Aktivisten aus Hongkong: »Wir sind keine Pekinger Spione«

Nach Taiwan emigrierte Hongkonger Demokratieaktivisten fühlen sich nicht so willkommen wie erhofft

  • Felix Lill
  • Lesedauer: 7 Min.

Wenn Phil nach der taiwanischen Regierung gefragt wird, verzieht sich sein eigentlich freundliches Gesicht zu einer verbitterten Miene. »Die haben uns ja nur benutzt«, winkt der 37-jährige ab, während er im Zentrum von Taipeh einen Reisfladen mit Fleisch belegt. Der Betreiber eines kleinen Imbissstands für typische Gerichte aus Hongkong hatte eigentlich andere Pläne in Taiwan. »Als ich wie viele andere Hongkong verlassen musste, versprach die Präsidentin hier, dass man uns unterstützen würde.« Und jetzt? »Nichts ist! Wir müssen sehen, wie wir zurechtkommen.«

Vor gut vier Jahren floh der gebürtige Hongkonger Phil aus seiner Heimat, nachdem er dort zur persona non grata geworden war. Mit mehr als einer Million Menschen hatte er wochenlang auf der Straße für Demokratie protestiert. Die Staatsmacht reagierte mit Repressalien, sodass nach und nach eine Viertelmillion Menschen die Handelsmetropole Hongkong verließen. Die benachbarte Insel Taiwan erschien als beste Destination, erinnert sich Phil: »Wie wir Hongkonger Demokratieaktivisten steht ja auch Präsidentin Tsai für ihre Opposition gegenüber Pekings Expansionismus.«

Massenexodus nach Taiwan

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An die 50 000 Personen sind in den vergangenen fünf Jahren von Hongkong nach Taiwan übergesiedelt. Aber viele der Flüchtlinge fühlen sich im unabhängig und demokratisch regierten Inselland längst nicht so willkommen, wie anfangs erhofft. »Drüben in Hongkong war ich Lehrer für Sozialkunde«, erzählt Phil. »Da Peking jetzt praktisch die Macht hat dort, müsste ich China-Propaganda lehren.« Da verkaufe er lieber für umgerechnet je drei Euro Reisfladen in Taipeh. »Aber reich macht mich das nicht gerade«, lacht er. »Und der taiwanische Staat unterstützt uns Hongkonger leider gar nicht.«

Seinen wahren Namen will Phil geheim halten, weil er nicht nur neue Repressalien aus Hongkong oder Peking befürchtet. Immer mal wieder gebe es auch in seiner Wahlheimat Taiwan Anfeindungen. »Viele Leute hier denken, wir seien Pekinger Spione«, sagt Phil achselzuckend. Im vergangenen Sommer kündigte Taiwans Regierung an, dass sie die Regeln über das Aufenthaltsrecht für aus Hongkong gekommene Personen verschärfen wolle. Und ob es um Jobangebote geht oder politische Rechte: Immer wieder ist von Flüchtlingen in Taiwan zu hören, dass sie sich diskriminiert fühlen.

Dabei müssten gerade die Hongkonger von der taiwanischen Regierung hofiert werden. Denn ohne ihre schwierige Lage wäre die regierende Demokratische Fortschrittspartei (DPP) heute kaum an der Macht. Im Vorfeld der vergangenen Wahl Taiwans, im Januar 2020, war Präsidentin Tsai Ing-wen nämlich eher unbeliebt. Neben einer klaren Distanz gegenüber Festlandchina hatte sie um Stimmen mit dem Versprechen sozialer Gerechtigkeit geworben, die sie aber kaum einhalten konnte. Analyst*innen sagten voraus, die Nationale Volkspartei (KMT), die für engeren Austausch mit China steht, würde die Wahl gewinnen.

Just gebrochene Versprechen brachten mehr als eine Million Menschen aus Hongkong – der Lehrer Phil war einer davon – dazu, nach Taiwan auszuwandern: Hongkong, eine Halbinsel an der Südküste Chinas, die nach 99 Jahren britischer Herrschaft seit 1997 wieder zu China gehört, sollte laut dem Sino-Britischen Vertrag für zumindest 50 Jahre ihre Regierung eigenständig bestimmen können. Presse- und Meinungsfreiheit waren zugesichert, ebenso unabhängige Gerichte. Auch die Aussicht auf Demokratie bestand. Bis sich die chinesische Regierung in Peking offenbar nicht mehr daran gebunden sah.

2019 wurde ein Gesetz vorbereitet, durch das in Hongkong angeklagte Personen ans chinesische Festland ausgeliefert werden könnten. Insbesondere junge Menschen waren wütend und protestierten zu Hunderttausenden. Und während vorige Protestwellen meist noch moderiert wurden, reagierte die Hongkonger Staatsmacht – wohl dirigiert von jener aus Peking – diesmal mit Gewalt. Was sich ironischerweise als Glücksfall für die politisch angeschlagene Präsidentin in Taiwan herausstellte.

Tsai Ing-wen kündigte an, Taiwan würde die Hongkonger Demokratieaktivisten aufnehmen – womit sie die Herzen der Menschen zurückgewann. Denn der harsche Umgang der Hongkonger Polizei – die im engen Austausch mit Peking stand – gab den Menschen in Taiwan eine konkrete Vorstellung davon, wie kompromisslos Peking seine Interessen durchsetzen kann. Zumal die in Peking regierende Kommunistische Partei auch Taiwan als eigenes Territorium reklamiert. Chinas Präsident Xi Jinping hat eine »Wiedervereinigung« mit Festlandchina – notfalls unter Zwang – schon mehrmals angekündigt.

Eine große Mehrheit in Taiwan will aber nicht von Peking aus regiert werden. So gewann Tsai Ing-wen die Wahl 2020 letztlich mit deutlichem Vorsprung. Doch heute, wenn Taiwan am 13. Januar erneut seine Regierung wählen wird, sind die Proteste in Hongkong längst erstickt. Und auch die einst so lauthalse Solidarität Taiwans mit Menschen aus Hongkong hat deutlich nachgelassen. Das beobachtet etwa Marcin Jerzewski vom Thinktank Taiwan NextGen in Taipeh. »Die Bedingungen für Geflüchtete und Migrantinnen sind harsch«, sagt Jerzewski. »Taiwan sollte eine Unterhaltung darüber führen.« Doch im Wahlkampf ist so eine Unterhaltung kaum das große Thema. Das gibt auch Chiu Wen-Li zu: »Bei Menschen aus Festlandchina, Hongkong oder Macau muss eben auch die Dimension nationaler Sicherheit bedacht werden«, sagt die Analystin von der regierenden DPP. »Es besteht die Sorge, dass China die Menschen hier zu seinen politischen Zwecken nutzen könnte.« Fälle, in denen es harte Hinweise darauf gab, dass Zugezogene als Agenten für Peking aktiv waren, sind äußerst selten. Die Sorge hierüber aber ist groß.

Viele Hongkong-Flüchtlinge sind weitergezogen

Sky Fung gehört zu denjenigen, die sich um Verständigung bemühen. »Ich glaube, wir kennen uns einfach nicht besonders gut«, sagt der 30-Jährige in einem Café, in dem sich regelmäßig die Hongkonger Diaspora trifft. Fung ist Vorsitzender der Organisation Hong Kong Outlanders, mit der er für Austausch sorgen will. Regelmäßig veranstaltet die Nichtregierungsorganisation Filmvorstellungen oder Diskussionen an Universitäten und anderswo. »Es ist wichtig, dass die Menschen hier verstehen, dass wir auf derselben Seite stehen. Ich kann garantieren, dass wir keine Spione sind.«

Sky Fung sitzt an einem Tisch vor einem großen Regal, das vollgestellt ist mit Hongkonger Demokratieliteratur, und erzählt von den vielen Schwierigkeiten, die ihm als Aktivist in Taiwan begegnen. Zum Beispiel, dass seine Nichtregierungsorganisation gar nicht erst hätte gegründet werden können, wenn nicht einige taiwanische Staatsbürger*innen dazugezählt hätten. Oder dass eines Tages ins Büro eingebrochen wurde: »Es wurde nichts zerstört. Nur all unsere Dokumente waren entwendet.« Seitdem steht auf Fungs Visitenkarte keine Postanschrift mehr. »Auch wir müssen leider vorsichtig sein.«

Sky Fung fühlt sich längst zuhause in Taipeh. Er kam schon als Student nach Taiwan, Jahre vor dem jüngsten Ausbruch der Proteste, arbeitete dann in der Werbebranche. Als es ab 2019 laut wurde auf den Hongkonger Straßen, begann Fung, sich von Taipeh aus für die Demokratiebewegung in der Heimat zu engagieren. »Wenn ich jetzt wollte, könnte ich nicht mehr nach Hongkong zurückziehen. Für mich ist es dort nicht sicher.« Seinen Freundeskreis hat er heute in Taiwan. Aber mit seiner Familie in Hongkong hat er seit Jahren nicht gesprochen. »Das wäre heute gefährlich für sie«, glaubt Fung.

Wer sich in Taiwan nach Menschen aus Hongkong umhört, erfährt von solchen Schicksalen immer wieder. Nur interessiert man sich heute eben kaum für diese Gruppe. Sie scheint auch immer kleiner zu werden. »Viele Hongkonger sind hier nie so richtig angekommen«, sagt Sky Fung. Sie hätten nicht nur unterschätzt, dass Mandarin, die in Taiwan dominante Sprache, sich doch sehr vom in Hongkong üblichen Kantonesisch unterscheidet. Auch die viele der großen Willkommensansprachen der Präsidentin Tsai Ing-wen hätten sich als bloße Wahlkampfparole herausgestellt.

Einen taiwanischen Pass erhalten Hongkonger meist nur dann, wenn sie eine taiwanische Person heiraten. »Mittlerweile haben viele der Flüchtlinge Taiwan schon wieder verlassen und leben jetzt in Kanada oder Großbritannien«, berichtet Sky Fung. Er kann es verstehen. Zumal die derzeitigen Präsidentschaftskandidaten nicht einmal mehr so tun, als wären Menschen aus Hongkong besonders willkommen auf der Insel.

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