• Kultur
  • Filme mit Mode und Drogen

Exzess, und was jetzt?

Mit »LasVegas« gelingt Kolja Malik ein intensives Spielfilmdebüt über die Grenzen des Hedonismus

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 4 Min.
Ernährt sich von Schaumwein und Zigaretten: Sunny (Daniel Roth) am Fenster
Ernährt sich von Schaumwein und Zigaretten: Sunny (Daniel Roth) am Fenster

Die erste Aufblende von »LasVegas«, dem Spielfilmdebüt von Regisseur Kolja Malik, enthält die zentralen Themen des Films: Wir sehen ein Auto über einen Wüsten-Highway fahren, weit und breit kein anderer Wagen; in Verbindung mit dem Filmtitel denkt man unwillkürlich an die USA, die Wüste Nevada und das Spielerparadies darin. Die Stadt mitten im Nirgendwo repräsentiert in dem Film indes nicht nur einen unerreichbaren Sehnsuchtsort, sie bildet implizit die Kulisse der Handlung, auch wenn die Geschichte in Berlin spielt. Die schrille, bunte, glitzernde Bildsprache des Films erinnert an das, was wir mit Las Vegas assoziieren, das immer schon nur in der Vorstellung, in seiner Ikonisierung ein magischer Ort war.

Tristan von Lossberg (Tim-Fabian Hoffmann) ist ein junger Modedesigner, sein Durchbruch steht kurz bevor, zumindest hoffen er und sein schmieriger Manager und Ex-Freund Frank (Robert Stadlober) auf den baldigen Erfolg. Wirklich glücklich ist Tristan mit seiner Rolle als Hoffnungsträger nicht. Nach einer missglückten Präsentation der Kollektion, bei der auch sein Vater und Sponsor zugegen war, platzt der dauernd Drogen konsumierende, bisexuelle und genderfluide Hustler Sunny in Tristans bis dahin einigermaßen geordnetes und nüchternes Leben.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Die beiden verlieben sich Hals über Kopf ineinander, und noch bevor sie sich richtig vorgestellt haben, sitzen sie schon im Taxi zum Flughafen. »Wir fliegen nach New York und heiraten da«, lässt Sunny Tristan wissen. »Du meinst Las Vegas. Das geht so kurzfristig nur in Las Vegas«, antwortet dieser, doch mit solcherlei Realitäten hält sich Sunny nicht weiter auf: »New York, Las Vegas, Hauptsache Australien. Wir können ja dann immer noch ein Taxi nach Vegas nehmen, wenn wir es gar nicht aushalten.«

Sunnys Liebe bleibt unstet, widerspenstig, aufdringlich, und als er auf der Geburtstagsparty von Tristans Vater Hermann (Thomas Thieme) auftaucht, befriedigt er diesen oral. Zunehmend verschwimmt der Film in Traumbildern. Realität und Traum sind kaum mehr voneinander zu unterscheiden. Kamerafrau Jieun Yi zeigt die Körper der Schauspieler*innen unentwegt in Nah- und Großaufnahmen, Gesichter und Körper dominieren die Leinwand, sie kommen sich näher und entfernen sich voneinander, sind immerzu in Bewegung. Vor allem Sunnys Körper kommt nie zur Ruhe, wirkt geschunden, erschöpft, zugleich gehetzt und hyperaktiv.

Das großartige kleine Schauspielensemble, zu dem auch Nastassja Kinski als Tristans traurige, resignierte Mutter zählt, ist jedenfalls voll gefordert. Je traumhafter die Bilder werden, je mehr die Filmwelt sich in Traumlogik verliert, umso klarer wird, dass beide Protagonisten nicht bleiben können, wo sie sind. Doch wohin ohne Geld?

»Hey Stella! Siegfried! Brunhild!«, brüllt Sunny Tristan wütend hinterher, als dieser nach Hause muss und nun doch nicht mit ihm nach Las Vegas fliegen will. Die Tragödie nimmt ihren Lauf. Was den beiden Protagonisten bleibt, ist das Verharren in der Sehnsucht, der Eskapismus.

So sehr Maliks Film auf den ersten Blick unpolitisch erscheinen mag, so sehr erklärt er die Welt, wie sie eingerichtet ist, zu einem Unort: Bürgerliche Spießigkeit, routinierte Misogynie, Heuchelei, Erwartungsdruck kennen als Antithese nur noch den Rausch, die Selbstprostitution und Hedonismus, der in den (eigenen) Untergang führen muss. Und so ist die Las-Vegas-Metapher auch als Bild für die bürgerlich-kapitalistische Lebensfalle zu verstehen. Denn wo hält der kapitalistische Geldgott seine Insassen rigoroser in Schach, auf Trab, gefangen als in Las Vegas?

Maliks Bilder sind faszinierend, sein Film entzieht sich oft den Seherwartungen, er spricht und schwelgt in Metaphern und lässt sie in- und übereinander verschwimmen. Irgendwann taucht Tristans verschollene Schwester auf, die Sunny verdächtig ähnlich sieht und ihm zur Flucht verhelfen will, indem sie ihm ihren Pass überlässt. Aus dem feuchten Traum ist da längst ein Albtraum geworden, die Handlung wird zum Krimi; plötzlich stecken die Protagonisten mitten in einem Mordfall, und Sunny muss verschwinden.

»›LasVegas‹ zu erzählen, war für mich der Versuch, diese unberechenbare Gewalt zu verstehen, die so beliebig ihre Opfer wählt. Ich begann, über ein Lebensgefühl zu recherchieren, das aus Städten wie Tel Aviv zu uns herüberschwappt: Durch die wirklich reelle Möglichkeit, morgen vielleicht tot zu sein, verändert sich bei einigen Menschen die Art zu leben. Man überzieht das Konto, nimmt sich, was man will und was man kriegen kann«, erklärt Regisseur Malik und präsentiert in »LasVegas« den Hedonismus seiner Protagonisten auch als zerstörerischen Narzissmus, der nur Opfer kennt, aber keine Perspektive. Diese Flucht vor und aus den Verhältnissen führt, solange diese sich nicht ändern, aber unweigerlich ins Nirgendwo. Und da ist halt auch nur Las Vegas.

»LasVegas«, Deutschland 2023. Regie: Kolja Malik. Mit: Tim-Fabian Hoffmann, Daniel Roth, Liv Cooper. Jetzt im Kino.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal