sich dieser Steuervorteil in dem Ausmaß, in dem der andere Ehepartner dazu verdient.

Zwei Beispiele zur Steuerersparnis einer Familie ohne Kinder mit nur einem Verdiener bei der Einkommensteuer plus 5,5 Prozent Solizuschlag für das Jahr 2022: Ein zu versteuerndes Jahreseinkommen von 60 000 Euro wird bei der Einzelbesteuerung mit 15 863 Euro und beim Splitting mit 9902 Euro belastet. Der Splittingvorteil liegt also bei 5961 Euro. Beim gemeinsam veranlagten Einkommen über 600 000 Euro liegt der Steuervorteil sogar bei 17 672 Euro. Dies zeigt: Der Vorteil des bisherigen Splittingverfahrens steigt mit der Höhe des Einkommens und mit dem Einkommensunterschied zwischen den Partnern.

In der aktuellen Debatte wird vorwiegend über die durch dieses steuerliche Privileg erzeugten Einnahmeausfälle des Staates um die 20 Milliarden Euro pro Jahr gestritten. Auch wenn sie sich auf die Suche nach Finanzierungsmitteln zur Kindergrundsicherung konzentriert, sollte die grundlegende Kritik am Familienmodell, das bisher das Ehegattensplitting bestimmt, in den Mittelpunkt gerückt werden. Denn Klingbeil hat Recht: Es handelt sich um ein »antiquiertes Steuermodell, das die klassische Rollenverteilung zwischen Mann und Frau begünstigt«.

Die Ursprungsidee wirkt heutzutage fort: Es geht im Kern um den steuerpolitischen Schutz einer Familie mit dem Alleinverdiener und der berufslosen Frau, die für die (unentgeltliche) Hausarbeit zuständig ist. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 1957 schrieb das nachfolgende Gesetz diese damals geltende Rollenverteilung der Ehe steuerlich fest. Die Ehe wird als »Gemeinschaft des Erwerbs und Verbrauchs« definiert und damit deren gesamte Leistungsfähigkeit steuerlich berücksichtigt. Ärgerlich ist die Behauptung einer steuerlichen Einheit ungeachtet der »ehelichen Aufgabenteilung«: Vom Einkommen her lohnt es sich steuerlich für die Frau – noch immer in seltenen Fällen: für den Mann – im Haus nicht, berufstätig zu werden, denn je mehr sie verdient, umso geringer fällt der Splittingvorteil aus. Empirische Untersuchungen zeigen, dass in Deutschland dieses konservative Steuerrecht eine Vielzahl von Frauen bei der Erwerbsbeteiligung ausgebremst hat.

Wer am Ehegattensplitting festhält, der konserviert dieses die Frauen diskriminierende Familienmodell und verhindert deren berufliche Entfaltung. Dies kritisieren auch die OECD und die EU-Kommission. Grundsätzlich ändert daran auch die Tatsache nichts, dass das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2013 dafür sorgte, dass die zuvor geltende Ungleichbehandlung eingetragener Lebensgemeinschaften abgeschafft wurde.

Zweifellos würde die Streichung des Ehegattensplittings zu Verlusten beim Nettoeinkommen – vor allem in den oberen Einkommensschichten – führen. Dies ändert aber nichts daran, dass dieses Steuerprivileg emanzipationsfeindlich ist. Übrigens braucht es zur berechtigten Unterstützung von Familien mit Kindern kein Ehegattensplitting. Das lehrt auch der internationale Vergleich – ein Splittingmodell wie hierzulande ist in kaum einem anderen Land Praxis. Und in Deutschland dient doch gerade der Vorschlag der Kindergrundsicherung der ökonomischen Unterstützung von Kindern in armen Familien und Lebensgemeinschaften. Diese durch die Steuereinnahmen im Zuge der Abschaffung des Ehegattenprivilegs zu finanzieren, ist die Alternative.

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