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Die dunkle Seite der Digitalisierung: Klimakiller Internet

Industrie, Forschung und Unterhaltung benötigen in der digitalisierten Gesellschaft immer mehr Ressourcen. Das führt auch zu einem rasanten Anstieg der Treibhausgasemissionen

Da Rechen- und Speicherkapazitäten nach wie vor extrem günstig zur Verfügung stehen, gibt es nur wenige Anreize, sparsam mit diesen Ressourcen umzugehen.
Da Rechen- und Speicherkapazitäten nach wie vor extrem günstig zur Verfügung stehen, gibt es nur wenige Anreize, sparsam mit diesen Ressourcen umzugehen.

Ob emsig im Büro, gestresst im Straßenverkehr oder gemütlich zu Hause auf dem Sofa – kaum eine technische Errungenschaft der vergangenen Jahrzehnte hat unseren Alltag so sehr verändert wie das Internet. Waren zur Jahrtausendwende gerade einmal 360 Millionen Menschen weltweit online, ist die Zahl im vergangenen Jahr auf mittlerweile über fünf Milliarden angestiegen. Von Kommunikation über Navigation bis zur Wissensvermittlung ermöglicht das Internet unzähligen Menschen eine zuvor unbekannte Teilhabe. Doch so viele Vorteile die Vernetzung der Welt auch mit sich bringt, birgt sie ebenso Schattenseiten. Denn die Digitalisierung nahezu aller Lebensbereiche und mit ihr die ständige Verfügbarkeit sämtlicher Dienste lässt sich nicht trennen von dem Ressourcenverbrauch, der für die bloße Bereitstellung der entsprechenden Infrastruktur vonnöten ist. Was das heißt? Wäre das Internet ein Land, hätte es im Jahr 2020 mit 2,8 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes Platz Sechs der zehn größten Treibhausgas-Emittenten des Planeten belegt. Zum Vergleich: Deutschland lag im selben Jahr mit einem Verbrauch von etwa 730 Millionen Tonnen CO2 auf Platz Acht.

Diese Zunahme des Energieverbrauchs spiegelt sich auch im Anstieg der weltweiten Datenmenge wider. Diese belief sich nach Schätzungen des Bundesamts für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im Jahr 2020 auf über 50 Zetabyte. Das sind 50 Billionen Gigabyte, eine Zahl mit 21 Nullen. Etwas weniger abstrakt formuliert es das BMWK: »Würde man diese Datenmenge auf Dvds speichern, wäre der Stapel 2,6 Millionen Kilometer hoch – das entspricht dem 63-fachen Umfang unserer Erde.« Doch damit nicht genug: Für das Jahr 2025 geht das Marktforschungs- und Beratungsunternehmen International Data Corporation (IDC) von einem 25,5-fachen Anstieg des weltweiten Datenvolumens auf dann 175 Zetabyte aus. Schätzungen zufolge verdoppelt sich alle drei Jahre die Menge der von der Menschheit produzierten Daten.

Diese müssen nicht nur irgendwo gespeichert, sondern ebenfalls verarbeitet und weitergeleitet werden, ansonsten bleiben sie nutzlos. Die dafür nötige digitale Infrastruktur lässt sich grob gesagt in zwei Bereiche einteilen. In Rechenzentren werden die Daten nutzbar gemacht sowie gespeichert und dann via Datennetze an die jeweiligen Kund*innen weitergeleitet. Während bei mobilen Endgeräten wie Laptops oder Smartphones gut 80 Prozent des Energieverbrauchs in Form von Treibhausgasemissionen auf die Herstellung und der Rest auf den laufenden Betrieb fällt, ist es im Bereich der digitalen Infrastruktur genau umgekehrt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass in Rechenzentren Server und Storages (Speicherlösungen im IT-Umfeld) durchgängig in Betrieb sind – und damit beständig Energie verbrauchen. Da jede noch so kleine Anfrage bei einer Suchmaschine, jede E-Mail genauso wie jedes Instagram-Reel zu jeder Uhrzeit als Datenpaket verpackt durch Rechenzentren und die dort befindlichen Server laufen müssen, lassen sich diese nur schwerlich nach Feierabend ausschalten.

Unternehmen fehlt der Überblick über ihre Daten

Rechenzentren gibt es dabei in den verschiedensten Ausmaßen. Die Spannbreite reicht von kleinen Firmen, die ihre E-Mail-Kommunikation damit abwickeln, über Hochchschulrechenzentren, die darüber ihre Forschung laufen lassen, bis hin zu Automobilkonzernen, die darüber ihre Produktionsstraßen betreiben. Und dann gibt es noch die sogenannten Hyperscale-Rechenzentren, die ganze Logistikhallen füllen und über die etwa Cloud-Computing, Hosting oder Streaming-Dienste angeboten werden. Simon Hinterholzer ist Forscher beim Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit, wo schon seit 15 Jahren der Energieverbrauch von Rechenzentren in Deutschland untersucht wird. »Von den Skalen der Umweltwirkung sind diese vergleichbar von einem Privathaushalt bis hin zu einer Klein- oder mittelgroßen Stadt«, sagt er dem »nd«. Bislang seien Rechenzentren gesetzlich noch nicht dazu verpflichtet, ihren Verbrauch anzugeben. Unter anderem für den Verband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche Bitkom haben Hinterholzer und sein Team daher in einer Studie genau diesen untersucht. Das Ergebnis: Für den Zeitraum von 2012 bis 2022 kann die Branche einen Anstieg der IT-Anschlussleistung um 90 Prozent aufweisen. Damit einher geht für den genannten Zeitraum allerdings auch ein Anstieg des Strombedarfs der bundesweit etwa 50 000 Rechenzentren. Von elf Milliarden Kilowattstunden im Jahr 2011 auf 18 Milliarden Kilowattstunden im vergangenen Jahr.

Hinterholzer verweist auf die Nachhaltigkeitsberichte der großen Tech-Unternehmen Amazon, Alphabet und Meta, denen zu entnehmen ist, dass deren Rechenzentren bereits zu einem großen Teil mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Da Windkraft- und Photovoltaikanlagen jedoch nicht zu jedem Zeitpunkt Strom produzieren beziehungsweise dieser nicht gespeichert werden könne, die Infrastruktur dennoch rund um die Uhr versorgt sein müsse, »schafft es hierzulande heute noch keines der Rechenzentren nachzuweisen, dass ihr Strom auch zu jeder Stunde aus grünen Quellen kommt«. Auf einem ganz anderen Blatt steht, dass insbesondere die großen Hyperscale-Rechenzentren neben Strom zum Betrieb ebenfalls Unmengen an Wasser zur Kühlung ihrer Server verbrauchen.

Wofür genau welches Unternehmen wie viel Speicherplatz und Rechenzentrenkapazität aufbringt, lässt sich indes nur schwer beantworten. Weit verbreitet ist aber die Vorstellung, entsprechende Ressourcen stünden nahezu endlos zur Verfügung. Das gilt insbesondere für den Bereich des Cloud-Computing. Die Folge: »Stehen Rechenkapazitäten extrem günstig zur Verfügung, gibt es nur wenige Anreize, sparsam mit diesen Ressourcen umzugehen«, so Hinterholzer. Laut dem kalifornischen Tech-Unternehmen Veritas tun sich insbesondere deutsche Unternehmen beim inflationären Umgang mit Daten hervor. Schätzungen zufolge soll es sich bei 66 Prozent aller von hierzulande ansässigen Unternehmen gespeicherten Daten um Fälle von »dark data« handeln. Gemeint sind damit Datensätze, von deren Existenz die Unternehmen nichts wissen, weil sie entweder nicht zu gebrauchen, veraltet, überflüssig oder schlichtweg in mehrfacher Ausführung vorhanden sind.

Enormer Energieverbrauch durch Tracking und Cookies

Anne Mollen von der gemeinnützigen Organisation Algorithm Watch kennt solche Beispiele aus dem KI-Bereich. Bei Hochschulen, mittelständischen Unternehmen aber auch Großunternehmen sei es bisher nicht etabliert, KI-Systeme schlank zu halten. »Da werden einfach neue Server gekauft, statt dafür zu sensibilisieren, ressourcensparender zu programmieren«, sagt sie dem »nd«. Insbesondere Sprachmodelle wie ChatGPT benötigten enorm viel Energie, »vor allem vor dem Hintergrund, dass die großen Tech-Unternehmen recht emissionsarme Rechenzentren nutzen«. Bislang galt hauptsächlich die Entwicklungs- und Trainingsphase der entsprechenden Modelle als sehr ressourcenaufwendig. Den Verbrauch in der sogenannten Inferenzphase, also der konkreten Anwendung, bezeichnen die Hersteller*innen hingegen als extrem gering. Es möge zwar zutreffen, sagt Mollen, dass der Energieverbrauch der einzelnen Inferenz verschwindend gering sei. Nur relativiere sich dieser geringe Verbrauch je Vorgang, wenn »dieser pro Tag milliardenfach ausgeführt wird«. Gestützt werden ihre Aussagen aus der Branche selbst. So äußerten bereits im Jahr 2019 Jen-Hsun Huang, CEO des Prozessorherstellers Nvidia, sowie Jeff Barr vom Cloud-Computing-Anbieter Amazon Web Services (AWS), dass beim maschinellen Lernen tatsächlich etwa 90 Prozent des Energieverbrauches auf eben jene Inferenzphase abfalle.

Ähnlich verhält es sich auch mit anderen Digitalanwendungen, die aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken sind. Dem französischen Thinktank The Shift Project zufolge setzt eine einzelne Google-Suche zwar einen verschwindend geringen Ausstoß von 0,2 Gramm CO2 aus. Nur gibt es weltweit mehr als 3,5 Milliarden solcher Suchanfragen – pro Tag. Noch mehr Energiebedarf veranschlagt das Streamen. Bereits eine halbe Stunde Videoübertragung auf Netflix verursacht 1,6 Kilogramm Emissionen. Das ist in etwa vergleichbar mit einer sechs Kilometer langen Autofahrt. Mit 1,5 Gramm CO2 pro Stunde ist das Streaming über einen Glasfaserkabelanschluss am sparsamsten, über das mobile 5G-Funknetz sind es bereits fünf Gramm. Einen Unterschied macht auch die Qualität: Benötigt ein einstündiges HD-Video 700 Megabyte Speicherplatz, verzehnfacht sich das Datenvolumen bei der Auflösung in Ultra-HD auf sieben Gigabyte.

Offen bleibt die Frage, wer für die auch in Zukunft steigenden Umweltkosten der Digitalisierung die Verantwortung tragen wird. Man könnte es sich einfach machen und an die Moral der Verbraucher*innen appellieren, insgesamt doch weniger Netflix, ChatGPT und Suchmaschinen zu nutzen; sich beim Streamen mit geringerer Auflösung zufriedenzugeben und nur noch den Sonntagabendkrimi in Ultra-HD-Qualität zu genießen. Man könnte aber auch politische Lösungen suchen und beispielsweise die großen Tech-Konzerne auffordern, ihren Teil beizutragen. Etwa, indem sie ihre Geschäftsmodelle anpassen und das Speichern von Cookies unterlassen, mit denen das Verhalten von Nutzer*innen zu Werbezwecken überwacht wird. Schätzungen des niederländischen Forschungsinstituts CE Delft zufolge erzeugen allein die Tracking- und Werbeaktivitäten mobiler Apps innerhalb der Europäischen Union jährlich Datenströme zwischen 29,6 und 50,4 Milliarden Gigabyte. Das entspricht CO2-Emissionen von fünf bis 14 Millionen Tonnen: So viel, wie 950 000 Menschen im Jahr produzieren.

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