Hochwasser - Land unter in Ost und West

Wegen steigenden Elbpegels wurde Pretziener Wehr geöffnet. Wetterdienst erwartet neuen Regen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Das Pretziener Wehr ist ein beeindruckendes technisches Bauwerk. Zwischen steinernen Türmen befinden sich neun Joche aus je 36 Stahltafeln, die einzeln in die Höhe gezogen werden können. Dadurch wird dem Wasser der Elbe bei sehr hohen Pegelständen der Weg in einen 21 Kilometer langen Umflutkanal freigegeben, der ein Drittel der Wassermassen in weitem Bogen an Schönebeck und Magdeburg vorbeiführt. In knapp 150 Jahren wurde das Wehr 64-mal gezogen. An diesem Donnerstag war es wieder so weit – erstmals seit dem Jahrhunderthochwasser 2013, wie Sachsen-Anhalts Umweltminister Armin Willingmann (SPD) betonte.

Auslöser dafür ist, dass nicht nur die Elbe, sondern auch deren Nebenflüsse derzeit sehr viel Wasser führen. Martina Große-Sudhues, Direktorin des Landesbetriebs für Hochwasserschutz, sagte, erstmals seit dessen Gründung im Jahr 2002 herrsche »für alle Flussbereiche im Land Sachsen-Anhalt gleichzeitig eine Hochwasserlage vor«. Ursache dafür waren landesweite intensive Niederschläge und die von milden Temperaturen ausgelöste Schneeschmelze etwa im Harz. Vereinzelt sorgt das für eine schwierige Lage. So ist die Talsperre Kelbra im Süden Sachsen-Anhalts randvoll und nimmt kein Wasser mehr auf. Dieses fließt in das Flüsschen Helme ab, wo die höchste Warnstufe 4 ausgerufen wurde.

Mit der Öffnung des Pretziener Wehrs wappnet sich Sachsen-Anhalt auch für die Welle, die aus Sachsen heranrollt. Dort hatte die Elbe, gespeist von kräftigen Regenfällen und der Schneeschmelze in den tschechischen Gebirgen, an diesem Donnerstag ihren Höchststand erreicht und dabei in Dresden knapp die Marke von sechs Metern übertroffen. Das Landeshochwasserzentrum rechnete mit einem lang gestreckten Hochwasserscheitel. Ab Freitag sollte die Wasserführung langsam zurückgehen.

Der Wasserstand in Sachsens Landeshauptstadt liegt deutlich unter dem der verheerenden Flut vom Sommer 2002, als 8,40 Meter erreicht wurden. Dennoch wurde die zweithöchste Warnstufe 3 ausgerufen. Flussnahe Straßen wie das Terrassenufer unterhalb der Frauenkirche waren wegen Überflutung ebenso gesperrt wie Sportanlagen im Ostragehege. Ein Weihnachtszirkus, der auf einer Fläche in unmittelbarer Flussnähe steht, wurde von der Stadt angewiesen, seine Zelte abzubauen. Er sträubte sich aber; lediglich die Tiere wurden weggebracht. Die Stadtverwaltung verwies auf vertragliche Vereinbarungen und betonte, Hochwasserschutz sei »keine Privatsache«. Auch in Pirna und Meißen gab es Sperrungen in Elbnähe, aber keine ernsthaften Schäden.

Kritischer war die Situation in vielen kleineren Orten. Im thüringischen Windehausen, einem ebenfalls an der Helme gelegenen Teil der Stadt Heringen, wurde zwar die Weihnachten angeordnete Evakuierung am Donnerstag gegen Mittag aufgehoben. Die Beseitigung der Schäden aber dauerte an. Erste Häuser seien immerhin wieder ans Stromnetz angeschlossen, die Straßenbeleuchtung sei in Betrieb, Abwasserpumpen liefen, teilte die Verwaltung mit. Ein Spendenkonto sei eingerichtet worden.

Auch im Westen der Republik hielt das Hochwasser vielerorts Anwohner, Hilfs- und Rettungskräfte sowie Krisenstäbe in Atem. In Teilen Niedersachsens war die Lage kritisch. Die Landkreise Hildesheim, Celle und Emsland riefen die Vorstufe zum Katastrophenalarm aus. In der an Bremen angrenzenden Gemeinde Lilienthal wurden 300 Menschen evakuiert, teils ist der Strom abgestellt. Die Pegelstände seien hoch wie nie, erklärte die Feuerwehr. Bäume müssten gefällt werden, weil aufgeweichte Deiche sie nicht mehr halten könnten. Auch in Meppen im Emsland sind Evakuierungen nicht ausgeschlossen. Dort sind laut Polizei Deiche entlang der Ems auf 350 Metern Länge fast durchgeweicht, während der Wasserstand weiter steigt. Im Landkreis Verden wird die Lage als bedrohlich eingestuft. Dort kann das Hochwasser der Aller nicht mehr in die bereits stark angeschwollene Weser ablaufen. Feuerwehr und Technisches Hilfswerk sind im Dauereinsatz. Zusätzlich erschwert wird deren Arbeit durch renitente Anwohner, die Einsatzkräfte beleidigen und in Diskussionen verwickeln. Manche würden sogar Sandsäcke von Deichen stehlen, weil sie selbst keine hätten, zitiert der NDR den Feuerwehrchef.

Zumindest an den Oberläufen vieler Flüsse hat sich die Lage beruhigt, nachdem der Regen aufgehört hat und der Schnee geschmolzen ist. Allerdings gibt der Deutsche Wetterdienst nur vorübergehend Entwarnung. »Die Entspannungsphase an den Flusspegeln scheint wohl nur von kurzer Dauer«, heißt es in einem Lagebericht. Nach kurzer Beruhigung werde es erneut regnen. Binnen fünf Tagen sei dabei in den westlichen Staulagen der Mittelgebirge mit 40, manchen Modellen zufolge sogar mit 60 Litern je Quadratmeter zu rechnen. Ab dem Wochenende würden die Pegelstände daher stagnieren oder gar wieder steigen. Welche Regionen besonders betroffen seien, lasse sich noch nicht vorhersagen: »Allerdings scheinen ausgerechnet der Norden und Westen, wo die Flüsse bereits besonders viel Wasser führen, am ehesten betroffen zu sein.«

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