Historisches Urteil gegen kalabrische Mafia

Drei Jahre lang wurde in Italien gegen die ’Ndrangheta und ihre Verbindungen verhandelt

  • Wolf H.Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Journalistenplätze im eigens für den Maxiprozess gegen Angehörige der ’Ndrangheta erbauten Bunker von Lamezia Terme waren bis auf den letzten Platz gefüllt. Mit Spannung erwartete man das Urteil gegen die Bosse des Mancuso-Clans von Vibo Valentia und seinen Hintermännern. Akribisch hatte der bereits zur Legende gewordene Anti-Mafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri gegen die insgesamt 338 Angeklagten ermittelt, von denen ein Gros seit vier Jahren in Untersuchungshaft sitzt. Drei Jahre lang wurde nahezu Tag für Tag im »Bunker« verhandelt, bis es nun zur Urteilsverkündung kam.

Die Richter sprachen Haftstrafen in Höhe von insgesamt 4744 Jahren und zehn Monaten aus. 67 Angeklagte waren bereits in vorgezogenen Schnellverfahren abgeurteilt worden – eine Entscheidung der Mafiosi, die dafür Haftverkürzung und -erleichterungen erhalten. Einige der auf der Anklagebank Sitzenden wurden mangels Beweises freigesprochen. Das Verfahren gegen den 69-jährigen Clanboss Luigi Mancuso wurde bereits vor einem Jahr vom Hauptprozess abgetrennt.

Chefankläger Gratteri nahm selbst nicht an der Urteilsverkündung teil. Der jahrelang auf Sizilien und in Kalabrien ermittelnde Staatsanwalt ist inzwischen nach Neapel gewechselt, wo er – ständig unter Polizeischutz stehend – eine neue leitende Funktion übernommen hat. An seiner Stelle vertraten andere Staatsanwälte die Anklage.

Teller und Rand – der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

Eines der spektakulärsten Urteile erging gegen den ehemaligen Senator der Forza Italia, Giancarlo Pittelli. Der Rechtsanwalt und Politiker, der im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts für die Berlusconi-Partei im Senat der zweiten Parlamentskammer saß, war für die ’Ndrangheta die ideale Verbindung zu Politik und Wirtschaft. Anfangs als Anwalt für Mancuso tätig, schuf Pittelli nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft schnell die Verbindungen zwischen organisiertem Verbrechen und der Zivilgesellschaft. Dafür wurde der Jurist und Freimaurer nun zu einer Haftstrafe von elf Jahren verurteilt. Besonders pikant an der Figur Pittellis ist, dass Regierungschefin Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) den Politiker noch vor kurzem als »unseren Schatz in Kalabrien« bezeichnet hatte.

Auch weitere Anwälte und Politiker wurden am Montag zu Haftstrafen verurteilt, so der Regionalrat Pietro Giamborino (anderthalb Jahre) und der Anwalt Francesco Stilo (14 Jahre Haft). Besonders schmerzhaft für die Ermittler war die Aufdeckung eines »Maulwurfs« in den eigenen Reihen: Der Ex-Agent der Antimafiabehörde DIA, Michele Marinaro, muss für seinen Verrat von Ermittlungen und Razzien für zehn Jahre und sechs Monate hinter Gittern.

Höchststrafen erhielten die Clanbosse Saverio Razionale (30 Jahre) und Pasquale Bonavota (28 Jahre). Auch die weiteren Familienmitglieder Domenico und Nicola Bonavota ziehen für 30 beziehungsweise 26 Jahre ins Gefängnis ein.

Der Prozess erinnert an das Maxiverfahren, das Giovanni Falcone und Paolo Borsellino Mitte der 80er Jahre in Palermo abhielten. Damals wurden 360 Mafiosi der Cosa Nostra angeklagt und verurteilt. Dass das jetzige Verfahren gegen die ’Ndrangheta in ihrem Kernland und nicht im entfernten Rom stattfand, zeigt symbolisch, dass der Staat entschlossen gegen das organisierte Verbrechen vorzugehen beabsichtigt. Bereits der Name des Prozesses, »Rinascita Scott« (Wiedergeburt von Scott), hat symbolischen Charakter: Er erinnert an den US-amerikanischen Drogenermittler Sieben William Scott, der lange in Rom stationiert und persönlich mit Nicola Gratteri befreundet war. Scott hatte dem kalabrischen Ermittler geholfen, die Verbindungen der ’Ndrangheta zur kolumbianischen Drogenmafia aufzudecken.

Symbolisch ist auch die Vielzahl der Verurteilten, die sich in durchaus respektablen Funktionen der Gesellschaft befanden: Juristen, Polizisten, Carabinieri, Wirtschafts- und Politikfunktionäre – sie alle zeigen, wie das organisierte Verbrechen längst viele Bereiche der italienischen Zivilgesellschaft (und nicht nur sie) durchdrungen hat. Bei einer kriminellen Vereinigung, die jährlich Geschäfte in Höhe von Dutzenden Milliarden abwickelt, vermag das jedoch kaum zu verwundern.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.