Gefährliche Männer(gefühle)

Wer Menschen für sich gewinnen will, muss auch auf ihre Emotionen schauen. Wie die Rechte das tut, untersuchen Birgit Sauer und Otto Penz

  • Thomas Gesterkamp
  • Lesedauer: 6 Min.

Ja, wir wollen Helden! Wann genau haben Männer eigentlich begonnen, Memmen zu werden?», so kommentierte die katholisch-erzkonservative Publizistin Birgit Kelle Anfang 2016 im Wochenmagazin «Focus» die gewalttätigen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht. Angeblich verweichlichte weiße Männer hätten ihre Begleiterinnen nicht vor aufdringlichen Migranten geschützt, klagte Kelle, CDU-Mitglied und Autorin von antifeministischen Büchern wie «Dann mach doch die Bluse zu» und «Gender-Gaga». Ganz ähnlich denkt auch Björn Höcke: Seit Jahren diagnostiziert der thüringische AfD-Rechtsaußen den «identitätsgestörten Mann» und fordert deshalb eine neue «Wehrhaftigkeit».

Mit diesem Helden-Topos leiten Birgit Sauer und Otto Penz ihre Studie über «Affektive Strukturen der neuen Rechten» ein. Sauer ist emeritierte Professorin für Politikwissenschaft an der Universität Wien, Penz lehrte dort Soziologie. In ihrer gemeinsamen Forschungsarbeit suchen sie nach Erklärungen für den Erfolg autoritärer Parteien und Bewegungen in Deutschland und Österreich. Über dieses Thema ist in jüngster Zeit viel geschrieben worden, eher ungewöhnlich aber ist der wissenschaftliche Ausgangspunkt von Sauer und Penz. Denn sie wollen ökonomische und psychologische Analyse zusammenbringen, analysieren die «neoliberale Transformation» vor dem Hintergrund «sich verändernder Geschlechter- und Sexualitätsverhältnisse». Diese gedankliche Verknüpfung macht das Buch lesenswert – und lehrreich gerade für jene Teile der Linken, die emotionale, aber oft nur scheinbar «private» Themen gerne als zu vernachlässigenden Nebenwiderspruch im viel wichtigeren Kampf der Klassen abtun.   

Eher verwirrend ist allerdings der wenig eingängige Titel «Konjunktur der Männlichkeit». Das Wort Konjunktur wird im deutschen Sprachraum vorwiegend zur Bezeichnung wirtschaftlicher Zyklen benutzt. Die Autor*innen aber verwenden den Begriff, unter Bezugnahme auf den italienischen Theoretiker Antonio Gramsci, als kulturwissenschaftliche Kategorie. Das diene «dem Versuch, die Komplexität gesellschaftlicher Veränderungsprozesse einzufangen». Ökonomische Bedingungen spielten dabei zwar eine grundlegende Rolle, aber nur in Kombination mit sozialen und kulturellen Faktoren komme man zu schlüssigen Folgerungen.

Der Aufstieg des Rechtspopulismus erklärt sich Sauer und Prenz zufolge nicht nur aus kapitalistischen Produktions- und Ausbeutungsverhältnissen wie der zunehmenden Prekarität von Erwerbsarbeit und eben «auch nicht alleine aus der wachsenden Autonomie von Frauen und Transpersonen». Die beiden Wissenschaftler*innen vertreten vielmehr einen analytischen Zugang, der wirtschaftliche und affektive Strukturen der «neuen autoritären Konjunktur» zusammen betrachtet. Es geht ihnen um die Wechselwirkung, an deren Ende «eine neue gesellschaftliche Formation erkennbar wird».

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Kampf um die Körperlichkeit

Rechte Bewegungen, so das Wiener Forschungsduo, streben ein rassistisches und national orientiertes Gesellschaftsmodell der «Ungleichheit und Ausschließung» an. Zur Mobilisierung für diese Ideen werde eine «spezifische Affektstruktur aus Bedrohung, Angst, Wut und Hoffnung» angesprochen. Anfällig für solche Strategien seien vor allem deklassierte Männer, die sich durch den schleichenden Niedergang industrieller Arbeit entwertet fühlen und zudem durch die erweiterten Rollen von Frauen im Privatleben verunsichert sind. Sauer und Penz halten Geschlecht und Sexualität für zentrale Faktoren, die wesentlich zu den Wahlerfolgen von Parteien wie der deutschen AfD oder der österreichischen FPÖ beigetragen haben.

Nicht nur der Islam, auch ein so wahrgenommener, die eigene Identität gefährdender «Individualismus der westlichen Moderne» sei zum stimmigen Feindbild geworden. Der «Kampf um die Körperlichkeit» erscheine besonders bedrohlich, weil queere Emanzipationsbewegungen «feste Zuschreibungen ablehnen und sie aufzulösen suchen». Die populistischen Kampagnen, so fassen Sauer und Penz zusammen, zielten auf die «Feeling rules», wie sie die US-amerikanische Sozialforscherin Arlie Hochschild schon 1979 genannt hat. Antidemokratische Haltungen würden «in den Körpern der Menschen» verankert mit dem Ergebnis, dass diese rechte Positionen gleichsam von sich aus unterstützen. So habe sich eine «neue affektive Form des steuernden Zugriffs» etabliert.   

«Sind Emotionen also per se demokratiegefährdend?», fragen sich die Autor*innen, um gleich selbst eine Antwort zu geben: «Wir würden dies verneinen und denken vielmehr, dass die Tatsache, dass der autoritären Rechten dieses Spiel mit Affekten und Gefühlen gelingt, nicht zuletzt an der Emotionsstarre traditioneller Parteien liegt.» Sie plädieren deshalb, in einem Appell an die etablierte Politik wie an zivilgesellschaftliche Initiativen und Organisationen, für die «demokratisch-emanzipative Aneignung von Leidenschaften».

Maskulinistische Identitätspolitik

Der wohlfahrtsstaatliche Konsens nach dem Zweiten Weltkrieg, schauen Sauer und Penz zurück, basierte in (West-)Deutschland und Österreich bis weit in die 70er Jahre hinein auf Geschlechterungleichheit, vor allem auf der Trennung von bezahlter Lohn- und unbezahlter Sorgearbeit. Frauen waren «nur prekär in den hegemonialen demokratischen Kompromiss» integriert, in Parteien und Parlamenten blieben sie deutlich unterrepräsentiert. Zum «Signum der neoliberalen Konjunktur» wurden dann erhebliche Transformationen nicht nur der ökonomischen Verhältnisse, sondern auch der Geschlechterbeziehungen – und das gefährdete die Rollenentwürfe vor allem der traditionell orientierten Männer. Die wachsende finanzielle Autonomie von Frauen durch eigene Erwerbstätigkeit erleichterte, früh in der ehemaligen DDR, verspätet auch in der alten Bundesrepublik, die Scheidung von Ehen. Und auch die sich langsam etablierende Gleichstellungspolitik veränderte seit den 80er Jahren die Machtbalance und die Gefühlstrukturen innerhalb privater Beziehungen.   

Schon bald danach artikulierten sich Gegenbewegungen, vor allem männliche Antifeministen mobilisieren seither gegen den vermeintlichen «Gender-Wahn». Charakteristisch dafür, so die Autor*innen, sei ein «doppelter moralischer Antagonismus». Vertikal konstruiere dieser einen Widerspruch zwischen unten und oben, zwischen dem «kleinen Mann» und einer abgehobenen Elite. Als typisches Beispiel nennen sie die rechte Polemik gegen die EU-Strategie des Gender Mainstreaming. Horizontal wiederum sollen Gruppen ausgegrenzt werden, die «die Homogenität und Identität, das ›Eigene‹ des Volkes infrage stellen» – das zielt auf queere Lebensentwürfe, aber auch auf Migrant*innen und Muslime.

Es öffne sich ein «affektiver Raum», die präsentierten Bedrohungsszenarien erweckten Ängste und Wut, manchmal gar eine «Geschlechter- und Sexualitätspanik». Auf diese Weise habe sich im rechten Milieu eine «maskulinistische Identitätspolitik» entwickelt. Deren Ziel sei, ganz im Sinne des eingangs zitierten Björn Höcke, die Wiederherstellung einer althergebrachten und vor allem «wehrhaften» weißen Männlichkeit. Leider wird dieses Narrativ im Umfeld der «Zeitenwende»-Rhetorik inzwischen auch von Politikern anderer Parteien, etwa vom «kriegstüchtigen» SPD-Rüstungsminister Boris Pistorius, aufgegriffen – und damit salonfähig gemacht.

Viele Details in dem wissenschaftlich geschriebenen Buch von Sauer und Penz dürften jenen längst bekannt sein, die sich schon viele Jahre gegen rechtsextremistische und antifeministische Strömungen engagieren. Das Grundkonzept, ökonomische und emotionale Strukturen einer neuen autoritären Konjunktur der Männlichkeit nicht getrennt zu behandeln, liefert aber interessante Verbindungslinien und neue Erkenntnisse.

Birgit Sauer, Otto Penz: Konjunktur der Männlichkeit. Affektive Strategien der autoritären Rechten. Campus-Verlag, 198 S., br., 30 €.

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