Weihnachtsgeschenke: Hölle des Plunders

Wer akzeptiert, dass mit dem Verschenken die Verantwortung verbunden ist, die eingesetzten Ressourcen wirklich zu nutzen, der schenkt womöglich anders

  • Melanie Jaeger-Erben
  • Lesedauer: 4 Min.

Alle Jahre wieder begeben wir uns vor Weihnachten in einen spirituell legitimierten und kulturell normalisierten Konsumrausch, stapeln Geschenke und füllen unsere oft schon ziemlich vollgestopften Küchen, Wohnzimmer und vor allem Kinderzimmer. Haushalte in wohlhabenden Ländern sind tendenziell überausgestattet, mehr oder weniger fundierte Schätzungen schwanken zwischen durchschnittlich 10000 Dingen pro Person bis zu 300000 Dingen pro Haushalt. Und Weihnachten als Fest der (vorzugsweise durch Geschenke demonstrierten) Liebe packt noch ein paar Schippchen obendrauf.

Interessant ist dabei nicht die genaue Anzahl, sondern viel eher, ob diese Dinge überhaupt gebraucht werden. Und hier zeigt sich: Vieles steht oder hängt einfach nur rum – zu schade zum Wegwerfen, zu unnütz oder ungewollt zum Benutzen. Die Architektin Henrike Gänß hat in einem Selbstversuch alle Dinge in ihrem Haushalt inventarisiert und festgestellt, dass sie nur etwas mehr als ein Viertel dieser Gegenstände regelmäßig nutzt, ungefähr die Hälfte nie oder fast nie. Sie ist damit keine Besonderheit – allein in deutschen Kleiderschränken hängen durchschnittlich mindestens doppelt so viele Kleidungstücke, wie regelmäßig angezogen werden.

In den Kramecken, Kellern und Abstellkammern zeigen sich die problematischen Seiten der Konsumgesellschaft. Hier versammeln sich die Resultate des geschickten Marketings einer auf Masse getrimmten Industrie, das uns glauben macht, wir brauchen unbedingt den neuen Cakepop-Maker oder die viereckigen Espresso-Tassen. Hier stapeln sich Erinnerungen, Versprechungen (»Irgendwann brauche ich das bestimmt!«) oder Zeugnisse des Unbehagens in der Wegwerfgesellschaft. Und hier landen auch immer wieder Weihnachtsgeschenke, die gut gemeint waren, aber schlecht geschenkt wurden.

Melanie Jaeger-Erben

Prof. Melanie Jaeger-Erben lehrt Technik- und Umweltsoziologie an der Brandenburgischen TU Cottbus-Senftenberg.

Das Übermaß beim Anschaffen oder Schenken neuer Konsumgüter ist ein wenig beackertes Nachhaltigkeitsproblem. Nicht nur, weil gerade für ungenutzte Dinge häufig fossile oder gar knapper werdende Ressourcen verschwendet werden. Das Lagern und Aufbewahren verbraucht zudem zunehmend Fläche, ob in der Wohnung oder in Garagen, in denen kein Auto steht. Dies zeigt sich insbesondere im Geburtsland des Konsumismus: In den USA ist das Vermieten sogenannter Storage Units ein Milliardengeschäft, das jede*r Zehnte in Anspruch nimmt, um die Dingflut im eigenen Haushalt zu kanalisieren. Materieller Überschuss kostet somit zusätzliches Geld und oftmals auch Nerven, denn Menschen fühlen sich von überfüllten Alltagsumgebungen gestresst. So können Dinge, die vermeintlich für unser Wohlbefinden gekauft wurden, dieses letztlich reduzieren. Die Dinge sind dann nicht mehr für uns da, sondern wir für sie – weil wir sie ständig auf- und wegräumen müssen.

Der Ausweg aus der Hölle des Plunders führt allerdings nicht zwingend über den Verzicht auf das Schenken oder das Entsorgen aller Dinge, die wir nicht brauchen oder die – der Aufräumpäpstin Marie Kondo zufolge – keine »Freude in uns entzünden«. Wer seinen Haushalt mal ordentlich ausmistet, neigt vielmehr oft dazu, den entstandenen Raum schnell neu aufzufüllen.

Ein letztlich nachhaltigerer Weg ist es, sich mit vielen Dingen, die verschenkt, besessen und gelagert werden, stärker auseinanderzusetzen. Wer akzeptiert, dass mit dem Kaufen, Verschenken und Besitzen die Verantwortung verbunden ist, die eingesetzten Ressourcen wirklich zu nutzen, der schenkt oder empfängt womöglich anders. Entscheidend ist dabei, sich beim Kauf nicht den Moment des Schenkens vorzustellen, sondern das weitere Schicksal des Geschenks: Landet es im Keller oder der hintersten Kleiderschrankecke? Oder nimmt es im Alltag der Beschenkten eine wertgeschätzte Rolle ein? Und vielleicht findet sich dann in der eigenen Abstellkammer sogar das bessere Geschenk als auf dem Grabbeltisch im Elektronikmarkt.

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