Umstrittenes Urteil gegen Vizepräsidentin Cristina Kirchner

Argentiniens Vizepräsidentin wird wegen Korruption verurteilt

  • Jürgen Vogt, Buenos Aires
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Bundesrichter blieben unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß von zwölf Jahren: In erster Instanz verurteilten sie Argentiniens Vizepräsidentin Cristina Kirchner am Dienstag zu einer Haftstrafe von sechs Jahren. Die Bundesrichter in Buenos Aires sahen es als erwiesen an, dass sich Kirchner der Korruption und des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht hat. Zudem verhängten die drei Richter ein lebenslanges Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter. Da Kirchner als Vizepräsidentin Immunität besitzt, muss sie nicht ins Gefängnis.

Die Staatsanwaltschaft hatte Cristina Kirchner die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen, deren Chefin sie gewesen sein soll. Dieser Anklagepunkt war von den Richtern mehrheitlich verworfen worden. Acht der zwölf Mitangeklagten wurden zu Haftstrafen zwischen vier und sechs Jahren verurteilt. Vier wurden freigesprochen. –

In dem öffentlichen Verfahren ging es um 51 Straßenbauprojekte in der Provinz Santa Cruz, deren Aufträge vor allem die Baufirma Austral Construcciones des Unternehmers Lázaro Báez in den Jahren 2003 bis 2015 von den damaligen Kirchner-Regierungen (Néstor Kirchner 2003–2007, Cristina Kirchner 2007–2015) erhalten hatte. Dabei handelte es sich um eine Summe von umgerechnet knapp einer Milliarde Euro. Báez erhielt eine sechsjährige Haftstrafe.

Nach Auffassung des Gerichts »lag ein außerordentliches betrügerisches Manöver vor, das die Vermögensinteressen der nationalen öffentlichen Verwaltung strafrechtlich schädigte« und dass die Vizepräsidentin Cristina Kirchner »ein offensichtliches Interesse an dem kriminellen Plan« hatte, erklärten die Richter. Die Urteilsbegründung wird im kommenden März verlesen.

Cristina Kirchner hatte der Urteilsverkündung von ihrem Senatsbüro im Kongressgebäude zugeschaut. Anschließend meldete sie sich über ihren Kanal in den sozialen Medien zu Wort, wies abermals jegliche Schuld von sich und griff die Justiz an. »Dieses Urteil hat seinen Ursprung im Parallelstaat einer mafiösen Justiz.« Überraschend kündigte sie an, nach dem Ende ihrer Amtszeit für keinerlei weitere Ämter mehr kandidieren zu wollen. »Am 10. Dezember 2023 werde ich ohne Immunität nach Hause gehen und, wenn sie mich einsperren wollen, dann sollen sie es tun«, sagte Kircher selbstbewusst.

Ganz ähnlich äußerte sich auch der Präsident: »Heute wurde in Argentinien eine unschuldige Person verurteilt«, twitterte Alberto Fernández. »Jemand, den die Machthaber über die Medien zu stigmatisieren versuchten und durch selbstgefällige Richter verfolgten, die an Wochenenden in Privatflugzeugen und Luxusvillen herumsitzen.« Der Präsident spielte damit auf einen gerade bekannt gewordenen Justizskandal an, in den Richter, Staatsanwälte und Journalisten verwickelt sind und dessen Ausmaß und Konsequenzen noch nicht abzusehen sind.

Ganz anders die Reaktionen aus dem Lager der Opposition. »Es ging um Straffreiheit oder Gerechtigkeit. Und der Gerechtigkeit wurde Genüge getan«, twitterte der Bürgermeister von Buenos Aires, Horacio Rodríguez Larreta. Noch weiter ging dagegen Patricia Bullrich, die Vorsitzende der Partei von Ex-Präsident Mauricio Macri: »Gerechtigkeit wird es erst geben, wenn CFK das gesamte Geld, das sie gestohlen hat, zurückgibt und für die begangenen Verbrechen ins Gefängnis geht.«

Das Urteil wird erst rechtskräftig, wenn alle gerichtlichen Instanzen durchlaufen sind und die Schuld der Angeklagten in letzter Instanz vom Obersten Gerichtshof bestätigt wird. Erwartet wird, dass die Verteidigung diesen Weg einschlagen wird, der sich über mehrere Jahre hinziehen kann. Sollte das Urteil am Ende tatsächlich bestätigt werden, muss Cristina Kirchner dennoch nicht ins Gefängnis. Am 19. Februar wird sie 70 Jahre alt und könnte aus Altersgründen nur unter Hausarrest gestellt werden.

Für die Urteilsverkündung waren besondere Sicherheitsmaßnahmen angeordnet worden. Das Gerichtsgebäude war von einem Absperrgitter umgeben, und das, obwohl die Anhörung virtuell stattfand und nur die drei Richter und ein Sekretär im Gerichtssaal anwesend waren. Alle Angeklagten, ihre Anwälte und die Staatsanwaltschaft verfolgten die Urteilsverkündung über Zoom. Seit Beginn der Pandemie wurde das öffentliche Verfahren via Zoom geführt und war über den Streamingkanal der Justiz live zu verfolgen.

Bereits am frühen Nachmittag waren Kirchner-Anhänger*innen durch die Innenstadt vor das Gerichtsgebäude gezogen. Unter ihnen auch Kirchners ehemaliger Vizepräsident Amado Boudou. Boudou war 2018 wegen Vorteilsgewährung im Amt zu fünfjähriger Haftstrafe verurteilt worden. Außer Protestrufen und Rütteln am Absperrgitter blieb es friedlich. Am Abend versammelten sich rund 2000 Sympathisanten vor dem Kongressgebäude, überrascht vom angekündigten Verzicht auf zukünftige Kandidaturen.

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