Der China-Spagat

Die Bundesregierung will Deutschland mittelfristig unabhängiger vom Reich der Mitte machen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Die China-Politik der Ampel-Koalition ist alles andere als konsistent. In der unlängst vorgestellten Nationalen Sicherheitsstrategie finden sich zur Großmacht China, die ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat und Atommacht ist, auf über 70 Seiten nur dürre und etwas widersprüchliche Statements. Das Land sei »Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale«, hält die Regierung darin fest. Und räumt ein, dass China trotz aller Turbulenzen ein Partner bleibe, »ohne den sich viele der drängendsten globalen Herausforderungen nicht lösen lassen«.

Zur Vorstellung der Sicherheitsstrategie hatten sich neben dem Kanzler vier Kabinettsmitglieder eingefunden. Zur Präsentation der neuen »China-Strategie« der Bundesregierung erschien Außenamtschefin Annalena Baerbock (Grüne) am Donnerstag hingegen allein.

Schon im Bundestagswahlkampf 2021 hatte Baerbock verlangt, dass Deutschland der asiatischen Supermacht »mit Härte« begegnen müsse. Als Außenamtschefin agierte sie oft undiplomatisch und handelte sich so im April beim Antrittsbesuch in China einen Ordnungsruf ihres Gastgebers und Amtskollegen Qin Gang ein. »Was China am wenigsten braucht, sind Lehrmeister aus dem Westen«, stellte er klar. Die Atmosphäre bei Qins Gegenbesuch im Mai war ebenfalls unterkühlt.

Der erste Entwurf der China-Strategie aus Baerbocks Haus kam im Kanzleramt unterdessen nicht gut an. Umstritten waren unter anderem konkrete Auflagen für die Wirtschaft. China ist Deutschlands wichtigster Handelspartner. Die Wirtschaftsverbände fürchteten zu viel Mitsprache der Politik bei Exporten und Investitionen. Mit der Absicht, die deutsche Abhängigkeit von der asiatischen Wirtschaftsmacht zu reduzieren, sahen viele Unternehmer – nicht zu Unrecht – die Gefahr, dass ihre Profite beschnitten werden sollen.

Vor Wochen hatte Qin seine deutsche Kollegin gebeten, bei der Erarbeitung der China-Strategie »strategische Missverständnisse und Fehleinschätzungen« zu vermeiden. Man wolle Partner, aber nicht Rivale sein. Doch auf freundliche Formulierungen kann er spätestens seit dem am Mittwoch beendeten Nato-Gipfel nicht mehr rechnen.

Die Militärallianz – und damit Deutschland – erklärte, Chinas Ambitionen stellten »unsere Interessen, Sicherheit und Werte infrage«. Peking wolle »die regelbasierte internationale Ordnung« untergraben, hieß es in Vilnius. Weiter spricht die Nato von »böswilligen Hybrid- und Cyberoperationen« und davon, dass die Volksrepublik »die Kontrolle wichtiger Technologie- und Industriesektoren, kritischer Infrastruktur sowie strategischer Materialien und Lieferketten« anstrebe. Noch sehe man China nicht offiziell als Gegner, erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Einen Tag danach beschloss die Bundesregierung ihre 61 Seiten starke nationale China-Doktrin. Sie stellt allen Ankündigungen zum Trotz keinen Kurswechsel dar. Es geht darin um Städtepartnerschaften, Menschenrechte, die sogenannte Ein-China-Politik und die Taiwan-Frage. Wohl um klarzumachen, wer die Grundlinien der deutschen China-Politik bestimmt, twitterte der Kanzler noch vor der Präsentation Baerbocks, eine Abkopplung von China sei nicht beabsichtigt.

In dem Papier finden sich Formulierungen aus der Sicherheitsstrategie wieder. Als Ziel ist genannt, »kritische Abhängigkeiten« zu vermeiden. »Wer China zuhört, weiß, mit welchem Selbstbewusstsein es die Entwicklung dieses Jahrhunderts prägen wird«, betonte die Außenministerin und sprach über Zusammenarbeit. »Denn wir brauchen China, aber China braucht auch uns in Europa.« Das gelte sowohl für fairen Wettbewerb als auch für die Eindämmung der Klimakrise. Beides könne nur gemeinsam gelingen.

Baerbock mahnte, einseitige Abhängigkeiten etwa in der Halbleiter- oder Arzneimittelindustrie müssten minimiert werden. Globale Lieferketten müssten durch eine breitere Risikostreuung gefestigt, der EU-Binnenmarkt müsse ausgebaut werden. Man will sich mit gegenüber China besonders exponierten Unternehmen vertraulich über deren Risikoanalysen austauschen, chinesische Direktinvestitionen in Deutschland und der EU strenger überprüfen, die Exportkontrolle verschärfen und die kritische Infrastruktur sowie den Cyberraum besser schützen.

Und was ist mit der immer wieder angeprangerten Aggressionslust Pekings? Baerbock erinnerte daran, dass die Hälfte aller Containerschiffe der Welt durch die Straße von Taiwan fährt. Eine militärische Eskalation »wäre eine Gefahr für Millionen Menschen«. Allerdings ist der Bundesregierung auch klar, dass selbst für den Fall, dass sich die Beziehungen verschlechtern sollten, ein Boykott chinesischer Firmen ein kaum gangbarer Weg wäre.

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