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  • Bedingungsloses Grundeinkommen

Volksinitiative will Grundeinkommen in Hamburg testen

Aktive übergeben 16.000 Unterschriften für einen Modellversuch, bei dem Teilnehmenden ein Existenzminimum ausgezahlt werden soll

  • Matthias Greulich
  • Lesedauer: 3 Min.

Um den Surfergruß ins Rathaus zu bringen, trägt Jan ein Plakat, auf dem »Hamburg, nur unkomplizierter« geschrieben steht. Darüber ist eine Hand zu sehen, mit ausgestrecktem Daumen und kleinem Finger. So begrüßt man sich auf Hawaii oder an den Stränden der Welt; so könnte es in einer Gesellschaft zugehen, die keine Sorgen um das Existenzminimum mehr kennt. Im gelben Overall war Jan am Donnerstag Teil einer Kunstaktion, bei der dem Hamburger Senat rund 16 000 Unterschriften der Volksinitiative »Hamburg testet Grundeinkommen« übergeben wurden.

Für Jan und die übrigen Aktiven verliefen die vergangenen Monate allerdings nicht im Aloha-Modus, denn es ist der zweite Anlauf, mit dem sie versuchen, einen staatlichen Modellversuch in Hamburg zur Erprobung des bedingungslosen Grundeinkommens auf den Weg zu bringen. Bereits Anfang 2020 hatten sie schon einmal deutlich mehr als die erforderlichen 10 000 Unterschriften an den rot-grünen Senat übergeben, der sich das Anliegen allerdings nicht zu eigen machte.

Als die Aktiven ein Volksbegehren beantragten, zog die Stadtregierung vor das Hamburgische Verfassungsgericht, wie schon bei allen Volksinitiativen der vergangenen Jahre. Hamburg sei nicht für die Sozialgesetzgebung zuständig, es bestünden daher aus Sicht des Senats »erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit«. Das sahen die Verfassungsrichter anders: Ein Bundesland dürfe einen solchen Modellversuch in der Sozialpolitik auf eigene Faust starten, urteilten sie. Der vorgelegte Gesetzesentwurf enthalte allerdings einige Widersprüche und Lücken. Weil die Abstimmenden dessen Auswirkungen nicht ausreichend überblicken konnten, liege ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip vor. Unter anderem sei nicht klar erkennbar gewesen, ob wirklich jedem der Teilnehmenden des Modellversuchs tatsächlich das Existenzminimum ausgezahlt werden würde. Das Volksbegehren wurde also abgelehnt.

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»Den Entwurf haben wir daraufhin umfassend überarbeitet«, so Initiativensprecher Mark Appoh. In mehreren Tabellen wird nun detailliert aufgeführt, wie viel jeder der mindestens 2000 Teilnehmenden des Versuchs ausgezahlt bekommt. Die Gesamtkosten des Versuchs schätzt die Initiative auf rund 40 Millionen Euro über drei Jahre.

Anika Liekefett, mit schwarzen Turnschuhen und Mütze, erklärt, was die Hamburger auf der Straße davon halten, das Grundeinkommen auszuprobieren. »Die Menschen wollen sinnstiftend arbeiten«, berichtet die Musikerin aus St. Pauli von der Unterschriftensammlung. Vielen gehe es um Wertschätzung. »Und das bedingungslose Grundeinkommen ist ein Vertrauensvorschuss der Gesellschaft an jeden Einzelnen«, so die 55-Jährige. Dass es Geld fürs Nichtstun gebe, sei einigen durchaus suspekt gewesen. Doch wenn man sich ein wenig länger unterhalte, komme man oft auf einen gemeinsamen Nenner.

Wenn das Verfassungsgericht das Volksbegehren zulässt, wird es sehr viele dieser Gespräche brauchen. In nur drei Wochen wollen die Aktiven dann 100 000 Unterschriften sammeln, deutlich mehr als die geforderten 66 000, falls nicht alle gültig sind. Dass eine digitale Sammlung vom Gesetz nicht zugelassen ist, erschwert die Aufgabe zusätzlich. »Nicht mehr zeitgemäß«, findet der 30-jährige Jan, und deutet auf die zehn Aktenordner mit Listen, die in einem Umzugskarton per Schubkarre ins Rathaus gebracht wurden.

Anders als in Berlin, wo die Volksinitiative für einen Modellversuch nicht genügend Unterschriften sammeln konnte, hofft man in Hamburg auf die vielfältigen Initiativen der Stadtgesellschaft, deren Aktive sich oft schon lange kennen. Laut Anika Liekefett sind die Enthusiasten für ein Grundeinkommen 18 bis 70 Jahre alt. »Wir sind gut vernetzt«, betont sie. Wenn viele auf dieser Welle surfen, wäre Hamburg das erste Bundesland, das wissenschaftlich erforscht, wie die Utopie eines bedingungslosen Grundeinkommens Realität werden könnte.

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