- Politik
- Rentenreform in Frankreich
Länger arbeiten bis zur Rente
In Frankreich tritt Macrons umstrittene Reform in Kraft. Linke kämpfen weiter für Änderungen
Als Emmanuel Macron am Mittwoch die führenden Vertreter der im Parlament vertretenen Parteien zum Gespräch einlud, um seine politische Agenda für die kommenden Monate vorzustellen, sollte das Kooperationsbereitschaft signalisieren. Doch als die linken Parteien und Bewegungen das wörtlich nahmen und ein Referendum über die Rentenreform forderten, wischte Frankreichs Präsident das Ansinnen als abwegig vom Tisch.
Sieger Macron kann sich das leisten. Für ihn ist die Rentenreform bereits Geschichte. Damit wird für die Franzosen vieles anders. Ab sofort rückt das Rentenalter für jeden dafür in Frage kommenden Jahrgang um drei Monate nach hinten, bis es von derzeit 62 Jahren auf 64 Jahre geklettert ist. Die neuen Regeln gelten für alle Franzosen, denn die rund vier Dutzend Sonderrentenregimes für einzelne Berufsgruppen – von den Eisenbahnern der Staatsbahn SNCF über die vereidigten Schreiber der Notariate bis zu den Tänzerinnen der Pariser Oper – laufen aus. In ihren Genuss kommt nach der »Großvaterregel« nur, wer schon Mitglied ist, denn ab heute wird niemand mehr neu aufgenommen.
Es ist aber bereits absehbar, dass die Reform nicht reibungslos anlaufen wird. Die Ministerdekrete, die die Anleitung für die Umsetzung des komplizierten Reformgesetzes in die Praxis darstellen, sind längst noch nicht alle erschienen und damit noch nicht in Kraft getreten.
»Die Folge ist eine höchst unbefriedigende Situation, sowohl für die Angestellten der Rentenkassen als auch für die Betroffenen, die Auskunft über ihre heutige und künftige Situation suchen«, sagte die CFDT-Nationalsekretärin Florence Puget, die in ihrer Gewerkschaft für den Bereich Beschäftigung und soziale Absicherung zuständig ist. »Die Rentenreform ist nicht nur von Grund auf ungerecht, die Fristen für ihre Einführung sind auch viel zu kurz. Für einen reibungslosen Übergang hätte man mindestens sechs Monate mehr gebraucht.«
Im Ergebnis werden die Internetseiten und die Telefone der CFDT und der anderen Gewerkschaften durch Massen von Ratsuchenden belagert. Besonders viele Fragen gibt es zu den »Härtefallregelungen« für Beschäftigte mit besonders langer oder besonders komplizierter Berufslaufbahn mit vielen kurzzeitigen prekären Jobs und Phasen von Arbeitslosigkeit.
Inzwischen scheinen sich die meisten Franzosen notgedrungen mit der Rentenreform abgefunden zu haben. Eine Minderheit teilt die Überzeugung von Präsident Macron und der Regierung, dass die Reform unbedingt nötig ist, um das Solidarprinzip der Rentenversicherung aufrechtzuerhalten. Doch es gibt auch weiterhin Widerstand, der vor allem von den linken Parteien und den Gewerkschaften getragen wird.
Für sie ist die wichtigste Lehre aus den Aktionen der zurückliegenden Monate, dass eine Einheitsfront der Gewerkschaften möglich und überaus wichtig ist. Die zweite Lehre ist, dass kurzzeitige Streiks, zumal wenn sie nur von den unkündbaren Beschäftigten der öffentlichen Dienste und Unternehmen – stellvertretend auch für die um ihre Jobs fürchtenden Beschäftigten der Privatwirtschaft – getragen werden, nicht ausreichen. Um Wirkung zu zeigen, sind viel massivere, längere und vor allem auf vitale Bereiche konzentrierte Streiks nötig.
Sophie Binet, Generalsekretärin der Gewerkschaft CGT, schätzt ein, dass der Kampf gegen die Rentenreform kein Erfolg war, dass aber »der Preis für Emmanuel Macron und seine Regierung hoch ist und die verbliebenen vier Jahre seiner Amtszeit höchst kompliziert werden«. Durch die mit Gewalt durchgedrückte Rentenreform habe er das Vertrauen vieler seiner Wähler verloren.
»Wir werden alle Hebel und alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um weiterhin die Rentenreform als brutal, ungerecht und unnötig zu entlarven und ihre Umsetzung zu behindern«, sagte Binet. Die nächsten Felder des Kampfes sind die bevorstehenden Verhandlungen zwischen den Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden über die Bedingungen für Frührente sowie für die Anrechnung der Zeiten für Lehre oder Studium und der Jahre der Arbeit unter extrem schweren Bedingungen. Die CGT-Generalsekretärin setzt Hoffnung in künftige politische Veränderungen, denn jede neue Regierung könne »wieder rückgängig machen, was diese Regierung durchgedrückt hat«.
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