• Politik
  • China-Strategie der Bundesregierung

Stärke zeigen trotz Abhängigkeit

Pekings Blick auf Deutschlands neue China-Strategie

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 4 Min.

Natürlich ist es kein Zufall, dass die Bundesregierung ihre erste China-Strategie ausgerechnet beim Berliner Merics-Institut vorgestellt hat: Die Denkfabrik wurde schließlich vor über zwei Jahren von der chinesischen Regierung mit Sanktionen belegt und steht durchaus sinnbildlich für den schwieriger gewordenen Umgang zu China unter Staatschef Xi Jinping.

»China hat sich verändert, und deshalb muss sich auch unsere China-Politik verändern«, fasste Außenministerin Annalena Baerbock am Donnerstagmittag das 61-seitige Dokument zusammen. Die Naivität während der Merkel-Jahre, als Berlin fast ausschließlich auf die wirtschaftlichen Interessen der deutschen Unternehmen geschaut hat, soll nun ad acta gelegt werden. China sei eben nicht mehr nur Partner, sondern zunehmend Wettbewerber – und vor allem auch systemischer Rivale.

Die Botschaft wurde natürlich auch 8000 Kilometer östlich vernommen. In Peking ist das seit über einem Jahr geplante Papier der Bundesregierung ein oft debattiertes Thema. Wann immer in den letzten Monaten deutsche Delegationen die chinesische Hauptstadt besuchten, fragten sie als erstes stets nach dem aktuellen Stand der China-Strategie. Und auch über die zuvor in deutschen Medien geleakten Details wussten die chinesischen Parteikader bestens Bescheid.

Peking versucht gegenzusteuern

Um das Schlimmste abzuwenden und positiven Einfluss zu nehmen, wurde den aus Deutschland angereisten Wirtschaftsvertretern und Politikern im Reich der Mitte durchgängig der rote Teppich ausgerollt: Der Zugang zu hochrangigen Gesprächspartnern war seit Jahren nicht mehr so gut, auch die Atmosphäre der Debatten betont herzlich.

Das hat vor allem mit der angespannten wirtschaftlichen Situation im Reich der Mitte zu tun. Europa ist für China schließlich der wichtigste Handelspartner, und innerhalb der EU rangiert Deutschland klar auf der Spitzenposition. Und nachdem die Beziehungen zwischen Peking und Washington seit Jahren bereits immer weiter eskalierten, hat sich die Erkenntnis breitgemacht, dass man es sich nicht auch noch mit den Europäern verscherzen darf.

Die am Donnerstagmorgen veröffentlichten Wirtschaftszahlen haben den Ernst der Lage mehr als deutlich unterstrichen: Der Außenhandel des Landes ist im Vergleich zum Vorjahr um mehr als zwölf Prozent eingebrochen, die Lieferungen nach Deutschland sogar um 15 Prozent. Die chinesischen Exportunternehmen leiden unter der schwachen globalen Nachfrage, während der Binnenkonsum weiterhin schwächelt. Die erhoffte Wirtschaftserholung nach der Corona-Öffnung bleibt in China weitgehend aus.

Und die Politik von Staatschef Xi Jinping sorgt dafür, dass auch die internationalen Geldgeber fernbleiben. Laut der Analyse-Firma Rhodium verzeichnete China im ersten Jahresquartal lediglich 20 Milliarden Dollar an ausländischen Direktinvestitionen – 2022 waren es noch fünfmal so viel. Gleichzeitig verlassen derzeit die Superreichen in Scharen das Land.

Papier abgeschwächt – trotzdem Kritik

Vor diesem Hintergrund wäre die chinesische Regierung also gut beraten, die von der deutschen Bundesregierung formulierte Kritik in der China-Strategie ernst zu nehmen. Doch zumindest nach außen hin möchte man sich keinerlei Blöße geben. »Deutschland steht derzeit vor vielen Herausforderungen und es ist wichtig, die Ursachen anzugehen. Aber eines ist sicher: Keines der Probleme wird von China verursacht. Und eine Partnerschaft mit China ist Teil der Lösung«, kommentiert etwa Wang Lutong, Generaldirektor für europäische Angelegenheiten im Außenministerium.

Wang zählt dabei noch zu den diplomatischeren Stimmen. In den nächsten Tagen dürften vermehrt auch die nationalistischen Wolfskrieger des chinesischen Parteiapparats auf die Bühne treten. Dabei fällt die China-Strategie noch deutlich diplomatischer aus, als es im Erstentwurf vorgesehen war. Einige Äußerungen, etwa in Bezug auf Chinas militärische Drohungen gegenüber Taiwan, den Besitzansprüchen im Südchinesischen Meer und den Menschenrechtsverletzungen, wurden zuletzt deutlich entschärft – sehr zur Enttäuschung der Zivilgesellschaft.

»Wieder einmal hat sich der Bundeskanzler von China und der deutschen Wirtschaft beeinflussen lassen. Olaf Scholz hat die China-Strategie aus dem Auswärtigen Amt weichgespült«, sagt etwa Tenzyn Zöchbauer, Geschäftsführerin der Tibet Initiative Deutschland.

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