DFB-Frauen angespannt vor Auftakt gegen Marokko

Trotz Vorfreude weiß das deutsche Team um die Schwere des ersten Spiels bei einem Turnier

  • Frank Hellmann, Melbourne
  • Lesedauer: 4 Min.
Merle Frohms spürt das Kribbeln in den Beinen.
Merle Frohms spürt das Kribbeln in den Beinen.

Als die deutschen Fußballerinnen mit dem Bus auf der nördlichen Seite des Yarra-Ufers zwischen wolkenverhangenen Hochhäusern in den Melbourne Park abbogen, bot sich trotz des trüben Wetters ein imposanter Anblick: Das Flutlicht in der riesigen Schüssel des Melbourne Cricket Ground strahlte, die Tennis-Spielstätten mit der Rod-Laver-Arena zeugten von der Größe der Australian Open, während in der John Cain Arena eine A-League-Partie der Fußballer des Melbourne City FC lief. Der Bus brachte das deutsche Frauen-Nationalteam für das Abschlusstraining in den Albert Park, wo auch die Formel 1 einmal im Jahr einen Grand Prix austrägt. Die DFB-Frauen bestreiten an diesem Montag ihr erstes WM-Gruppenspiel gegen Marokko im Rectangular Stadium, das sich fast bescheiden in dieses opulente Areal des Spitzensports schmiegt.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg gab für die offensiv formulierte Titelmission eine simple Sehnsucht aus, um eine erste Duftmarke bei diesem Turnier zu hinterlassen. Möge man bei der WM »hoffentlich wiederholen, was uns bei der EM ausgezeichnet hat«. Wer es vielleicht vergessen hat: ein Ensemble, das »aggressiv, intensiv und attraktiv« agiert, einen »mutigen, selbstbewussten, aktiven Fußball spielt.« Die gute Kaderqualität, so ihr Argument, gebe das her. Trotz aller Lebenserfahrung war der 55-Jährigen einige Anspannung anzumerken: Dafür verlief das Länderspieljahr zu durchwachsen, dafür fehlen vermutlich zu wichtige Spielerinnen.

Die im schwarzen Blazer und der beigen Bluse zur Pressekonferenz erschienene Fußballlehrerin war nicht ansatzweise bereit, die möglichen verletzungsbedingten Ausfälle von Marina Hegering, Lena Oberdorf und Sjoeke Nüsken zu bestätigen. »Ich kann nur sagen, es werden alle Spielerinnen im Kader sein«, lautete ihre dürftige Auskunft. Es soll aber keine Akteurin auflaufen, bei der ein Restrisiko besteht. »Alles andere wäre nicht schlau – wir wollen mehr als nur ein Spiel machen.« Die als 24. Kaderkraft nominierte Janina Minge soll nach der Marokko-Partie zurückreisen, weil der DFB-Kader nun endgültig ist.

Die erfahrene Trainerin kennt ihren Großauftrag bei diesem weltweit beachteten Event. »Wir wollen wie im letzten Jahr, eigentlich wie immer, die Menschen mitnehmen, emotionalisieren.« Gerne auch: Lächeln schenken, Werte darstellen. Erwartungshaltung und Aufmerksamkeit sind ungleich größer als bei der Weltmeisterschaft 2019, nachdem Voss-Tecklenburg erst ein halbes Jahr zuvor das DFB-Amt angetreten hatte. Jene Frankreich-Erfahrung begann mit einem schwer erkämpften 1:0 gegen China. Ein solch zähes Ringen mit körperlichen Grenzerfahrungen kann es jetzt auch wieder gegen die Nordafrikanerinnen geben. »Wir erwarten einen sehr hartnäckigen Gegner, einen Gegner, der alles auf dem Platz lassen wird.«

Am stärksten wirkte die Bundestrainerin mal wieder bei ihren großen, überwölbenden Botschaften. Die Weltmeisterinnen aus den USA (3:0 gegen Vietnam), die Europameisterinnen aus England (1:0 gegen Haiti) oder der Weltranglistendritte Schweden (2:1 gegen Südafrika) hätten sich bei ihren ersten Auftritten am Wochenende nicht zufällig schwer getan. »Wenn man den Auftakt dieser WM gesehen hat, trifft genau das ein, was wir gesagt haben: Die ganze Welt im Frauenfußball ist enger zusammengerückt.« Sie erklärt das so: »Weil mehr Spielerinnen die Möglichkeit haben, den Beruf der Fußballerin zu ergreifen, ihren Sport zu leben und lieben«. Nun sei eine solche WM eine viel größere Herausforderung »als vor 20, 30 Jahren, als ich noch spielen durfte«.

Noch 2015 in Kanada war die Generation um Nadine Angerer, Annike Krahn oder Simone Laudehr im ersten WM-Spiel auf die Elfenbeinküste getroffen, doch das von Silvia Neid trainierte Ensemble spielte in Ottawa auf Kunstrasen Katz und Maus mit überforderten Afrikanerinnen. Am Ende hieß es 10:0. Heutzutage gebe es keine Selbstläufer mehr, betonte Voss-Tecklenburg. Gleichwohl: Ein Sieg gegen Marokko auf Fifa-Weltranglistenplatz 72 muss Pflicht sein, zumal das DFB-Team danach gegen Kolumbien in Sydney und gegen Südkorea in Brisbane mehr gefordert werden dürfte.

Erst einmal sind alle im Team froh, dass nach einem Monat Vorbereitung endlich, endlich der Startschuss ertönt. »Es fängt an, in den Beinen zu kribbeln«, berichtete Torhüterin Merle Frohms. Bereits am Sonntagmorgen war der Tross aus der »Einöde«, wie Mittelfeldspielerin Lena Lattwein das Camp in Wyong nannte, mit dem Bus aufgebrochen, um anschließend über Newcastle nach Melbourne zu fliegen, wo der australische Winter unangenehm sein kann. Klagen über Wegstrecken und Wetterveränderungen haben sich indes für Kapitänin Alexandra Popp verboten: »Unsere Gruppe hat Vor- und Nachteile. Wir haben aber ein gutes Los gezogen, was die Reisen angeht, da können wir uns nicht beschweren.« Und über die Gegner und Spielorte eigentlich auch nicht.

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