Klimaaktivist: »Arbeitskampf ist besser als Straßenblockaden«

Luc Ouali von Fridays for Future über die zweite Phase der gemeinsamen Kampagne mit Verdi »Wir fahren zusammen« und die anstehenden Streiks im ÖPNV

  • Interview: Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.
Wünscht sich mehr Klassenkampf von unten: Luc Ouali (Mitte) bei einer Demonstration mit Fridays for Future in München
Wünscht sich mehr Klassenkampf von unten: Luc Ouali (Mitte) bei einer Demonstration mit Fridays for Future in München

Sie kommen aus München. Fahren Sie dort gut mit dem Nahverkehr?

Ich fahre sehr viel und gerne mit dem ÖPNV, obwohl es in München genauso viele Probleme gibt wie in kleineren Städten. Aufgrund des Fachkräftemangels mussten einige Linien gestrichen werden. Die Stammstrecke der S-Bahn ist regelmäßig gesperrt, und zwischen 2 und 6 Uhr fährt überhaupt keine Bahn. Wenn ich nachts feiern gehe und nicht bis 6 Uhr durchmachen möchte, kann ich nur hoffen, dass irgendwo noch ein Nachtbus fährt.

Interview

Luc Ouali (19) ist seit einem Jahr bei Fridays for Future und seit fast drei Jahren in der Klimabewegung aktiv. Als Verdi-Mitglied und leiden­schaftlicher Bahnfahrer baute er in München die Kampagne »Wir fahren zusammen« von Fridays for Future und der Gewerkschaft Verdi mit auf, deren Pressesprecher er ist.

2024 haben über 56 000 Menschen Ihre Petition unterschrieben, die von der Politik eine Verdoppelung des ÖPNV und ein bundesweites Investitionsprogramm von mindestens 16 Milliarden Euro pro Jahr bis 2030 fordert und von den Nahverkehrsverbänden gute Arbeitsbedingungen sowie bessere Bezahlung der Beschäftigten. Gab es dazu schon Rückmeldungen?

Vonseiten der Arbeitgeber*innen gab es die klassischen Statements, dass unsere Forderungen verrückt und absurd sind. Aber offizielle Antworten gibt es vermutlich erst zu den Streiks.

In den nächsten Monaten stehen Arbeitskämpfe im regionalen Nahverkehr verschiedener Bundesländer an, womit Ihre Kampagne »Wir fahren zusammen« in die zweite Phase eintritt. Wie will Fridays for Future die Streiks unterstützen?

Einerseits unterstützen wir moralisch, indem wir zum Streikposten gehen und den Beschäftigten Kuchen mitbringen. Aber natürlich unterstützen wir auch politisch, indem wir die Forderungen von Verdi in die Medien und die Gesellschaft tragen, mit Fahrgästen ins Gespräch kommen und um Unterstützung werben. Wir wollen diese Streiks als Druckmittel nutzen, um die politische Forderung nach Investitionen durchzusetzen. Denn viele kommunale Betriebe können einfach nicht besser zahlen, wenn das Geld fehlt, oder nicht mehr Pausen anbieten, wenn die Fachkräfte fehlen. Da braucht es politische Lösungen.

Unterstützen Sie auch die Streiks der Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL), oder gibt es Pläne, noch mehr Gewerkschaften in das Bündnis aufzunehmen?

Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ist bereits Bündnispartnerin, die GDL nicht, aber natürlich sind wir auch mit den aktuellen Streiks der Lokführer*innen solidarisch. Ziel ist natürlich, ein ganz breites Gewerkschaftsbündnis aufzubauen, aber momentan konzentrieren wir uns auf den aktuellen Kampf.

Am 1.März plant »Wir fahren zusammen« einen bundesweiten Klimastreik zum Thema Nahverkehr. Was ist angedacht?

Wir werden in über 80 Städten mit den Beschäftigten auf die Straße gehen. Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass die Streiks in die Länge gezogen werden können. Das kann funktionieren, wenn ein breiter gesellschaftlicher Rückhalt da ist. Je länger eine Stadt lahmgelegt wird, desto größer ist der wirtschaftliche Schaden – und das wollen wir ausnutzen, damit die Politik handelt.

Sie fordern vor allem Verbesserungen für die Beschäftigten des Nahverkehrs. Zur Klimagerechtigkeit gehört aber auch, dass ihn alle nutzen können. Warum fordern Sie keinen kostenlosen ÖPNV?

Wir fordern einen kostengünstigen Nahverkehr und sind langfristig auch für einen kostenlosen ÖPNV. Allerdings haben wir uns erst mal auf andere Hauptforderungen konzentriert, mit denen sich möglichst viele Menschen identifizieren können.

Die Klimabewegung diskutiert immer wieder darüber, wie radikal Protest sein sollte. Wie wichtig ist Gewerkschaftsarbeit gegenüber zivilem Ungehorsam?

Ich glaube, dass Arbeitskampf besser ist als Straßenblockaden. Es ist der beste Weg, um Verteilungsfragen zu stellen und langfristig systemische Veränderungen zu erreichen, die echte Klimagerechtigkeit bedeuten. Ich glaube aber auch, dass die Vielfalt von Taktiken ein wichtiges Prinzip der Klimabewegung ist. Ein Beispiel ist der Hambacher Forst, der zumindest teilweise gerettet wurde durch ganz verschiedene Aktionsformen, von der Waldbesetzung über Großdemos bis hin zu Gesprächen mit Politiker*innen. Trotzdem denke ich, dass wir dort besonders weit kommen, wo wir Bündnisse knüpfen und mit Betroffenen kämpfen. Ich finde zum Beispiel die gemeinsame Fabrikbesetzung von Klimaaktivist*innen und Beschäftigten eines Automobilzulieferers in Florenz unglaublich inspirierend. Wir in München haben 2021 die Beschäftigten von Bosch unterstützt, die gegen die Schließung ihres Werkes protestierten. Sie haben nie gesagt, dass sie unbedingt eine klimaschädliche Sache zusammenbauen und für hohe Emissionen verantwortlich sein wollen. Sie wollen eine Zukunft haben wie wir alle. Die wahren Gegner sind nicht die Arbeiter*innen in der Autofabrik oder im Kohlekraftwerk, sondern die Konzernchefs.

So eine Zusammenarbeit mit Beschäftigten in klimaschädlichen Branchen funktioniert aber nur, wenn es bei ihnen die Bereitschaft gibt, einen anderen, klimafreundlicheren Job zu machen beziehungsweise das Werk entsprechend umzugestalten, oder?

Wir als Fridays for Future haben eine sehr klare Haltung zum Beispiel zu E-Autos. Die Herstellung der darin verbauten Lithiumbatterien verursacht unglaublich viel Leid im Globalen Süden, das ist keine Zukunftstechnologie. Und trotzdem hat die Münchner Ortsgruppe ein Positionspapier gemeinsam mit der IG-Metall-Jugend und den Jusos geschrieben, laut dem wir kurzfristig auf E-Autos setzen. Manchmal muss man eben gewisse Kompromisse eingehen, um die Menschen an der eigenen Seite zu behalten. Langfristig werden diese Menschen sicher nicht an den Autos hängen, sondern genauso gut Busse zusammenbauen.

Zusammenarbeit mit Gewerkschaften gilt als wichtige Strategie, um eine soziale Bewegung im Alltag der Menschen zu verankern. Andererseits will die Klimabewegung das System überwinden und eine Welt erreichen, in der es keine Arbeitgeber*innen und keine Gewerkschaften mehr braucht, oder?

Wir müssen die Mittel des Status quo ausnutzen, um den Status quo zu überwinden. Gewerkschaften sind die einzige Möglichkeit, um Klassenkampf von unten zu machen – ansonsten befinden wir uns fortlaufend in einem Klassenkampf von oben. Außerdem kommt man an die Beschäftigten am besten heran über die Gewerkschaft, denn der Tramfahrer vertraut am ehesten der Gewerkschaft, und wenn die sagt, die Klimaaktivist*innen sind gute Leute, dann lassen sich Barrieren abbauen. Natürlich wünschen wir uns eine Welt, in der es keine Gewerkschaften mehr braucht, aber aktuell gehören Gewerkschaften zu den besten Institutionen, die wir haben.

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