Klimaschutz unter Druck

Verbände und Experten üben scharfe Kritik an der Klimapolitik der Ampel-Koalition

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Klimapolitik der Bundesregierung steht dieser Tage sowohl im Bundestag als auch vor deutschen Gerichten enorm unter Druck. Nach dem Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) vor einer Woche verhandelt das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg diesen Donnerstag über eine Klimaklage des Umweltverbandes BUND und der Deutschen Umwelthilfe (DUH).

Mit dem Gerichtsverfahren wollen BUND und DUH die Regierung zwingen, für die Bereiche Gebäude und Verkehr endlich wirksame Maßnahmen zu beschließen. Im Kern geht es bei dem Verfahren um die Pflicht der Bundesministerien, bei Überziehung des jährlichen CO2-Budgets innerhalb von drei Monaten ein Sofortprogramm zur Korrektur vorzulegen. Das schreibt der Paragraf 8 des geltenden Klimaschutzgesetzes vor. Zunächst muss das Gericht jedoch feststellen, ob die beiden Organisationen überhaupt klageberechtigt sind.

Wenn das Gericht dies bejaht, wird sich im Verlauf des Verfahrens am OVG auch zeigen, ob das jüngste Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts die rechtlichen Kräfteverhältnisse ändert. Die Verfassungsrichter hatten die Verschiebung von 60 Milliarden Euro Kreditermächtigungen aus dem Energie-Krisenfonds in den Klimafonds für nichtig erklärt.

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Für die nächste Zeit sind an Klimaschutz-relevanten Ausgaben aus dem KTF unter anderem geplant: rund 19 Milliarden Euro für Sanierung und Neubau von Gebäuden, knapp 13 Milliarden zur Förderung der erneuerbaren Energien und vier Milliarden für die Bahn-Infrastruktur. Allein mit der Stärkung des Schienenverkehrs will die Ampel bis 2030 etwa sechs Millionen Tonnen CO2 einsparen.

Rechtsanwalt Remo Klinger, der die Deutsche Umwelthilfe vertritt, sieht mit dem KTF-Urteil des Verfassungsgerichts die Position der klagenden Organisationen gestärkt. Wenn Klimaschutz-Maßnahmen nun wegen fehlender Finanzierung wegfallen müssten, drohe das die ohnehin bestehende »Emissionslücke« zu den 2030er-Klimazielen weiter zu vergrößern, erklärt Klinger auf Nachfrage.

Aus Sicht des Juristen war es von der Ampel-Regierung politisch fahrlässig, immer mehr Klimafinanzierung in den KTF abzuschieben, obwohl die Klage vor dem Verfassungsgericht anhängig war. »Dass der Klimaschutz jetzt noch mehr Probleme bekommt, liegt nicht am Gericht«, betont Klinger.

»Vielmehr fehlt es in der Regierung seit Jahren am politischen Willen zu einem ausreichenden Klimaschutz.« So hätten etwa klimaschädliche Subventionen schon lange abgebaut und die frei werdenden Mittel zur Finanzierung genutzt werden können.

Nicht nur vor Gericht, auch im Bundestag wird über die Klimapolitik der Bundesregierung gestritten. So zeigte sich Lisa Badum zerknirscht, nachdem das neue Klimaschutzgesetz im Klima- und Energieausschuss des Bundestages diskutiert wurde. An dem einen oder anderen Punkt werde man im Bundestag nachsteuern müssen, resümierte die Grünen-Abgeordnete.

Tatsächlich aber hatten die meisten Sachverständigen den Gesetzentwurf der Ampel in der Luft zerrissen. Gleich die erste Stellungnahme legte den wohl größten Irrtum offen. Zwar sind laut Kerstin Andreae, Chefin des Energie- und Wasserwirtschaftsverbandes BDEW, über 90 Prozent der CO2-Emissionen der deutschen Energiewirtschaft europarechtlich dem Emissionshandel zugeordnet, doch die Emissionen aus Verkehr und Gebäuden unterliegen dem »Effort Sharing«, der europäischen Lastenteilung. Selbst wenn die Energiewirtschaft ausbleibende CO2-Einsparungen anderer Sektoren übernähme – die Ampel hat bei der Novelle des Klimaschutzgesetzes in erster Linie Verkehr und Gebäude im Blick –, entstünde dennoch eine finanzielle Herausforderung für den Bundeshaushalt. Denn in der Emissionsbilanz dürfen die Sektoren nicht miteinander verrechnet werden, stellte die BDEW-Chefin klar.

Zum Verständnis ein kurzer Exkurs: 2005 startete der europäische Emissionshandel. Dort müssen die Energiebranche, die energieintensive Industrie und mittlerweile auch der Luftverkehr die Rechte für ihre CO2-Emissionen erwerben. Der Emissionshandel erfasst aber nur rund 40 Prozent aller CO2-Emissionen in der Europäischen Union. Für die anderen 60 Prozent – die Emissionen aus Verkehr, Gebäuden, Landwirtschaft und kleiner Industrie – einigten sich die EU-Länder 2018 auf die sogenannte Lastenteilung. Seit 2021 und noch bis 2030 sind die EU-Länder verpflichtet, jeweils abhängig von Wirtschaftskraft und Wohlstand ihre Emissionen in den Nicht-Emissionshandels-Bereichen zu senken, Deutschland um 38 Prozent bis 2030.

Dabei gelten strenge jährliche Budgets und Berichtspflichten – und eine Verrechnungs-Mauer zum Emissionshandel, in dem sich die Energiewirtschaft tummelt. Diese Mauer will die Ampel-Koalition für die nationale Ebene mit dem neuen Klimaschutzgesetz einreißen und die Emissionen der Sektoren miteinander verrechnen dürfen.

Das mag die deutsche Klimabilanz aufhübschen, hilft aber nicht, die Pflichten aus der europäischen Lastenteilung zu erfüllen. Und hält ein EU-Land diese Vorgaben nicht ein, muss es Emissionsrechte bei anderen Ländern kaufen oder Strafen zahlen. Auf Deutschland können dann Kosten von neun bis 30 Milliarden Euro zukommen, gaben die Sachverständigen in der Anhörung zu verstehen.

Offenbar steht nicht nur das Klimaschutzgesetz, sondern die gesamte Klimapolitik der Ampel derzeit vor einer Belastungsprobe – und das kurz vor dem Weltklimagipfel.

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