GDL mit Rückenwind im Bahn-Tarifstreit

Nach der Urabstimmung über unbefristete Streiks gibt sich die GDL selbstbewusst

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit einem deutlichen Votum haben die Mitglieder der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) ihrer Führung den Rücken gestärkt. Bei einer Urabstimmung votierten rund 97 Prozent der Teilnehmer für unbefristete Streiks bei der Deutschen Bahn AG, um die Kernforderungen der GDL in der laufenden Tarifrunde durchzusetzen. Die Beteiligung lag bei 70 Prozent. Ähnliche Zustimmungswerte gab es auch bei einigen Konkurrenten der DB, darunter der Transdev-Gruppe, der City-Bahn Dresden und neun Personaldienstleistern, die Fahrpersonal an Schienenverkehrsunternehmen verleihen.

Entsprechend selbstbewusst äußerte sich der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky am Dienstagabend nach Bekanntgabe des Urabstimmungsergebnisses und auch am Mittwoch in mehreren Interviews. Falls die Bahn ihre Verweigerungshaltung nicht korrigiere, seien massive Streiks ab dem 8. Januar unausweichlich, sagte er. Diese »würden länger, kräftiger und härter« werden als die beiden 24-stündigen Warnstreiks im November und Dezember.

Für die Gewerkschaft geht es vor allem um den Einstieg in die Absenkung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich. Bei einem Konkurrenten der Bahn AG, der Netinera-Gruppe, konnte ein entsprechender Tarifabschluss vor wenigen Tagen erzielt werden. Dort wird die Arbeitszeit ab Januar 2025 in drei Jahresschritten abgesenkt. Vereinbart wurden ferner eine verbindliche Fünf-Schichten-Woche und eine zusammenhängende Mindestruhezeit von 48 Stunden pro Woche.

Es liegt auf der Hand, dass die GDL bei der Bahn AG hinter diesen Abschluss, von dem bei Netinera rund 2300 Lokführer und Zugbegleiter profitieren, keinesfalls zurückfallen will. Zumal die Erwartungen der Mitglieder sehr hoch sind, wie das Urabstimmungsergebnis zeigt. Schließlich kämpfe man seit 2012 mit wachsendem Erfolg für ein einheitliches Niveau der Vergütungen und der Arbeitsbedingungen für alle Eisenbahner, so Weselsky. Auch ein weiterer Punkt hat für die GDL hohe Priorität: dass neben Lokführern und Zugbegleitern auch Fahrdienstleiter und Werkstattmitarbeiter im Schichtdienst in den Tarifvertrag der Bahn AG einbezogen werden. Auch das lehnt der Konzern bislang ab. Für den Fortgang sieht sich Weselsky in einer starken Position. Es gebe bereits Signale einiger Unternehmen, mit der GDL über die Arbeitszeitverkürzung verhandeln zu wollen.

Auf die Dauer möglicher Streiks wollte sich der GDL-Vorsitzende am Mittwoch nicht festlegen. Das hänge davon ab, wann die Bahn ihre Blockadehaltung aufgebe. Falls das Management in der Weihnachtszeit und in den ersten Tagen des neuen Jahres »zur Besinnung kommt«, könnten Streiks auch noch vermieden werden, sagte er im RBB-Inforadio. Bislang gebe es aber keine dementsprechenden Signale.

Dem Bahn-Vorstand warf Weselsky vor, »die Öffentlichkeit zu belügen«, wenn er behaupte, eine Arbeitszeitverkürzung sei nicht zu realisieren und außerdem viel zu teuer: »Sie fahren das Eisenbahnsystem an die Wand, gönnen sich trotz erwiesener Unfähigkeit satte Boni und haben im gleichen Atemzug die Stirn, den Beschäftigten die dringend nötigen Verbesserungen vorzuenthalten.« Mit seiner Haltung demonstriere das Management, dass ihm die Bedürfnisse der Beschäftigten »völlig egal« seien. Die Urabstimmung habe eindrucksvoll bewiesen, dass »diese Botschaft bei den Mitarbeitern angekommen ist«. Falls es zu längeren Streiks kommen sollte, werde man diese – anders als bei den kurzen Warnstreiks – 48 Stunden vorher ankündigen, um den Bahnkunden Planungssicherheit zu geben, versprach Weselsky. Bei vorigen Tarifrunden waren mehrtägige Arbeitsniederlegungen keine Seltenheit. Der bisher längste GDL-Streik bei der Bahn fand mit 127 Stunden im Personenverkehr und 138 Streikstunden im Güterverkehr im Mai 2015 statt. Es handelte sich allerdings um den bereits achten Streik seit Beginn des damaligen Tarifkonflikts. 2021 streikte die GDL für etwa fünf Tage.

Beim bundeseigenen Bahn-Konzern reagierte man betont gelassen auf das Urabstimmungsergebnis. Man sei auf mögliche Streik-Szenarien vorbereitet. »Im Regional- und Fernverkehr hat sich ein Notfahrplan bewährt«, hieß es in einer Erklärung. Im Fernverkehr sind das in der Regel rund 20 Prozent des normalen Fahrplanangebots. Im Regionalverkehr kann der Schienenverkehr allerdings in einigen Regionen fast komplett zum Erliegen kommen. Auch im Güterverkehr sind vor allem bei mehrtägigen Streiks erhebliche Auswirkungen für getaktete Lieferketten zu erwarten. Besonders hier würden sich auch die ebenfalls angekündigten Streiks bei den Personaldienstleistern bemerkbar machen, da viele private Schienengüterverkehrsunternehmen auch Leiharbeiter beschäftigen.

Vieles spricht jedenfalls dafür, dass die Bahn AG die Blockadehaltung nicht mehr lange aufrechterhalten kann, egal ob mit oder ohne Streiks. Das kommende Jahr könnte also mit einem starken Signal für die Gewerkschaftsbewegung beginnen.

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