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AfD-Studie: Eine Partei rückt nach rechts außen

Seit ihrer Gründung hat sich die AfD kontinuierlich radikalisiert und ist dabei immer stärker geworden

  • Wolfgang Schroeder, Bernhard Weßels
  • Lesedauer: 7 Min.

Dass die AfD nach ihrem Fast-Einzug in den Deutschen Bundestag 2013 und ihrem erfolgreichen Einzug 2017 den Wiedereinzug 2021 schaffen würde, daran zweifelte kaum jemand. Die AfD war »gekommen, um zu bleiben« – eine Formel, die die Medien, die Partei selbst und auch die Wissenschaft immer wieder nutzen. Aber ebenso deutlich ist, dass sich die Position der AfD am Wählermarkt und das Segment an Wählenden, das sie bedient, im Zeitverlauf verändert hat.

Während es 2013 unter dem Vorsitz von Bernd Lucke maßgeblich um eine Anti-EU-Positionierung ging, die zwar schon populistische Züge und auch Merkmale ideologisch rechter Politik aufwies, kam es im Windschatten der Führungswechsel zu Frauke Petry und dann Jörg Meuthen zu einem weiteren Rechtsruck in der Partei. Entsprechend entwickelte sich die Wahlprogrammatik. In der klassischen ökonomischen Links-Rechts-Positionierung ist die AfD relativ stabil weit rechts außen im bundesdeutschen Parteiensystem zu verorten. In der soziokulturellen Konfliktdimension mit den Polen liberal-progressiv und konservativ-autoritär hat sie sich weit nach rechts, also auf den konservativ-autoritären Pol hinbewegt.

Auch die Bürger*innen haben diese Bewegung nach immer weiter rechts außen wahrgenommen. Während befragte Wahlberechtigte die AfD 2013 noch nur einen Punkt (7) weiter rechts als die Mitte auf einer Skala mit 11 Punkten verorteten, sahen sie sie 2016 nur noch einen Punkt vom extremen Pol entfernt. Diese Bewegung nach rechts außen im politischen Raum ist ebenso Teil der Metamorphosen der AfD wie die Veränderung ihrer Wählerbasis.

Die repräsentative Wahlstatistik gibt verlässlich Auskunft über Alter und Geschlecht der Wähler*innen der Parteien. Laut Bundeswahlleiterin waren bei der Bundestagswahl 2021, wie schon 2017, die Stimmenanteile für die AfD unter Männern deutlich höher als bei den Frauen. Zudem erlangte die Partei 2021 überdurchschnittlich hohe Wähleranteile bei den 35- bis 69-Jährigen (10,7 und 14,1 Prozent gegenüber dem Gesamtergebnis von 10,3 Prozent). Deutlich weniger erfolgreich war sie sowohl 2017 als auch 2021 bei den jüngsten und ältesten Wähler*innen.

Am auffälligsten sind die Unterschiede zwischen Ost und West. In Ostdeutschland lag der AfD-Anteil 2021 über 20 Prozent, im Westen unter 10 Prozent. Auch 2017 war der Stimmenanteil im Osten doppelt so hoch wie im Westen. Und die AfD wurde sowohl 2017 als auch 2021 unter den wählenden Männern in Ostdeutschland mit 27,6 bzw. 25,2 Prozent die stärkste von allen Parteien.

Weitere Informationen über die Sozialprofile der Wählenden stehen in der repräsentativen Wahlstatistik nicht zur Verfügung. Hier muss auf Umfragedaten zurückgegriffen werden. Die Zahlen von Infratest dimap verweisen darauf, dass die AfD 2021 leicht überdurchschnittlich (13 Prozent) unter Bürger*innen mit einfacher Bildung und stark unterdurchschnittlich unter hoch gebildeten (6 Prozent) abschnitt. Stark überdurchschnittlich gewann die Partei zudem Wähler*innen unter Arbeiter*innen (21 Prozent) und Arbeitslosen (17 Prozent). Die Wählerwanderungsbilanz war 2021 jedoch angesichts des Rückgangs des AfD-Anteils um 3 Prozentpunkte negativ im Gegensatz zur vorherigen Bundestagswahl: 2017 gewann die AfD Wähler*innen von allen Parteien und vor allem aus dem Lager der bisherigen Nichtwähler*innen. 2021 war das Saldo zwischen AfD und den anderen Parteien sowie den Nichtwählenden hingegen negativ. Nur von der Partei Die Linke wurden rund 90 000 Stimmen hinzugewonnen.

Diese Bewegungen von den vormaligen Nichtwähler*innen zur AfD im Jahr 2017 und von der Linken zur AfD 2021 können dahingehend interpretiert werden, dass sich gerade Wähler*innen für sie entscheiden, die sich durch andere Parteien nicht vertreten fühlen – eine Beobachtung, die die These von der Repräsentationslücke im vormals etablierten Parteiensystem bestärkt. Dafür spricht auch der deutlich größere Wahlerfolg im Osten Deutschlands, in dem sich immer noch große Teile der Bevölkerung in der Selbstwahrnehmung gegenüber dem Westen benachteiligt sehen.

Ein Kennzeichen für das Gefühl der Nicht-Vertretung durch die als solche empfundenen politischen Eliten sind populistische Orientierungen, die zu einem konstanten Merkmal der AfD-Wählenden gehören. Populismus wird in der Forschung unter anderem als »dünne Ideologie« begriffen, deren Kern die Unterscheidung zwischen »Volk« und »Elite« ist. Dabei verstehen sich Populist*innen als authentischer Teil des Volkes, der für sich in Anspruch nimmt, den »Volkswillen« durchzusetzen. »Anti-Elitismus« und »Volksorientierung« sind die Kerne des Populismus, die für verschiedene ideologische Richtungen offen sind.

Die AfD wird dem rechtspopulistischen Lager zugerechnet. Nach der letzten Mitte-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung (2021) ist das rechtspopulistische Potenzial in Westdeutschland auf etwa 11 und in Ostdeutschland auf etwa 21 Prozent zu taxieren. Demnach hätte die AfD das rechtspopulistische Potential an Wähler*innen gegenwärtig stark ausgeschöpft. Wenn es um Populismus generell geht, liegen die gemessenen Anteile höher – 21 Prozent im Westen, 37 Prozent im Osten. Nach der Mitte-Studie können knapp 82 Prozent der AfD-Wählenden als populistisch eingestellt eingestuft werden.

Es gibt nicht nur eine geografische Deckung zwischen der Verteilung (rechts-)populistischer Einstellungen und der Wahlentscheidung für die AfD, sondern auch bezogen auf rechtsextreme Einstellungen. Diese sind unter anderem in Sachsen weit verbreitet – dort, wo auch die AfD bislang ihre höchsten Anteile und die meisten Direktmandate bei Bundestagswahlen erzielte. Bei der Bundestagswahl 2021 erhielt die Partei in Sachsen 24,6 und in Thüringen 24 Prozent der Stimmen. In den anderen ostdeutschen Bundesländern lagen die Anteile bei knapp 20 Prozent, im Westen wiederum lagen die Stimmenanteile bei 10 Prozent oder niedriger.

Das Wahlergebnis bei der letzten Bundestagswahl wurde gekrönt durch die Steigerung der Direktmandate im Bundestag von 3 (2017) auf 16 (2021). Davon wurden mehr als die Hälfte der Direktmandate allein in Sachsen gewonnen (10). Auch die restlichen Direktmandate wurden im Osten errungen – 4 in Thüringen und 2 in Sachsen-Anhalt.

Der AfD gelingt es also, eine beständige Basis unter den bundesdeutschen Wähler*innen zu mobilisieren. Insbesondere in Ostdeutschland hat sie der Partei Die Linke vielfach den Rang abgelaufen und sich bis zu einem Ausmaß eine lokale Basis aufgebaut, dass ihr von einer beachtlichen Zahl an Wähler*innen ein Prädikat zugesprochen wird, das vorher für Die Linke galt: sich um Sorgen der Menschen im ländlichen Raum zu kümmern.

Dieses Bild pflegt die AfD auch in den sozialen Medien. Mehr als jede andere Partei setzt sie auf Facebook oder Youtube und kann dort nach Analysen der Organisation Hope Not Hate (Hoffnung statt Hass) im Vergleich auch auf sehr viel größere Reichweiten verweisen. Der Pressesprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Marcus Schmidt, merkte in einem Interview mit der Deutschen Welle dazu an: »Ohne Facebook, glaube ich, wäre die AfD nicht so schnell so erfolgreich geworden.«

Tatsächlich erreicht die Partei ihre Zielgruppen über die Social-Media-Plattformen in einem beachtlich hohen Tempo und mit großer Zielsicherheit. Dabei richten sich die Kommunikations- und Mobilisierungsstrategien der verbreiteten Inhalte stark an populistischen als auch krisenbezogenen Aussagen aus. Unter den populistischen Botschaften, die nach einer Untersuchung von Schürmann und Gründl insgesamt 55,3 Prozent der Botschaften betreffen, finden sich »Anti-Elitismus«, »Volkszentriertheit« und »Souveränität«. Krisenbezogenes findet sich in 60,2 Prozent der Botschaften. Sehr häufig werden Krisenthemen populistisch aufbereitet; eine Praxis, mit der die AfD eindeutig häufiger als alle anderen Bundestagsparteien agiert. Über Facebook hinaus nutzt die Partei inzwischen vor allem auch die Plattformen Tiktok und Instagram (aber auch Messenger wie Telegram) für die Mobilisierung ihrer Wähler*innen.

Nicht nur, aber auch mit den sozialen Medien hat die AfD es geschafft, eine vermeintliche Repräsentationslücke zu formulieren und nicht wenige Bürger*innen haben diese Lücke augenscheinlich für sich selbst gesehen – anders ist der große Zuwachs an Stimmen aus dem Lager der Nichtwähler*innen 2017 kaum zu erklären. Damit hat die AfD sich eine nachhaltige Basis geschaffen: Sie spricht Personen an, die davon ausgehen, dass »die da oben« nicht ihre Interessen vertreten, und die sich durch ein Einstellungsprofil auszeichnen, das sich deutlich von dem anderer Wählerschaften unterscheidet. Es sind Menschen, die sich – existentiell oder kulturell – in einer bedrohten Situation sehen.

Dementsprechend mobilisiert die AfD mit wahrgenommenen Sorgen und Ängsten nicht zuletzt in Krisen. Das ist ihr unter anderem bei der Ankunft von Menschen auf der Flucht, von Migrant*innen und Schutzsuchenden 2015/2016 gelungen. Aber auch bei der Bundestagswahl 2021 war die AfD die Partei, deren Wähler*innen sich am stärksten in ihren persönlichen politischen Ansichten von der von ihnen gewählten Partei gut vertreten sahen: Ganze 90 Prozent der AfD-Wählenden gaben dies in Umfragen an. Im Durchschnitt waren es bei den anderen Parteien 79 Prozent.

»Radikalisiert und etabliert. Die AfD vor dem Superwahljahr 2024« heißt eine Studie der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung, die kürzlich vorgestellt wurde. Darin beschreiben und analysieren die Autoren – die Politikwissenschaftler Prof. Wolfgang Schroeder aus Kassel und Prof. Bernhard Weßels aus Berlin – die Entwicklung der AfD von einer konservativen Anti-EU-Protestpartei hin zu einem politischen Projekt am äußersten rechten Rand. Ebenso geht es um die Veränderungen in der AfD-Wählerschaft.

Auf dem Vormarsch – nicht nur in Umfragen

Trotz ihrer rassistischen und teils rechtsextremen Politik findet die AfD derzeit zunehmenden Anklang bei Wählern. In den aktuellen Umfragen auf Bundesebene liegt die Partei bei 20 Prozent, teils sogar darüber, und damit auf Platz zwei; nicht weit hinter der Union, aber vor SPD und Grünen. Noch drastischer das Bild in einigen Bundesländern: In Brandenburg, Sachsen und Thüringen, wo im kommenden Jahr Landtage gewählt werden, liegt die AfD teilweise deutlich in Führung; ähnlich sieht es in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern aus. Das lässt auch ahnen, was bei den Kommunalwahlen in all diesen Bundesländern im nächsten Jahr zu erwarten sein könnte. Kommunale Wahlerfolge gab es kürzlich mit dem ersten AfD-Landrat in Thüringen und dem ersten hauptamtlichen Bürgermeister in Sachsen-Anhalt. Aber es ist nicht nur ein Problem Ostdeutschlands: In Baden-Württem­berg käme die AfD derzeit auf 19 Prozent, in Rheinland-Pfalz auf 16 Prozent, in Nordrhein-Westfalen auf 15 Prozent.

In welche Richtung die AfD europapolitisch geht, wird auf dem Bundesparteitag an diesem Freitag in Magdeburg und bei der sich anschließenden Wahl der Kandidatenliste für die EU-Wahl 2024 zu beobachten sein. nd

Wir dokumentieren hier eine Passage aus der Studie, die vollständig auf der Internetseite der Otto-Brenner-Stiftung (www.otto-brenner-stiftung.de) und unter dasnd.de/AfD-Studie nachgelesen werden kann.

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