Etwas Solidarität in Brandenburg: Schokolade zum Fest

Aktion »Weihnachten für alle« versorgt in Bad Belzig 600 bedürftige Familien

Dankbarkeit in Bad Belzig: Gisela Nagel sortiert eingegangene Spenden.
Dankbarkeit in Bad Belzig: Gisela Nagel sortiert eingegangene Spenden.

»Wir sammeln wieder.« Am Eingang der Kaufhalle am Busbahnhof von Bad Belzig spricht Andreas Schramm am Samstag eine Kundin an. »Weihnachten für alle« heißt die Aktion, die es schon seit etlichen Jahren gibt. Die Idee: Menschen kaufen am Aktionstag etwas mehr ein und spenden Lebensmittel, Spielzeug, Tierfutter und andere Dinge für die Tafel, den Sozialverein Arbeit und Leben sowie den Tierhof Samtschnute.

Nicht nur Andreas Schramm, Vorsitzender der Piratenpartei in Potsdam-Mittelmark, engagiert sich. Zu den Helfern zählen die evangelische Pfarrerin Christiane Moldenhauer, der katholische Theologe Burkhard Stegemann, die Kreistagsabgeordnete Astrit Rabinowitsch (Linke) und viele andere, erstmals auch der neue Bürgermeister Robert Pulz (Freie Wähler). Die eingangs genannte Kundin möchte von ihm wissen, welche Ware benötigt wird. »Spielzeug zum Beispiel oder Tierfutter«, empfiehlt Schramm. Aber die Frau überlegt sich etwas anderes und zückt ihr Portemonnaie. »Kaufen Sie, was Sie brauchen«, sagt sie und drückt Schramm einen 50-Euro-Schein in die Hand. »Ja, manche geben auch Geld«, erzählt er, »5 oder 10 Euro. 50 Euro hatte ich noch nie.«

Die bereitgestellten Kisten sind schon voll, da kommt eine junge Frau und türmt noch die Hälfte der Waren aus ihrem vollen Einkaufswagen oben drauf. Auch andere Geschäfte beteiligen sich an der Aktion, aber traditionell wird in der Kaufhalle am Busbahnhof immer mit Abstand am meisten gegeben. »Die Spendenbereitschaft ist wieder sehr groß«, freut sich Andreas Schramm. Manche Kunden waren vorher bei einem Drogeriemarkt und haben dort schon einen Beitrag geleistet. Aber in der Kaufhalle greifen sie noch ein zweites Mal in die Tasche, damit es bei den armen Mitmenschen in der Stadt zu Weihnachten etwas Ordentliches zu essen und Geschenke für die Kinder gibt.

Während im Schreibwarenladen an der Straße der Einheit gegen 10.30 Uhr erst eine Packung Buntstifte im Karton liegt, weil es noch an Kundschaft fehlt, müsste in der Kaufhalle längst mal eine erste Fuhre abgeholt werden. Aber die dafür eingeteilten Helfer sind mit ihrem Transporter gerade am anderen Ende der Stadt. Weil die Kreisgeschäftsstelle der Linken, die als Sammelstelle dient, keine 100 Meter entfernt ist, finden Schramm und der gebürtige Niederländer Wam Kat eine andere Lösung. Sie packen die Spenden in Einkaufswagen um und schieben sie rüber zur Geschäftsstelle von Kats Partei. Dort sortiert die Genossin Gisela Nagel die Ware und Wam Kat geht ihr zur Hand.

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Auf einem langen Tisch sind schon jede Menge Schokoladen-Weihnachtsmänner aufgereiht, ein Glas mit Würstchen, eine Tüte Mehl, Waffeln und Kekse. In einer Ecke liegen Windeln, in einer anderen Dosenfutter für Hund und Katze, daneben Mohrrüben und ein kleiner Berg Apfelsinen. Verschiedene Sorten Duschgel finden sich genauso wie ein Föhn und ein Milchaufschäumer.

So ein Rührding, mit dem ein Milchkaffee so zubereitet werden kann, dass es hübsch anzusehen ist, hat Wam Kat selbst einmal geschenkt bekommen. Es liegt schon lange unbenutzt zu Hause in seiner Küche. Darum wiegt der 67-Jährige jetzt die Verpackung abschätzend in der Hand und bemerkt ironisch: »So etwas brauchst du dringend, wenn du ein Mensch bist, der nicht viel Geld hat.« Wam Kat weiß, wovon er spricht. Schließlich bekommt er nach Jahrzehnten in Deutschland nur eine Minirente und muss sich mal dringend um seine niederländische Pension kümmern. Aber egal. Irgendjemandem wird der kleine Luxus eines Milchaufschäumers zu Weihnachten eine Freude machen, und darum geht es schließlich.

Etwa 12 000 Einwohner zählt Bad Belzig. Rund 8000 von ihnen wohnen in der Kernstadt, die übrigen in den eingemeindeten Dörfern rundum. Bei der Aktion »Weihnachten für alle« werden rund 600 bedürftige Familien zu versorgt. Gisela Nagel stellt sich die bange Frage, ob sich in den kommenden Jahren genug Helfer finden werden. »Wir sind langsam auf einem absterbenden Ast«, befürchtet sie. Früher packten allein schon viele Linke mit zu. Doch es gebe nur noch 30 Genossen in der Stadt, und von denen seien zwei Drittel älter als 80 Jahre. »Viele schaffen es gesundheitlich nicht mehr.«

Nagel selbst ist 82 Jahre alt und noch mit Elan dabei. Für den Nachmittag fehlen nun schon Leute, die in einem Drogeriemarkt die Kunden ansprechen könnten. Die Kisten stehen dort zwar weiterhin. Aber wenn niemand persönlich um Spenden bittet, wird nicht mehr so viel hineingelegt. Insgesamt kommen etwas weniger Spenden zusammen als in den vorangegangenen Jahren.

Zum Glück läuft es in der Kaufhalle am Busbahnhof wieder ausgezeichnet. Eine Frau, der man angesehen habe, dass sie keineswegs reich sei, habe einen ganzen Einkaufswagen voll mit Waren dagelassen, berichtet der Stadtverordnete Achim Wehre (Grüne). »Sie hat gesagt, das sei ihr wichtig.«

Andere können wirklich nichts abgeben. Sie bräuchten selbst Unterstützung. »Dies ist leider in immer größerem Ausmaß erforderlich«, beklagt der Ex-Stadtverordnete Olaf Präger (Linke). »Unsere Gesellschaft lässt Armut zu. Wer davon betroffen ist, hat wenig Grund, sich auf Weihnachten zu freuen.« Doch nach Abschluss der Sammelaktion heißt es: Weihnachten kann kommen.

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