»Ich fühle mich gut in der Wüste. Krieg ist in Ordnung«

Leonard Cohen 1973 – wie die Wüste einen Sänger des Friedens fast zum Kriegstrommler werden ließ

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist ein merkwürdiges Buch, eines, das Fragen offenlässt und ratlos macht. Soll es ein Heldengedenkbuch sein? Mit dem Dichter und Troubadour Leonard Cohen als Hauptfigur. Ein patriotisches Kriegstagebuch, das die bedrohte Situation Israels im Oktober 1973 protokolliert, den Überraschungsangriff von Ägypten und Syrien, ausgerechnet zu Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, dem Versöhnungsfest.

Der 1934 in Kanada geborene Singer-Songwriter, Schriftsteller, Dichter und Maler Leonard Cohen befand sich in einer Krise. Seine letzte Tournee durch Europa hatte ihn ernüchtert. Er wollte sich nicht zum Spielball des Musikbusiness machen lassen. Er hatte seinen Abschied von der Bühne verkündet, suchte nach neuen Aufgaben. So begab er sich auf den Weg nach Israel, um Soldaten an der Front zu unterstützen. Nicht mit der Waffe in der Hand, sondern als Künstler und Sänger, mit der Gitarre im Anschlag. Cohen, der Sohn einer einflussreichen jüdischen Familie aus Kanada, ist 39 Jahre alt, Israel bezeichnet er als seine »mythische Heimat«.

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In diesem Buch kommen erstmals bisher unveröffentlichte Notizen des 2016 in Los Angeles verstorbenen Cohen zum Abdruck, in Ausschnitten. Insgesamt 45 Schreibmaschinenseiten hat der Poet hinterlassen, verfasst an seinem Sehnsuchtsort, der griechischen Insel Hydra. Sexuell aufgeladen sind die Notizen, mystisch, rätselhaft, geheimnisvoll, schwer zu entschlüsseln, nicht mit dem Verstand zu erfassen, eher mit dem Gefühl. »Cohens Manuskript über den Krieg wirft mehr Fragen auf, als es beantwortet«, räumt der Herausgeber Matti Friedman ein und fügt hinzu: »Er ist nicht bereit, direkt zu erklären, was er gedacht hat.« Friedman versucht sich an Erklärungsversuchen, scheitert aber.

In jenen Oktobertagen in Israel entstand der Song »Lover Lover Lover«. Es findet sich eine Strophe in Cohens Notizbuch, die letztlich nie von ihm gesungen wurde: »Ich ging hinunter in die Wüste/ um meinen Brüdern beim Kampf zu helfen/ Ich wusste, dass sie nicht im Unrecht waren./ Ich wusste, dass sie nicht im Recht waren/ Aber Knochen müssen aufrecht stehen und gehen/ und Blut muss sich bewegen/ und Männer gehen und ziehen hässliche Linien/ über den heiligen Boden.« Der Künstler ist hin- und hergerissen zwischen den Schrecken und Gräueln des Krieges und innerer Friedfertigkeit, Gutherzigkeit.

»Wir sangen, wo immer wir angefragt wurden«, trägt Cohen in sein Tagebuch ein. »Hier und da wurde mir suggeriert, dass ich nützlich sei.« Und dann wieder die Zweifel: »Männer wurden umgebracht. Ich begann, unsere Show mit einem neuen Lied zu beenden. Der Refrain lautete: Lover lover lover lover lover lover lover come back to me. Ich sagte mir: Vielleicht kann ich mit diesem Lied einige Menschen beschützen.«

Es folgen später die befremdlichen Zeilen: »Wir mussten ab und zu in Deckung gehen. Ich fühle mich gut in der Wüste. Krieg ist in Ordnung. Menschen von ihrer besten Seite.« Und dann diese Notizen in seinem Tagebuch: »Der Hubschrauber landet. Im starken Wind eilen die Soldaten herbei, um ihn zu entladen. Er ist voll mit Verwundeten. Ich sehe ihre Verbände und unterdrücke meine Tränen. Es sind junge Juden, die sterben. Dann sagt mir jemand, dass es ägyptische Verwundete sind. Meine Erleichterung verblüfft mich. Ich hasse das. Ich hasse meine Erleichterung. Das kann nicht vergeben werden. Das ist Blut an deinen Händen.«

Wie passen solche Reflexionen zur Faszination fürs Militärische, das in einem Interview von 1974 aufscheint: »Krieg ist wunderbar. Sie werden ihn nie abschaffen. Er ist eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen man sich von seiner besten Seite zeigen kann. Er ist, was Gesten und Bewegungen angeht, so sparsam. Jede einzelne Geste ist präzise, jede Anstrengung ist total. Niemand blödelt herum. Jeder ist für den anderen verantwortlich. Das Gefühl von Gemeinschaft, Verwandtschaft und Brüderlichkeit, Hingabe. Man kann dort Dinge fühlen, die man im modernen Stadtleben einfach nicht fühlen kann. Das ist sehr beeindruckend.« Cohen beschwört wie Ernst Jünger so etwas wie die »Reinheit« des Krieges.

Der Band enthält auch unbekannte Fotos von Cohen inmitten von Soldaten, darunter eine Fotografie, die ihn neben General Ariel Sharon zeigt, dem späteren Ministerpräsidenten und Premierminister Israels. Cohen notierte: »Ich werde einem großen General vorgestellt, ›dem Löwen der Wüste‹ ... Wir trinken einen Cognac, während wir im Schatten eines Panzers auf dem Sand sitzen. Ich will seinen Job.«

Matti Friedman trägt viel Kriegsalltag zusammen, Porträts, Stimmen, Meinungen, Schicksale, Zufallsbegegnungen. Drei Wochen Verteidigungskrieg, 2700 tote Israelis. Am Ende der Sieg. Und zugleich Keim neuer Kriege.

Das Buch wirkt etwas bruchstückhaft, zeitweise verloren in Kriegsromantik, dann wieder allzu spekulativ, weil zu wenig über das wahre Denken und Empfinden des Protagonisten zu erfahren ist. Der gemeinhin als friedfertig geltende Poet Leonard Cohen wird entmythologisiert. Patriotismus und Heldengeschichten dominieren – nicht unbedingt hilfreich in der verzwickten, latent kriegerischen Situation in Nahost.

Matti Friedman: Wer durch Feuer. Krieg am Jom Kippur und die Wiedergeburt Leonard Cohens. A. d. Engl. v. Malte Gerken. Hentrich & Hentrich, 200 S., geb., 22 €.

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