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Prekäre Bedingungen für Arbeitsmigranten in den Niederlanden
Zeitarbeitsfirmen in den Niederlanden machen Geschäfte auf Kosten temporärer ausländischer Arbeitskräfte
Eine Betonfläche irgendwo am Rand der Stadt Eindhoven, zwischen Feldern, Industriegebiet und Flughafen. Darauf stehen lange Zelte, daneben mehrere Container. Um das große Gelände herum sind Gitterzäune aufgestellt. An einem hängt ein großes weißes Banner: »Winternoodopvang Eindhoven«.
Bestimmt ist das Winternotquartier Eindhoven für obdachlose Arbeitsmigrant*innen. Denn der Traum vom guten Verdienst in den Niederlanden endet oft böse. Was mit falschen Versprechungen begann, entpuppt sich als Ausbeutung, auf eine fristlose Kündigung kann plötzliche Obdachlosigkeit folgen.
Angeworben werden Menschen aus ärmeren EU-Ländern für Jobs, die Einheimische aufgrund niedriger Löhne bei schwerer Arbeit in der Regel nicht machen wollen. Innerhalb der EU können Personen mit einem europäischen Pass visumfrei arbeiten, ihre Vermittlung übernehmen vor allem Zeitarbeitsfirmen. Nach Angaben der niederländischen Arbeitsaufsichtsbehörde sind hier in der Zeitarbeitsbranche mehr als 16 000 Unternehmen tätig. In den vergangenen drei Jahren wurden von der Behörde 1304 Zeitarbeitsfirmen kontrolliert, bei zwei Dritteln davon wurden Probleme aufgedeckt.
Bis 1998 war für die Eröffnung einer Zeitarbeitsfirma eine Genehmigung notwendig, damals gab es etwa 4000 solcher Uitzendbureaus. Aktuell diskutiert die niederländische Politik, derartige Lizenzen bis 2025 wieder einzuführen.
Nach Untersuchungen des niederländischen Amts für Statistik (CBS) kamen im Jahr 2021 mehr als 800 000 ausländische Arbeitskräfte ins Land. Gegenüber 2006 hat sich ihre Zahl damit vervierfacht. 2019 stammten 60 Prozent aus Polen, ein Jahrzehnt zuvor waren es sogar 86 Prozent. Stark zugenommen hat dafür der Anteil der Menschen, die aus Rumänien und Bulgarien kommen. Das Forschungsinstitut SEO in Amsterdam ermittelte für 2022 16 beziehungsweise acht Prozent.
Ihre Jobs finden sie nach Angaben der niederländischen Arbeitsaufsichtsbehörde vor allem in der Landwirtschaft, im Baugewerbe, in Warenverteilzentren, im Blumenhandel und bei der Post.
Beliebig einsetzbar
Aufstehen. Arbeiten. Schlafen. So beschreibt Agata P. ihr aktuelles Leben. Im vergangenen Mai kam die junge Polin in die Niederlande, um in einem Unternehmen zu arbeiten, das Fertigsalate für Supermärkte produziert. Um welche Firma es sich handelt und wo die sich befindet, will sie lieber nicht sagen.
Erhalten hat sie den Job über eine Agentur in Polen. Dort wurde sie zu einem Gespräch eingeladen, wobei vor allem allgemeine Fragen gestellt wurden, zum Beispiel, ob sie bereits in einer Großproduktion gearbeitet habe oder ob sie Englisch spreche. Anschließend habe sie einen auf Polnisch abgefassten Vertrag unterschrieben.
Schichtpläne, berichtet Agata, werden in dem Unternehmen nicht im Voraus bekannt gegeben. Oft erfahre sie erst am Vortag, wann sie arbeiten müsse. Es komme auch vor, dass sie eine Woche lang nur Nachtschichten mache, das darauffolgende Wochenende sei dann frei. Während ausschließlich Niederländer*innen in Leitungspositionen tätig seien, würden unter ihnen Menschen aus Spanien, Bulgarien, Polen, Rumänien und der Türkei arbeiten.
Agatas Unterkunft stellt die Zeitarbeitsfirma. Anfangs wohnte die 22-Jährige in einem Hotelzimmer, das sie zeitweilig mit einer weiteren Person teilen musste. Später zog Agata mit Kolleg*innen in ein Haus um, das der Agentur gehört.
Die Polin verdient anfangs 12 Euro pro Stunde, in der Woche arbeitet sie laut Vertrag 40 Stunden. Seit dem 1. Juli 2023 beträgt der gesetzliche Mindestlohn in den Niederlanden für Beschäftigte ab einem Alter von 21 Jahren 1995 Euro brutto. Auf den Stundenlohn bei Vollzeitverträgen mit 36, 38 oder 40 Stunden umgerechnet beträgt das minimale Salär 12,79 Euro, 12,12 Euro beziehungsweise 11,51 Euro. Die Arbeitgeber*innen sind eigentlich verpflichtet, eine Urlaubsvergütung von acht Prozent zu zahlen. In Agatas Fall aber sind alle Urlaubstage unbezahlt.
Abzocke per Vertrag
Dass die Arbeitsbedingungen von Arbeitsmigrant*innen in den Niederlanden oft prekär sind, weiß Klara Boonstra vom Gewerkschaftsbund FNV, die auch einen Lehrstuhl für internationales Arbeitsrecht an der Freien Universität Amsterdam innehat. »An die Arbeitsverträge sind oft Knebelparagrafen geknüpft«, erklärt sie. »Für miserable Unterkünfte werden enorm hohe Beträge vom Lohn einbehalten. Es kommt auch vor, dass Menschen kein eigenes, abschließbares Zimmer haben oder die verfügbaren Betten abwechselnd nutzen müssen.«
Da die Unterbringung häufig Teil des Arbeitsvertrags ist, stehen Arbeitsmigrant*innen bei fristloser Kündigung schnell auf der Straße, oft ohne Sprachkenntnisse und ohne Geld für ein Ticket zurück nach Hause. Viele enden in der Obdachlosigkeit, nach Schätzungen sind aktuell mehr als 6000 Personen betroffen. Manche leben in Zelten im Wald bei Venlo nahe der deutschen Grenze oder im Park Scheveningse Bosje bei Rotterdam.
Zudem werde in den Betrieben die Arbeitszeit als Druckmittel eingesetzt. »Menschen, die sich über die Zustände beschweren, bekommen dann weniger Arbeitsstunden zugeteilt, was sich natürlich auf den Verdienst auswirkt«, erläutert Boonstra. »Die Stundenanzahl ist viel leichter zu manipulieren als die Lohnhöhe.«
Solche Manipulationen kennt auch Joanna Garnier, die seit zwei Jahrzehnten für die Menschenrechtsorganisation La Strada tätig ist. »Wir haben Verträge gesehen, in denen unbezahlte Überstunden festgeschrieben sind. Jemand arbeitet zehn Stunden am Tag, bekommt aber nur acht davon bezahlt.« Zudem gebe es, so die Polin, oft Dokumente in verschiedenen Sprachen mit abweichenden Konditionen.
Klara Boonstra sieht noch ein anderes Problem: »Für uns als Gewerkschaft ist es sehr schwer, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Viele Unternehmen lassen uns nicht rein für Kontrollen. Einige schon, aber besonders die Fleischverarbeitungsindustrie macht es uns absichtlich schwer. Da heißt es dann: Ihr dürft erst rein, wenn der Gesetzgeber uns dazu zwingt.«
Job-Anzeigen per Whatsapp
Auch aus Moldawien kommen dank eines rumänischen Passes viele Menschen als Arbeitsmigrant*innen in die Niederlande. Derartige Jobs zu finden ist leicht. In der Hauptstadt Chișinău sind Straßenlaternen und Ampelpfeiler vollgeklebt mit Angeboten zum Arbeiten in Deutschland, Arbeiten in Spanien, Arbeiten in Holland. Dazu meist nur eine Telefonnummer.
Tatiana Fomina von La Strada stammt aus Moldawien und weiß, dass es sich in fast 70 Prozent der Fälle, mit denen es ihre Organisation zu tun hat, um Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt dreht. Oft im Zusammenhang mit Jobs im Ausland, die online oder über Agenturen gefunden wurden.
Wie in den Niederlanden brauchen auch in Moldawien solche Firmen keine Lizenz. »Es gibt die sogenannten temporären Agenturen, die online und über Social Media arbeiten und vor allem saisonale Jobs anbieten«, erklärt Fomina. Ihre Anzeigen verbreiten sie vor allem über Whatsapp-Gruppen. Solche Agenturen verschwinden nach wenigen Monaten wieder vom Markt.
Im Ausland, etwa den Niederlanden, bestimme ebenfalls der Markt die Regeln des Geschäfts. »In den EU-Ländern herrscht ein massiver Bedarf an billigen Arbeitskräften. Wäre das nicht der Fall, gäbe es für die Agenturen hier keinen Anreiz, um Menschen dorthin zu schicken.«
Fomina weiß auch, dass Länder wie Moldawien ein günstiger Markt für derartige Zeitarbeitsfimen ist. Hier gäbe es viele Menschen, die für ein paar Monate in EU-Ländern arbeiten wollen, um Geld zu verdienen, mit dem sie über den Winter kommen. »Unser Land ist arm und die Gehälter sind niedrig. Natürlich sind dadurch die vergleichsweise hohen Löhne anderswo attraktiv. Offiziellen Zahlen zufolge arbeiten zehn Prozent der Menschen aus Moldawien im Ausland. Das sind rund 300 000 Personen.«
Für die Agenturen biete deren verzweifelte Lage die Möglichkeit, Druck auszuüben. Oft müssten Jobsuchende binnen weniger Tage zusagen und die Reise antreten, unter dem Vorwand, es gäbe so viele Interessierte. Dadurch bleibe wenig Zeit für Recherchen und Rückfragen. Erfolgsgeschichten über Arbeitsmigration, die vor allem im ländlichen Raum kursierten, würden das Interesse zusätzlich befeuern, berichtet Fomina.
Überhaupt sei die Perspektivlosigkeit gerade der ländlichen Bevölkerung im Hinblick auf Moldawien der vielleicht wichtigste Faktor. »Bei Menschen ohne eine Ausbildung, vielleicht vor dem Hintergrund familiärer Probleme mit Gewalt und Alkoholismus, ziehen die Arbeitsangebote besonders«, sagt die Aktivistin.
Großes Gefälle
Joanna Garnier von La Strada Polen kennt vergleichbare Situationen. »Neunzig Prozent der Menschen, die zum Arbeiten ins Ausland gehen, machen dies über Agenturen. Das sind dann vor allem diejenigen, die Tulpen pflücken oder bei Amazon am Band arbeiten. Die übrigen sind höher Qualifizierte, die direkt von Firmen angestellt werden und eine Vermittlung durch Dritte nicht benötigen.«
Dass Arbeitsmigrant*innen wegen illegaler Praktiken von Unternehmen eine Anzeige bei der Polizei erstatten, käme so gut wie nie vor, berichtet Garnier. Zu groß sei die Angst, nicht mehr im jeweiligen Land arbeiten zu dürfen und dadurch sein Einkommen zu verlieren. Außerdem herrsche oft die Denkweise vor, dass man nur Pech gehabt habe und es beim nächsten Mal besser laufen werde. »Die Leute halten es für ein paar Monate aus. Am Ende haben sie ja trotzdem genug Geld verdient, um die nächsten paar Monate zu studieren oder die Miete zu bezahlen.«
Garnier legt den Finger in die Wunde: »Die Agenturen waschen sich rein, indem sie sagen: ›Es sind erwachsene Menschen. Sie haben die Verträge gelesen und unterschrieben‹. Für uns hat Menschenhandel das Gesicht solcher Firmen bekommen.«
Agata P. hat sich entschieden, ihre Anstellung nicht zu verlängern. Sie geht nach Polen zurück und will sich nicht noch einmal auf eine Zeitarbeitsfirma einlassen. Dabei hat Agata vergleichsweise noch Glück gehabt. Da geht es denjenigen ganz anders, deren Traum vom guten Geld in einem Zelt endete.
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