Berliner Gefängnistheater: King Kong und Vorstadtfriseur

Das Gefängnistheater aufBruch bringt Brechts »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« zur Aufführung

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.
Nach der Arbeit im Knast auf die Bühne im Hof der JVA Tegel: Gefangene geben Brechts »Arturo Ui«.
Nach der Arbeit im Knast auf die Bühne im Hof der JVA Tegel: Gefangene geben Brechts »Arturo Ui«.

Nach der Vorstellung ist die Zeit für Witze. Noch in schwarzer Uniform mit Armbinde gekleidet, wirkt der berüchtigte Gangsterboss, der mit der Erpressung kleiner Händler beginnend zur Geiselnahme der gesamten Gesellschaft ermuntert wurde, nun ausgesprochen freundlich. Wenn es während der Vorstellung gerumpelt hat, so war das Brecht, der sich im Grabe umgedreht hat, sagt er und lacht. Solche Witze kann nur reißen, der weiß, dass das Gegenteil richtig ist. Es ist tatsächlich schwer vorstellbar, dass allein der Gedanke, seine Stücke würden in einem Gefängnis von den Insassen aufgeführt, Brecht nicht vor Freude im Grab rotieren ließe.

Und überhaupt: Gefallen muss die Aufführung dem Publikum, nicht den toten Autoritäten (das hätte Brecht nicht anders gesehen). Und das tut es, der kräftige Applaus hallt von den Gefängniswänden wider und erhebt sich in den Abendhimmel. Je dunkler es am Horizont wird, desto düsterer wird es auch im Stück. Spielort ist der Hof der JVA Tegel im Norden Berlins, mit Blick auf vergitterte Fenster und hohe Mauern mit Stacheldraht. Den kürzesten Nachhauseweg hat neben den Darstellern eine Gruppe in der hinteren Reihe, die nach dem Schlussapplaus den Weg in die Zellen antreten muss. Beim Gefängnistheater aufBruch treffen die Welt »drinnen« und die Welt »draußen« aufeinander. Sie werden verbunden durch das, was auf der Bühne passiert.

Das Stück, das man sich ausgesucht hat, ist kein einfaches. Brechts »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« ist einerseits eine Gangsterklamotte in Chicago, andererseits eine kaum verschlüsselte Schilderung von Hitlers Aufstieg in der Kulissendemokratie der Zwischenkriegszeit. Brecht zeigt das Verhalten der Verbrecher, das kundige Publikum erkennt darin das Vorgehen der Nazis. Eine harmlose Kritik, bliebe es dabei. Bei Brecht kommt aber etwas dazu: der Monopolkapitalismus. Die Macht der großen Trusts ist wackelig, sie kann sich nur erhalten, indem sie immer mehr Mehrwert abpressen. Und immer aggressiver. Das setzt die ökonomisch und politisch rückständigen Junker gehörig unter Druck, die – um nicht unterzugehen – nun auch aggressiver werden müssen.

»Die Rohheit kommt nicht von der Rohheit, sondern von den Geschäften, die ohne sie nicht mehr gemacht werden können«, so hat es Brecht einmal formuliert. Für die heutige sozial-ökologische Kriegswirtschaft der »Fortschrittskoalition« gibt es immerhin eine neue Edition Etiketten (»feministische Außenpolitik« etc.), die die Rohheit – von der Wirtschaftskrise über den Staatsumbau bis zum Krieg – verbergen sollen, sonst hat sich wenig geändert. Das betrifft auch das »aufhaltsam« im Titel des Stücks. Bekanntlich zeigt Brecht nicht, wie der Aufstieg des Arturo Ui gestoppt werden kann, er zeigt nur, wie groß die Aufgabe ist. Noch etwas, das nichts an der stets überstrapazierten Aktualität verloren hat.

Im Gefängnis ist die allererste Aufgabe naheliegender, nämlich das Stück zur Aufführung zu bringen. Wieder einmal waren es mehrere Wochen mit aufreibenden Proben, die für die Inhaftierten nach der Arbeit stattfinden. Nicht nur der Text will gelernt sein, auch das Drehen der wie aufgeschnittene Container wirkenden Bühnenelemente von Holger Syrbe. So wechselt die Szenerie, von der Börse zur Bar, während Musiker der 17 Hippies mit Schlagwerk, Tuba und Akkordeon dazu beschwingt aufspielen. Wundervoll sind die Lieder – darunter »Lili Marleen« und die »Ballade von der Wohltätigkeit« von Hanns Eisler –, die das Ensemble zusammen singt. Auch setzt Regisseur Peter Atanassow – wie gewohnt, aber vergleichsweise weniger – auf wuchtige chorische Passagen.

Syrbe, Atanassow und der Produktionsleiterin Sibylle Arndt ist es – wieder einmal! – gelungen, eine großartige Truppe zu formen, eine Mischung aus Alten und Neuen, in der jeder seinen eigenen großen oder kleinen Auftritt hat. Es steht und fällt – hier steht es – mit der Figur des Arturo Ui, der an dem Abend doppelt besetzt ist. So wird die Szene, als Arturo Ui beim Versuch, den »hohen Stil« eines Schauspielers zu kopieren, seine groteske Gestik erwirbt (unvergesslich: Martin Wuttkes Darstellung im Berliner Ensemble), als ein deutliches Vorher-Nachher inszeniert. Theodor W. Adorno beschrieb Hitler als »Verbindung von King Kong und Vorstadtfriseur«. Zwischen roher Körperlichkeit und aufdrehender Geltungssucht, genau das gelingt beiden Darstellern glänzend.

Eine Art Generalprobe war es auch: Für das nächste Jahr hat man sich in der JVA Tegel »Die Dreigroschenoper« vorgenommen, zusammen mit dem Großteil der Schauspieler, wie man hofft. Vormerken schadet nicht, die Karten sind begehrt. Die Vorstellungen von »Arturo Ui« sind restlos ausverkauft.

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