Film »Black Box«: Die Büchse der Gentrifizierung

In »Black Box« spielt Regisseurin Aslı Özge durch, wie in einem viergeschossigen Altbauhaus in einer Extremsituation ein Verwalter mit Macht seine Interessen durchsetzen kann

  • Gaston Kirsche
  • Lesedauer: 5 Min.
Luise Heyer steht als Henrike Koch im Zentrum der Handlung.
Luise Heyer steht als Henrike Koch im Zentrum der Handlung.

Eine Leiche auf dem Dachboden des Hinterhauses gibt es zwar, aber mit einem Krimi hat »Black Box« nichts zu tun. Es ist ein Hausspiel – ein Kammerspiel, das sich in den Wohnungen und im Hof eines runtergekommenen Altbaus abspielt. »Eine Black Box öffnet man im Notfall, ohne zu wissen, was drin ist«, erklärte Aslı Özge, die in Berlin wohnende Regisseurin, in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk die Ausgangssituation des Spielfilms.

»East West Management« steht auf dem Bürocontainer, der aus – wie sollte es anders sein – Stahl und Glas besteht, dieser unvermeidlichen Standardkombination architektonischen Durchmodernisierens innerstädtischer Quartiere. Der wird mitten im Hinterhof abgesetzt, an dessen angrenzenden Hauswänden Putz und Farbe um die Wette bröckeln. Der Hausverwalter Johannes Horn (Felix Kramer) ist zufrieden: endlich Präsenz vor Ort.

Abends stehen drei Nachbarn davor, kiffen gemeinsam, ärgern sich über den raumgreifenden Container, ein mobiles Verkaufsbüro, dem die Müllcontainer weichen mussten, die nun direkt unter den Fenstern von Dr. Erik Behr (Christian Berkel) stehen. Thibaut Monier (Marc Zinga) und Karsten Jung (André Szymanski) regen sich mit ihm auf – Erik Behr verbrennt einen Flyer von East West, lass doch den Quatsch. Prompt fliegt ein Hubschrauber über den Hinterhof, der Suchscheinwerfer erfasst sie. Eine arg übertriebene Szene – so viele Helikopter hat Berlins Polizei nicht, dass sie jeden kleinen Ungehorsam verfolgen könnte. Aber sie deutet den Polizeieinsatz des nächsten Tages an. Erst mal beobachten die Zuschauer*innen aber Bewohner*innen aus dem Hinter- und dem Vorderhaus, wie sie sich gegenseitig in ihren Wohnungen beobachten. Alles dicht beieinander.

Am nächsten Morgen sperrt eine maskierte Polizeieinheit den Hinterhof ab, auch aus dem Vorderhaus kommt niemand mehr raus. Henrike Koch (Luise Heyer), die zu einem Bewerbungsgespräch will, ist wie alle anderen wie vor den Kopf gestoßen: Aber sie hat doch einen wichtigen Termin! Wann ist denn die Absperrung vorbei, worum geht es? Keine Auskunft zum laufenden Einsatz – sie bekommen Bescheid, wenn alles vorbei ist.

Langsam wird aus nervöser Ratlosigkeit Panik. Henrike Koch filmt heimlich den Nachbarn Ismail Sultanov (Timur Magomedgadzhiev), wie er panisch in seiner Wohnung handgemalte Protestplakate in große schwarze Müllsäcke stopft. In der Nacht zuvor hat sie ihn beim Sex mit der ebenfalls schwarzhaarigen Nachbarin aus der Wohnung über ihnen beobachtet, die sich Madonna nennt (Manal Issa).

Als sie der Polizei nicht öffnet, die durchs Haus geht, um Autobesitzer*innen, die ihre Wagen auf der Straße geparkt haben, ausfindig zu machen, erfährt der Hausverwalter Johannes Horn davon. Wohlkalkuliert greift er die Verunsicherung auf, schwingt sich zum Ansprechpartner der Polizei auf, hat so ein Informationsmonopol und verbreitet geschickt das Gerücht, Madonna und »der Afghane« seien Terroristen. Dabei kommt Ismail Sultanov aus Dagestan und demonstrierte nur friedlich gegen Putin. Aber das glaubt ihm auch der von Verwalter Horn instruierte Kommissar nicht, der bei einer Wohnungsdurchsuchung gleich gemeinsam mit dem Verwalter in die Wohnung eindringt.

Währenddessen starten Karsten Jung und Erik Behr eine Unterschriftensammlung unter den Mieter*innen – die Verwaltung wird aufgefordert, die Müllcontainer nicht mehr direkt bei den Wohnungen abzustellen. Eigentlich geht es Erik Behr um viel mehr: Er vermutet, der Verwalter wolle das Haus unbewohnbar machen, die Mieter*innen rausdrängen, um dann luxuszusanieren. Seine eigentlich naheliegenden Überlegungen kommen bei den anderen Mitparteien nicht so gut an, weil er rechthaberisch und aufbrausend auftritt.

Aber im Laufe der zwei Stunden Spielfilmhandlung kommen immer mehr kleine schmutzige Deals heraus – klammheimlich haben diejenigen, die es sich leisten können, schon ein Kaufinteresse für eine Wohnung abgegeben: Vielleicht auch für die von Nachbarn, weil die heller und ruhiger ist.

Auch wenn es in der Nachbarschaft ein paar wenige Nichtblonde gibt – es ist vom Ensemble her ein sehr deutscher Film. Da schwadroniert der Verwalter auf einer Hausversammlung über »Problemwohnungen, die einem Türken gehören«, und von denen man nicht wisse, wer dort alles ein- und ausgehe. Bedrohlich! Die dominierenden Darsteller*innen sind aus Film und Fernsehen bekannt und spielen eigentlich wie immer Almans aus der Zwischenklasse, vom Sauertöpfischen ins Alberne und zurück.

Dabei steht der Zustand des Hauses, das mit seinen klapprigen Türen, abgewetzten Treppen und schmuddeligen Fluren an die Arbeiterstadtteile aus der Zeit erinnert, als es noch zwei Berlins gab, im scharfen Widerspruch zur Klassenlage der Nachbarschaft: Die Arbeitslose Henrike bewirbt sich als IT-Leiterin bei einer internationalen Firma, ihr Mann Daniel Koch (Sascha Alexander Geršak) ist Krankenhausarzt, Karsten Jung ist Musiker, seine Frau Pianistin, die in der Wohnung übt. Ismail Sultanov ist Maler, Madonna das, was Henrike werden will: IT-Leiterin einer großen Firma, in ihrem Fall aus Hongkong.

Die Regisseurin versteht die Nachbarschaft als Metapher für die Gesellschaft und zeigt, wie leicht die in Extremsituationen auseinanderfällt. Im Film stellt sie aber nur die Mittelschicht, die Zwischenklasse, dar, die zwar einigen Besitzstand hat, aber eben auch etwas zu verlieren.

Luise Heyer, die im Zentrum der Handlung steht, hat schon einmal gezeigt, dass sie mehr als nur Mittelschicht kann. 2020 spielte sie beeindruckend die Titelrolle im »Polizeiruf 110 – Sabine« von Stefan Schaller – eine alleinerziehende Werftarbeiterin, die sich wegen der angekündigten Betriebsschließung erst selbst umbringen will, dann aber doch lieber ein paar Schuldige erschießt.

In einem Haus mit einer armen Nachbarschaft würde sich nicht die Frage stellen, ob sich die gemietete Wohnung nicht vielleicht kaufen lässt. Und die Bourgeoisie wohnt nicht im Hinterhof. Wieder einmal wird die Zwischenklasse als Norm genommen, wenn auch diesmal mit prekären Existenzen dabei, wo es gerade nicht so gut läuft.

Dabei ist der Film spannend aufgebaut und unterhaltsam. Aber er könnte mehr zeigen. Die ins Bild gesetzte Gentrifizierung, sie ist untrennbar mit Kapitalismus und Wohnen als Ware verbunden. Aber es geht immer nur um Machtspielchen, Absprachen und Verrat. Dass es der Kapitalismus ist, der den Nährboden bildet für Entsolidarisierung, Verunsicherung, Prekarität und Konkurrenz, spielt im Film keine Rolle.

»Black Box«, Belgien/Deutschland 2022. Regie und Buch: Aslı Özge. Mit: Luise Heyer, Felix Kramer, Christian Berkel, Timur Magomedgadzhiev, Anne Ratte-Polle. 119 Min. Start: 10. August.

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