Simulierter Schilfgürtel soll den Lietzensee reinigen

2,4 Millionen Euro Fördermittel von der EU für Filterboxen mit Wasserpflanzen

Der simulierte Schilfgürtel nimmt Formen an, wie rechts im Bild zu sehen.
Der simulierte Schilfgürtel nimmt Formen an, wie rechts im Bild zu sehen.

Auf einer Wiese am Lietzensee sonnt sich am Montag eine junge Frau im Bikini, liest dabei ein Buch. Schräg gegenüber genießen ältere Kunden auf der Terrasse des Cafés »Bootshaus Stella« die Aussicht auf das von einem Park wunderschön eingerahmte Gewässer. Es ist, wenige Schritte vom üblichen Lärm und der Hektik der Millionenstadt Berlin entfernt, eine fast unglaubliche Idylle.

Doch dem See geht es schlecht. »Man muss keine Gewässerchemie studiert haben, um zu sehen: Der See ist hoch belastet«, sagt Experte Michael Blumberg. Die Sichttiefe liegt bei maximal 30 bis 40 Zentimetern. 0,05 Milligramm Phosphat pro Liter genügen, um das Wachstum von Algen, insbesondere von Blaualgen, derart anzuregen, dass es schon öfter zu einem Fischsterben gekommen ist. Das Problem bei dem eiszeitlichen Flachsee, der 1920 ausgebaggert wurde, ist nicht neu. Schon für das Jahr 1904 sei der Jammer von Anwohnern über die schlechte Wasserqualität belegt und darüber, dass der See stinke, erzählt Blumberg. Sein Göttinger Ingenieurbüro ist auf die Planung naturnaher Kläranlagen spezialisiert und hat im Zusammenwirken mit dem Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf eine Methode entwickelt, die den Lietzensee reinigen soll. Am Montag erläutert Blumberg das Verfahren. Christian Menz vom Umweltamt hofft, dass es bereits im kommenden Jahr Wirkung zeigt.

Im Moment werden auf 550 Metern Länge in Ufernähe sogenannte Geophyto-Filterboxen platziert, die unter anderem für eine Belüftung sorgen. Künftig soll sich der Lietzensee, der über keinen Zufluss verfügt und sich allein aus Regenwasser speist, vor allem durch Unterwasserpflanzen selbst reinigen. Doch in der trüben Brühe können sich diese Pflanzen vorerst überhaupt nicht entwickeln. Darum erst einmal die Filterboxen. Diese simulieren einen Schilfgürtel. Doch nur aus jeder vierten Box darf Röhricht herauswachsen. Das schreibt der Denkmalschutz vor, damit die Sichtachsen bewahrt bleiben.

Das Absurde dabei: Zu sehen ist nicht zuletzt nur eine Bretterwand, die das Ufer einfasst und wie der gesamte Lietzensee-Park unter Denkmalschutz steht. Darum ist ein natürlicher Schilfgürtel unmöglich, obwohl er für die Wasserqualität ein Segen wäre. Aus ökologischer Sicht sei die Bretterwand eine Katastrophe, erläutert Ingenieur Blumberg. »Es mussten wirklich schwer verdauliche Kompromisse mit dem Denkmalschutz geschlossen werden«, bedauert er. Dass sein Büro an einer individuellen Lösung tüfteln musste, ist aber nichts Neues. »Kein See ist wie der andere«, sagt Blumberg. Da gelte es immer, die jeweiligen Gegebenheiten zu berücksichtigen.

Typisch ist, dass bei Seen inmitten einer großen Stadt der Platz fehlt, um eine biologische Kläranlage ans Ufer zu setzen. Für den 6,4 Hektar großen See hätte sich so eine Kläranlage auf zwei Hektar erstreckt – und die stehen hier einfach nicht zur Verfügung. Schwierigkeiten wie hier gebe es weltweit, weiß Blumberg. Er kennt das etwa aus China, wo sein Ingenieurbüro ebenfalls tätig ist. Die mit dem Klimawandel höheren Temperaturen treiben das Algenwachstum weiter an.

Umweltstadtrat Oliver Schruoffeneger (Grüne) beklagt, der Gartendenkmalschutz führe bei Klimaanpassungsmaßnahmen wie hier am Lietzensee zu erheblichen Mehrkosten. Konkret müssen für das Projekt 2,4 Millionen Euro aufgewendet werden. Das sei eine Summe, die den Etat des Bezirks für die Pflege der Grünflächen sprengen würde. Geklappt hat es beim Lietzensee nur, weil Fördermittel der EU aufgetrieben werden konnten, mit denen alles bezahlt wird. »Aber das kann nicht die Struktur sein, mit der man in Berlin arbeitet«, findet Schruoffeneger. Für die Unterhaltung der Gewässer müsste der Senat seiner Ansicht nach extra Geld lockermachen. Dieser Forderung kann sich Charlottenburg-Wilmersdorfs Linksfraktionschef Frederike-Sophie Gronde-Brunner anschließen.

An wenigen Stellen im langgestreckten Lietzensee erlaubt der Denkmalschutz, Schilf normal anzupflanzen. Am Montag laden Arbeiter Schilf in Erdballen auf ein Floß. Im September soll alles fertig sein.

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