Das Wasserstoff-Problem der Stadtwerke

Beim Kongress in Köln geht es vor allem um die kommunale Infrastrukturplanung für die Wärmewende

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Programm liest sich wie immer: Unterteilt in Dutzende »Halte«, »Break-outs«, Workshops und Politiker-Grußworte, befasst sich der Stadtwerkekongress zwei Tage lang mit Fragen rund um die Wärmewende, mit Cyber-Sicherheit und Fachkräftemangel. Vom »Familientreffen« der kommunalen Wirtschaft sprach Ingbert Liebing, Chef des veranstaltenden Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), bei einem Medientermin.

2023 sieht sich die »Familie« allerdings mit ungewöhnlichen Aktionen konfrontiert. Aktivist*innen von Umweltorganisationen und Klimagruppen forderten am Montag vor den Geschäftsstellen einiger Stadtwerke sowie am Dienstag vor dem Kongressort, »ihre« Stadtwerke sollten der Gaslobby den Rücken kehren.

Der Hintergrund: Noch etwa 80 kommunale Unternehmen sollen Mitglied bei »Zukunft Gas« sein. Mitgliedsbeiträge für den fossilen Lobbyverband widersprächen dem Gemeinwohlauftrag der Stadtwerke, kritisieren Aktivist*innen. »Zukunft Gas« setze sich einseitig für Interessen großer Gaskonzerne ein, sagen sie. Man begrüße, dass Stadtwerke sich aktiv in die Politik einbringen, meint Henning Peters vom Umweltinstitut München, das Mitinitiator der Proteste ist. Es sei aber nicht in Ordnung, wenn über Mitgliedsbeiträge ein Lobbyverband finanziert werde, der mit realitätsfernen Versprechungen den Ausstieg aus den fossilen Energien verzögern möchte.

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Bisher sollen – auch wegen der seit Monaten anhaltenden Kritik – mehr als 25 kommunale Unternehmen aus »Zukunft Gas« ausgetreten sein. Offizielle Zahlen sind nicht bekannt. Wie zu hören ist, soll die Lobbyorganisation auch Mitgliedschaften ermöglichen, die nicht öffentlich mitgeteilt werden. Insgesamt gibt es in Deutschland mehr als 500 kleinere und größere Stadtwerke, andere Quellen sprechen von bis zu 1000 kommunalen Unternehmen in diesem Bereich.

VKU-Chef Ingbert Liebing kann dem Anti-Gaslobby-Protest nichts abgewinnen. Die Gasverteilnetzbetreiber arbeiteten daran, dort auf Wasserstoff umzustellen, wo es Sinn ergebe und die kommunale Wärmeplanung es vorsehe, erläutert er. »Das ist die Aufgabe, die wir in Konsequenz der geltenden Rechtslage – Klimaneutralität 2045 – haben. Und da arbeiten wir auch mit ›Zukunft Gas‹ zusammen«, betont der VKU-Chef auf Nachfrage. Der Gas-Verband organisiere die Umstellung auf Wasserstoff mit, deswegen seien viele Stadtwerke dort Mitglied, so Liebing weiter. Den Vorwurf an diese Stadtwerke sowie an »Zukunft Gas«, sie würden nur an der fossilen Gaswirtschaft festhalten, hält er für »schlichtweg falsch«.

Die Debatte um die Bedeutung von Wasserstoff bei der Wärmewende ist ein Schwerpunkt des Kongresses. Für Andreas Feicht, Vorstandschef des gastgebenden Kölner Unternehmens Rheinenergie, ist dies vor allem eine Sache kommender Infrastrukturplanung, bei der es um vier Fragen gehe: Wo soll es künftig Fernwärme geben? Wo sollen, abhängig vom Zustand des Stromnetzes, Wärmepumpen hin? Und wo können sogenannte Inselnetze entstehen, in denen Wohn- und Stadtquartiere ihre Wärmeversorgung selbst sichern? Außerdem warnt der Rheinenergie-Chef: »Die Einschätzung, dass diejenigen, die sich an die Fernwärme anschließen, ihre Gebäude nicht mehr sanieren müssen, ist falsch.« Fernwärme könne Sanierungskosten lediglich senken.

Derzeit liefert Rheinenergie in Köln jährlich eine Milliarde Kilowattstunden Fernwärme. Künftig geht das Unternehmen von 1,4 Milliarden aus. Würden aber die Gebäude, die man für Fernwärme im Blick habe, nicht energetisch saniert, würden 1,8 Milliarden Kilowattstunden Wärmeenergie benötigt, so Feicht. Das würde zu erheblichen Mehrkosten führen, die dann über Heizungskosten zu bezahlen wären.

Alles in allem will Rheinenergie in den nächsten Jahren das Kölner Fernwärmenetz von 370 Kilometern um 200 Kilometer erweitern. Die klimaneutrale Wärmeeinspeisung werde dabei vor allem durch Großwärmepumpen gesichert, sagte Feicht. Dafür müsse wiederum das Stromnetz ertüchtigt werden, darunter mit einem 110-Kilovolt-Netz in der Stadt. Das werde für Wärmepumpen wie für E-Autos gebraucht.

»Es gibt aber Gebiete in einer Stadt, wo weder Fernwärme noch Wärmepumpen eine Rolle spielen werden«, betonte der Stadtwerke-Chef. Für Feicht stellt sich deswegen eine weitere und, wie er sagte, für ihn am schwierigsten zu beantwortende Frage: Soll auch Wasserstoff im Heizungskeller und dann auch im Gasverteilnetz eine Rolle spielen?

Gerade bei diesem Thema hadert VKU-Chef Liebing mit dem gerade beschlossenen Gebäudeenergiegesetz (GEG). Laut diesem haben die Netzbetreiber – in Kooperation mit der Kommune – verbindliche Fahrpläne zur Umstellung des Gasnetzes auf Wasserstoff vorzulegen, spätestens bis Ende 2028. Für den VKU-Chef stellt das einen gewissen »Systembruch« dar. Ein Netzbetreiber solle Liefergarantien geben; das könne er nicht und dürfe es rechtlich auch nicht, sagte Liebing. Zudem werde auf europäischer Ebene gegenwärtig die wettwerbsrechtliche Vorschrift diskutiert, dass Betreiber von Gasnetzen nicht auch noch Netze für Wasserstoff betreiben dürfen. Sollte sich die EU-Kommission damit durchsetzen, würde die entsprechende Konstruktion im GEG »auseinanderfliegen«, warnte Liebing. Dann seien verbindliche Wasserstoff-Fahrpläne von den Netzbetreibern nicht mehr erstellbar.

Mit Wasserstoff haben auch die Aktivist*innen ein Problem, wenngleich das eher genereller Natur ist. So erwecke »Zukunft Gas« den Eindruck, Erdgasheizungen seien klimaneutral, weil sie in Zukunft theoretisch auch grünen Wasserstoff oder Biomethan verbrennen könnten, kritisiert das Umweltinstitut München. Wichtige Studien sähen jedoch keine Nutzung von Wasserstoff für Raumwärme in Einzelhaushalten vor. Für fehlinformierte Hausbesitzer*innen könne die Investition in eine »H2-ready-Gasheizung« so schnell zur Kostenfalle werden.

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