Peronisten schlagen sich selbst

Die innerparteilichen Konflikte waren den Wählern nicht mehr vermittelbar

  • Gerhard Dilger, Buenos Aires
  • Lesedauer: 4 Min.
Anhänger von Sergio Massa trauern nach der verlorenen Wahl
Anhänger von Sergio Massa trauern nach der verlorenen Wahl

In der Siegesrede vor seinen begeisterten Anhängern zählte Javier Milei die folgenden »monumentalen Probleme« auf, die es jetzt zu lösen gelte: »Inflation, wirtschaftlicher Stillstand, das Fehlen echter Arbeitsplätze, Unsicherheit, Armutund Elend«. Dieser unvollständigen Aufzählung lässt sich kaum widersprechen. Dafür haben die Argentinier*innen ja die regierenden Peronisten in unerwarteter Deutlichkeit abgestraft: In gerade drei Provinzen – neben Buenos Aires  noch Santiago del Estero und Formosa im armen Norden – lag Wirtschaftsminister Sergio Massa vor seinem ultraliberalen Kontrahenten. 

Was ist den vergangenen Jahren für den Peronismus schief gelaufen? Ein Jahr  lang galt die einsame Entscheidung von Ex-Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner, im Mai 2019 als Einheitskandidaten den gemäßigten Albert Fernández ins Rennen zu schicken, als meisterlicher Schachzug. Alberto, ein enger Vertrauter des verstorbenen Staatschefs Néstor Kirchner (2003-07), gewann prompt im ersten Wahlgang gegen den rechten Amtsinhaber Mauricio Macri. 

Skandale bei den Peronisten

Cristina (nicht mit Alberto verwandt), das politische Schwergewicht des Peronismus, wollte als Vizepräsidentin und Senatspräsidentin weiterhin die Strippen ziehen. Einen Wahlsieg hatte sich die nach ihrer zweiten Amtszeit (2011-2015) nur noch bei der eigenen Basis populäre Linksperonistin wohl selbst nicht zugetraut. 

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Alberto, der damit kokettierte, ihm stehe Bob Dylan näher als Übervater Juan Domingo Perón, startete souverän in die Corona-Pandemie. Ganz anders als Milei-Freund Jair Bolsonaro in Brasilien setzte er auf einen langen Lockdown, ließ die Kapazität von Krankenbetten ausbauen und erklärte jede Maßnahme pädagogisch. Im Mai 2020 erreichte seine Popularität einen Höchstwert von 70 Prozent. Im Februar 2021 wurde bekannt, dass ein Teil der knappen Impfstoffe an gute Bekannte verteilt wurden, der Gesundheitsminister musste gehen. Ein halbes Jahr später wurden der Presse Videos von einer illegalen Geburtsparty der First Lady zugespielt – damit wurde die Covid-Politik des Präsidenten vollends unglaubwürdig, Boris Johnsons Umgang mit seiner Party lässt grüßen. 

Innerparteiliche Konflikte schaden der Partei

Parallel dazu gelang es dem Gespann Fernández/Fernández immer weniger, seine Differenzen kollegial auszutragen. Obwohl Wirtschaftsminister Martín Guzmán, ein politisch unerfahrener Technokrat, sich in den Umschuldungsverhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds achtbar schlug, entzog die Vizepräsidentin ihm – und dem Staatschef – ihr Vertrauen. Sohn Máximo Kirchner trat als Chef der Regierungsfraktion im Abgeordnetenhaus zurück und stimmte mit großen Tamtam gegen eine Vereinbarung mit dem IWF, die dank der Stimmen der rechten Opposition angenommen wurde. 

Guzmán warf aufgrund des Drucks »von links« im Juli 2022 entnervt das Handtuch. Dass Nach-Nachfolger Sergio Massa, allerdings mit der Rückdeckung Cristinas, ganz ähnlich wie Guzmán mit dem IWF weiterverhandelte, beweist die Absurdität der innerperonistischen Konflikte, die der staunenden Wählerschaft kaum noch zu vermitteln waren.

Mauricio Maori verhalf Milei zum Erfolg

»Massa ist ein schlechter Schauspieler, keiner nimmt ihm ab, was er sagt«, erklärt der Soziologe und Essayist Alejandro Horowicz die Niederlage vom Sonntag. In seinem aktuellen Buch »Der entwaffnete Kirchnerismus« bekräftigt der linke Peronismus-Spezialist seine alte These, dass schon vor dem Beginn der letzten Militärdiktatur 1976 die Austeritätspolitik zur Staatsraison wurde: So oder so werde die Wahl von der »Nationalen Kürzungspartei« gewonnen, sagte Horowicz im Juli voraus. 

»Die Formel ›Die Politiker sind Scheiße‹ ist ein Ausdruck der entpolitisierten, aber verständlichen kollektiven Wahrnehmung«, schreibt Horowicz. Damit sei auch klar, was die große Mehrheit der Argentinier*innen von den bis dato letzten drei Staatschefs (Cristina, Macri und Alberto) halte, die 2023 allesamt nicht antraten. 

Die bittere Ironie dabei: Ausgerechnet der rechte Strippenzieher Mauricio Macri wurde nun zur Schlüsselfigur für den Erfolg Mileis. Sofort nach dem ersten Wahlgang hatte er sich mit dem ultraliberalen Exzentriker (30 Prozent) verbündet, um Massa (36,7 Prozent) zu überrunden. Klar, dass sich Milei zu Beginn seiner Siegesrede bei seiner vor vier Wochen unterlegenen Rivalin Patricia Bullrich und bei Macri für deren »selbstlose, großmütige« Hilfe bedankte. 

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