Paul-Lincke-Ring: Der Preis ist heiß

Goslar setzt die Ehrung mit dem Paul-Lincke-Ring aus und will stattdessen seine NS-Biografie erforschen. Doch die ist längst bekannt

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Linckes Verstrickungen ins NS-Regime sind sogar ein eigenes Kapitel bei Wikipedia wert.
Linckes Verstrickungen ins NS-Regime sind sogar ein eigenes Kapitel bei Wikipedia wert.

Seit 1955 verleiht die Stadt Goslar den Paul-Lincke-Ring. Die zunächst im Zwei-Jahres-Rhythmus, inzwischen jährlich vergebene, nicht mit einem Geldpreis verbundene Auszeichnung ehrt Künstlerinnen und Künstler, die sich um die deutsche Unterhaltungsmusik verdient gemacht haben. Gleichzeitig soll der Ring an den Namensgeber Paul Lincke (1866 –1948) erinnern. Der Operettenkomponist und Kapellmeister, das bekannteste seiner Stücke ist wohl »Das ist die Berliner Luft« (1904), verbrachte seine letzten Lebensmonate im Goslarer Ortsteil Hahnenklee und liegt dort auch begraben.

Unter den mit dem Paul-Licke-Ring Gekürten waren in der Vergangenheit etwa Udo Jürgens, Peter Maffay, Udo Lindenberg, Max Raabe, Wolfgang Niedecken, Ina Müller, Johannes Oerding und Helge Schneider. Die Übergabe des Ringes ist häufig mit einem Besuch oder gar einem Konzert des Preisträgers oder der Preisträgerin in Goslar verbunden.

Zum Ringträger 2024 wählte die Jury kürzlich den aus Bremen stammenden Musiker und Schriftsteller Sven Regener. Der 63-Jährige ist Sänger und Texter der Band Element of Crime und Autor der »Herr Lehmann«-Buchreihe. Regener sei »die poetische Fachkraft für ironisch-lakonische Zärtlichkeit«, begründete die Preisjury ihre Entscheidung. Präzise kleide er Liebesleid und Launen in prägnante Sätze und Geschichten.

Doch aus der diesjährigen Verleihungsfeier wird wohl nichts. Die Stadt Goslar kündigte nämlich in der vergangenen Woche an, sie wolle möglichen Verstrickungen Linckes während des Nationalsozialismus auf die Spur kommen. Auf Grundlage bereits gewonnener Erkenntnisse, die Lincke unter anderem mit Funktionären des NS-Regimes in Verbindung brächten, werde zunächst eine Fachexpertise in Auftrag gegeben. Diese Expertise solle Linckes Haltung in der fraglichen Zeit betrachten. Abhängig vom Ergebnis empfehle die Preisjury einvernehmlich eine neue Ausrichtung des Preises.

Für den Preisträger Sven Regener sei die Klärung von Paul Linckes Nazi-Bezügen ebenfalls unerlässlich, sagte eine Stadtsprecherin. Die Verleihung des Ringes an ihn werde daher, zumindest für dieses Jahr, ausgesetzt.

Warum die Stadt erst jetzt auf die Idee kommt, Paul Linckes Vergangenheit zu thematisieren, erschließt sich nicht vollends. Denn die ist schon länger bekannt: Lincke war seit 1933 Mitglied und im Vorstand der von Joseph Goebbels gegründeten Kameradschaft der Deutschen Künstler. Noch im selben Jahr komponierte er den Marsch »Unsere braunen Jungens«, der dann zum Repertoire der SS-Leibstandarte Adolf Hitler gehörte. Es folgten weitere Kompositionen mit ähnlichen Titeln. Ab 1933 war Lincke im Ehrenvorstand des Neuen Deutschen Bühnen- und Filmklubs, ab 1936 Ehrenpräsident des Berufsstandes der Deutschen Komponisten.

Lincke war, so weit bekannt, zwar nie Mitglied der NSDAP, ihn verbanden aber persönliche, teilweise sehr enge Kontakte mit verschiedenen prominenten Nationalsozialisten wie dem Kulturfunktionär Hans Hinkel, seines Zeichens Reichsorganisationsleiter des Kampfbundes für deutsche Kultur und Dritter Geschäftsführer der Reichskulturkammer, sowie dem »Reichsbühnenbildner« Benno von Arent oder mit Magda Goebbels, der Ehefrau von Joseph Goebbels.

Joseph Goebbels persönlich überreichte Lincke 1937 die Silberne Ehrenplakette seiner Heimatstadt Berlin sowie zu seinem 75. Geburtstag am 7. November 1941 im Auftrag Hitlers die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft, die damals »höchste Auszeichnung des deutschen Kunstschaffens« und den Ehrenbürgerbrief der Reichshauptstadt. Goebbels hielt dazu auch die Laudatio.

Linckes Musik erlebte während der NS-Zeit eine Renaissance, wodurch sich zwischen 1934 und 1940 sein Einkommen ungefähr verdreifacht haben soll. Gleichwohl blieb Lincke nach den Recherchen des Forschers Jan Kutscher, der auch eine Biografie über ihn verfasste, dem NS-Staat in gewisser Weise zu suspekt, um ihn in seine Propaganda voll einzubinden. Den damaligen NS-Größen sei Lincke trotz aller Ehren mit einer »vergangenen Zeit« verbunden gewesen.

Da Linckes Verbindungen zum NS-Staat nach 1945 bereits der US-amerikanischen und der britischen Militärverwaltung bekannt waren, belegten sie ihn in ihren jeweiligen Besatzungszonen mit Auftrittsverboten, die bis zu seinem Tod nicht aufgehoben wurden.

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