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  • Fußball-WM der Frauen

Später Nackenschlag für die DFB-Elf in Sydney

Deutschlands Fußballerinnen unterliegen Kolumbien 1:2 im zweiten WM-Gruppenspiel

  • Frank Hellmann, Sydney
  • Lesedauer: 4 Min.
Kaum zu stoppen: Kolumbiens Linda Caicedo (v.) bekamen die deutschen Spielerinnen um Klara Bühl (h.) und Svenja Huth (r.) nicht immer in den Griff.
Kaum zu stoppen: Kolumbiens Linda Caicedo (v.) bekamen die deutschen Spielerinnen um Klara Bühl (h.) und Svenja Huth (r.) nicht immer in den Griff.

Party machen geht in Sydney ziemlich gut. Darling Habour und Kings Cross sind die bekanntesten Anlaufpunkte, an denen am Wochenende der größte Trubel veranstaltet wird. Hochstimmung herrschte am Sonntagabend noch im Sydney Football Stadium. Jedoch nicht der zweifache Weltmeister Deutschland hat sich hier nach dem zweiten Gruppenspiel abgeklatscht, sondern die bislang nie übers Achtelfinale hinausgekommenen Fußballerinnen aus Kolumbien feierten ausgelassen mit riesiger Unterstützung auf den Rängen unter 40 499 Augenzeugen eine faustdicke Überraschung dieser Frauen-WM. Der verrückte, aber nicht unverdiente Last-Minute-Sieg gegen das konsternierte DFB-Team sorgte für eine Explosion der Gefühle: In der siebten Minute der Nachspielzeit wuchtete Manuela Vanegas nach einer Ecke völlig freistehend die Kugel zum 2:1 über die Linie – und veränderte die Ausgangslage in der Gruppe H komplett.

Dennoch haben die Deutschen das Weiterkommen in der eigenen Hand. Oder wie Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sagte: »Wir haben es selbst in den Füßen.« Ein Sieg im letzten Gruppenspiel würde reichen. Direkt nach Abpfiff war die 55-Jährige bereits um Aufbauarbeit für das letzte Gruppenspiel gegen Südkorea in Brisbane am Donnerstag um 12 Uhr bemüht, denn die erste Niederlage in einer WM-Vorrunde seit 1995 – damals im zweiten Spiel gegen Gastgeber Schweden (2:3) mit Martina Voss-Tecklenburg als Spielerin – sät Zweifel an der Mission vom dritten Stern. Vor allem die Entstehung der entscheidenden Ecke ärgerte die Trainerin immens. »Das müssen wir sauber runterspielen. Wir müssen mehr an Ergebnisfußball denken!« Da hatte jemand zu viel Übermut beobachtet.

Ein Remis hätte ja wegen des Kantersiegs gegen Marokko (6:0) letztlich gereicht, »nun ist Druck da«, wie Voss-Tecklenburg zugab. Parallelen zu den Männern bei der WM 2018, die im letzten Gruppenspiel gegen Südkorea ausschieden, wehrte die DFB-Angestellte vehement ab. »Sorgen in dem Sinne helfen nicht. Wir müssen uns jetzt schütteln und die Aufgabe bewältigen.« Südkoreas Nationaltrainer Colin Bell wird sich trotz zweier Niederlagen für die abgeschlagenen Asiatinnen etwas überlegen, um der deutschen Elf ein Bein zu stellen.

Deren Mängel verschwieg Voss-Tecklenburg erfreulicherweise nicht. Die erste Hälfte hätten ihre Spielerinnen »die Räume nicht erkannt und einen Tick zu viel lange Bälle gespielt«. Auch in der zweiten Halbzeit lief trotz einer Steigerung umso weniger zusammen, desto näher es an den Strafraum ging. »Wir haben die hundertprozentigen Torchancen nicht in Hülle und Fülle gehabt«, gab die Bundestrainerin zu, die »Positionierung, Passqualität und Präzision« vermisste, um gefährlicher ins letzte Drittel zu kommen. Ein Manko, das sich wie ein roter Faden durchs Länderspieljahr zieht.

Das Mittelfeld mit Lena Oberdorf, Lina Magull und Sara Däbritz verrichtete in der extrem intensiven und höchst spannenden Auseinandersetzung viel Lauf- und Defensivarbeit, doch die zündenden Ideen wie vor dem 1:1 von Alexandra Popp (89.) hatten Seltenheitswert. Da hatte Däbritz mal einen Steckpass gespielt, die eingewechselte Lea Schüller verlängert, sodass die freigespielte Oberdorf von Kolumbiens Keeperin Catalina Pérez von den Beinen geholt wurde. Deutschlands Kapitänin verwandelte den Elfmeter nervenstark – und war doch später ziemlich angefressen. »Es ist mega bitter, durch einen solchen Standard zu verlieren. Uns hat aber auch der letzte Mut Richtung Tor gefehlt«, monierte die 32-Jährige.

Der Vorwurf geht vor allem an die beiden Außenstürmerinnen Jule Brand und Klara Bühl, die sich viel zu häufig festliefen, Bälle verloren oder zu früh in die Mitte zogen. Die als Rechtsverteidigerin zweckentfremdete Svenja Huth (»Wir müssen in 90 Minuten variabler werden und uns mehr Torchancen erarbeiten«) könnte vorne sicherlich mehr bewirken – und eigentlich hätte Nicole Anyomi auch mal einen Startelf-Einsatz verdient. Gerade bei der erst 20-jährigen Brand wirkt das im vergangenen Jahr nach der Europameisterschaft verpasste Etikett vom »Golden Girl« ein bisschen verfrüht.

Wer solche Auszeichnungen definitiv verdient hat, ist Linda Caicedo. Lange kam das kolumbianische Wunderkind kaum zur Geltung, weil das deutsche Team sich gut auf die körperliche Gangart eingestellt hatte. Doch dann genügte der 18-Jährigen ein Geistesblitz, um die Multifunktionsarena im Moore Park fast zum Beben zu bringen. Wie Caicedo erst Huth austanzte und dann den Ball in den Winkel schlenzte, war ein Führungstor fürs Geschichtsbuch (52.). In Kolumbien nennen sie die Ausnahmespielerin »La Neymar« – nur kann man sich gar nicht erinnern, wann der brasilianische Selbstdarsteller zuletzt so etwas hinbekommen hat. Ein Geniestreich, der schon jetzt seinen Platz in jedem Rückblick dieses Turniers sicher hat. Welchen Fußabdruck die deutsche Mannschaft bei der Weltmeisterschaft hinterlässt, ist hingegen völlig offen. Möglich ist seit Sonntag alles. Auch ein vorzeitiger Abschied von der Party in Australien.

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