Tierwohl in Ghana: »Pferde sind ein Statussymbol«

Die Pferdetrainerin Eva Ippendorf lebt in Ghana und engagiert sich gegen Grausamkeit gegenüber Tieren

  • Interview: Gisela Dürselen
  • Lesedauer: 7 Min.
»The six freedoms«: Tierwohl in Ghana: »Pferde sind ein Statussymbol«

Frau Ippendorf, Sie engagieren sich in Ghana für »The six Freedoms«. Das Netzwerk rettet Pferde in Not und arbeitet ganz generell für ein anderes Miteinander in der Gesellschaft. Wie ist das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren in Ghana?

In afrikanischen Ländern wie Ghana lernen Kinder zu gehorchen, nicht nachzufragen und nicht über ihre Gefühle zu sprechen. In der Folge spüren sie mit der Zeit auch weniger Gefühle und stumpfen ab – nicht nur sich selbst gegenüber, sondern auch gegenüber allen Mitkreaturen. Schläge gehören zum Alltag, im Haus und im Stall. Pferde stehen am Hals kurz angebunden, manchmal den ganzen Tag ohne Wasser in der prallen Sonne. Die Tiere sind unterernährt und vernachlässigt, und nicht selten erleiden sie grausamste Verletzungen. Bisweilen geschieht dies aus Mangel an Wissen und finanziellen Mitteln – aber in der Regel ist es so, dass Menschen mit anderen so umgehen wie mit sich selbst. Wie Menschen Tiere und andere Menschen behandeln, sagt viel über eine Gesellschaft aus.

Wer ist alles Teil in Ihrem Netzwerk?

Wir sind Privatpersonen, die über den Tierschutz hinaus ein generelles Umdenken in der Gesellschaft anstoßen möchten. Zu uns gehören unter anderem Tierärzte und Pferdepfleger, die auch Huf- und Zahnpflege können.

Interview

Eva Ippendorf ist Osteopathin und Pferde­trainerin. Sie lebt in Ghanas Hauptstadt Accra und engagiert sich bei »The six Freedoms«, einem Netzwerk für die Rettung von Pferden, das sich auch in der Gesellschaft für ein gewalt­freies Miteinander starkmacht.

Und wie finanzieren Sie Ihre Tätigkeiten?

Aus privaten Spenden von Leuten, die unsere Arbeit gutheißen. Seit 2022 sind wir offiziell Partner der US-amerikanischen Organisation Animal Kind; von dort bekommen wir zweimal jährlich 3000 Dollar. Das reicht für Futter und Gehälter, nicht aber für einen Ausbau unseres Angebots.

Wer sind die Pferdebesitzer, mit denen Sie zu tun haben?

Die Besitzer gehören meist der Mittelschicht an; manchmal sind es auch Ausländer, die gar nicht das ganze Jahr über im Land leben. Pferde sind ein Statussymbol, besonders in muslimischen Kreisen, wo sie gerne bei Rennen und traditionellen Festen vorgezeigt werden. Den Rest des Jahres kümmern sich Stallburschen um die Tiere. In der Regel behandeln die Besitzer Pferde und Stallburschen gleich schlecht: Sie geben kein Geld für sie aus, und geschlafen wird im Stall. Wenn ein Tier stirbt, kauft man ein neues; geht ein Stallbursche, kommt der nächste. Um etwas Geld zu verdienen, vermieten die Stallburschen die Pferde manchmal zum Reiten am Strand.

Wie kommen die Tiere zu Ihnen?

Wir werden kontaktiert, wenn zum Beispiel ein Unfall auf der Rennbahn passiert. Da die Pferde-Community uns inzwischen kennt, werden wir auch bei sonstigen Problemen gefragt. Manchmal ruft uns auch einfach irgendjemand an, weil ein völlig geschwächtes Pferd an der Straße herumsteht.

Wie geht es dann weiter?

Dann beginnen die Verhandlungen mit dem Besitzer. Wenn klar ist, dass das Pferd unbrauchbar ist, wird es uns gerne überlassen. So wie Mister Key, ein vormals bekannter Rennhengst, der nach einem Rennen zusammengebrochen war und beide Vorderbeine verletzt hatte. Wir brauchten Monate, um ihn aufzupäppeln; mittlerweile aber trottet er wieder vergnügt über die Wiesen. In anderen Fällen ist es nicht so einfach. Ein überwiegend im Ausland lebender Ghanaer hatte uns seine zwei Pferde überlassen, weil er für Monate in seinem Herkunftsland Libanon war. Als er wiederkam, wollte er die Tiere zurück. Nun sind wir gerade dabei, Verträge aufzusetzen, damit wir verbindliche Vereinbarungen treffen können. Rein rechtlich gesehen könnten wir etwa 90 Prozent der Pferde aus Tierschutzgründen ihren Besitzern wegnehmen. Denn auch in Ghana gibt es ein eindeutiges Gesetz zum Tierschutz – nur leider setzt es niemand durch.

Ein anderer Teil Ihrer Arbeit ist Wissensvermittlung.

Diese läuft ebenfalls zäh – aber immerhin hat uns inzwischen der Renn-Club von Accra von sich aus kontaktiert, weil sie Schulungen wollten. Wir bieten Workshops an für Besitzer und Stallburschen, für Jockeys und für das Veterinär-Department. Dabei geht es unter anderem um Futterpläne und Pflege, aber auch um solche Dinge wie den Zusammenhang zwischen häuslicher Gewalt und Grausamkeit gegenüber Tieren.

Wie entstand der Name »The six Freedoms«?

»Five Freedoms« ist ein Konzept der britischen Tierrechtsaktivistin Ruth Harrison, das weltweit als Standard für die Bewertung von Tierwohl anerkannt ist. Wir haben den von ihr genannten fünf Freiheiten noch eine weitere hinzugefügt: die Freiheit von Besitzverhältnissen. An diesem Punkt halten wir es mit dem australischen Philosophen und Ethiker Peter Albert David Singer. Der sagte, dass Lebewesen nur von Gewalt befreit werden, wenn sie nicht mehr als Eigentum behandelt werden. Ein wirklich körperliches und mentales Wohlbefinden von Menschen und Tieren wird unserer Meinung nach nur ohne dieses selbstverständliche, kontrollierende Besitztum ermöglicht.

Wie viele Pferde sind in Ihrer Obhut?

Bei uns sind momentan acht Pferde. Wir hatten schon einmal mehr, aber ein paar haben wir verloren. Darunter zwei Stuten, die hochträchtig zu uns gekommen sind. Die eine wurde völlig heruntergekommen am Straßenrand gefunden und starb ein paar Monate nachdem sie ihr Fohlen geboren hatte an ihren chronischen Verletzungen; die andere starb kurz nach der Geburt. Die Fohlen konnten wir retten, die Mütter nicht.

Sie hatten von klein auf mit Pferden zu tun, aber nach Ghana kamen sie nicht der Pferde wegen.

Das ist richtig. Ich war vor Jahren im Urlaub in Ghana und hatte mich in das dortige Lebensgefühl verliebt, das es trotz aller autoritären Strukturen auch gibt: Die Leute machen sich nicht so viele Gedanken über gestern und morgen. Sie leben ihr Leben im Heute und sind dabei offen und freundlich auch gegenüber Fremden. In Ghana ist niemand allein; die Leute haben eine andere Vorstellung vom Zusammensein. So war ich die darauffolgenden Jahre jedes Jahr drei Monate lang in Ghana. Dann kam Corona: Ich war gerade wieder in Ghana und musste augenblicklich raus, weil der Flughafen geschlossen wurde. Die ersten Monate mit Lockdowns erlebte ich also in Deutschland und wusste: Das halte ich nicht aus. Ich habe alles gekündigt, die Wohnung, den Job, mein Auto verkauft und stieg in den ersten Flieger, der wieder nach Ghana flog. Dort hatte ich viel schneller als geplant einen Job in einem Möbelhaus. Und dann traf ich durch Zufall Ulla, unsere Gründerin, von der ich schon gehört hatte, dass sie sich um Pferde kümmert.

Und jetzt?

Momentan haben wir zwei Quartiere für unsere Pferde: das eine in der Hauptstadt Accra an der Atlantikküste, wo auch ich wohne; das zweite auf einer kleinen Farm in Asafo im Landesinneren. Das Problem ist: Beide Plätze sind eigentlich zu klein, und sie liegen zu weit auseinander. Asafo ist von Accra fast fünf Autostunden entfernt. Wir hätten gerne einen zentralen Ort mit genug Fläche. Wir würden auch gerne einen Anwalt bezahlen können, der mit uns die Verhandlungen und Verträge mit den Besitzern macht. Und dann vielleicht noch ein kleines Seminarzentrum, um unsere Fortbildungen zu professionalisieren. Dazu kommt, dass sich die Stimmung gerade ändert: Die Leichtigkeit verfliegt. Ghana galt lange als Vorzeigeland – jetzt gibt es Leute, die hungern. Wir haben eine gravierende Wirtschaftskrise, die ghanaische Währung Cedi sinkt im Wert, Preise und Auslandsschulden steigen, und die Regierung ist korrupt. Ghana ist ferner in der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas, und der Konflikt in Niger ist nicht weit. Obwohl die Mehrheit der Ghanaer äußerst geduldig ist, habe ich in letzter Zeit schon mehrmals gehört, dass das Militär vielleicht auch bei uns keine so schlechte Lösung wäre.

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