Björn Höckes Schattenkabinett

Der Thüringer AfD-Chef will Ministerpräsident werden. Ein solches Szenario könnte laut Experten immer wahrscheinlicher werden

  • Stefan Hantzschmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Erfurt. Björn Höcke als Ministerpräsident – bislang gilt dieses Szenario als eher unwahrscheinlich. Doch in der Thüringer AfD träumen einige schon von der absoluten Mehrheit nach der Landtagswahl 2024.

AfD-Landes- und Fraktionschef Höcke selbst sprach im November bei einem Landesparteitag in Pfiffelbach so, als könnte er Regierungschef werden. Er sagte dort Sätze wie »Wenn ich dann als Ministerpräsident …«, »meine Regierung« oder »eine der ersten Maßnahmen, die wir in Thüringen mit einer AfD-Regierung umsetzen…«.

Während Hunderttausende Menschen in Deutschland gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen, plant die AfD in Thüringen ein Schattenkabinett aufzustellen – mit AfD-Leuten für mögliche Ministerposten. Die Landesverbände in Sachsen und Thüringen werden von den dortigen Verfassungsschutzämtern als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und beobachtet, die AfD in Brandenburg ist ein Verdachtsfall.

In allen drei Ländern liegt die Partei in Umfragen auf Platz eins – mit Werten teils über 30 Prozent. Daran scheinen zunächst auch die bundesweiten Demonstrationen nichts zu ändern, nachdem das Medienhaus Correctiv ein Treffen radikaler Rechter in Potsdam öffentlich gemacht hatte, an dem auch AfD-Politiker teilnahmen.

Nach einer Infratest dimap-Umfrage kommt die AfD in Sachsen auch nach Veröffentlichung der Recherchen auf 35 Prozent – und wäre damit stärkste Kraft. Dagegen müssen SPD und Grüne um den Wiedereinzug in den Landtag bangen. In Thüringen könnten Grüne und FDP rausfliegen – sollten beide an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, würde die absolute Mehrheit für die AfD im Landtag näher rücken.

Auf den ersten Blick sei die AfD noch »sehr weit« von der absoluten Mehrheit entfernt und damit von der Möglichkeit allein zu regieren, sagt der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz. »Wir müssen aber berücksichtigen, dass es am Ende auf die Hälfte der Sitze im Landtag ankommt.«

In einem Thüringer Parlament mit nur noch vier Parteien statt sechs könnte die AfD schon mit gut 40 Prozent die Hälfte der Sitze erhalten. »Das ist nicht ganz ausgeschlossen«, so der Experte. Es komme auch darauf an, ob eine Wagenknecht-Partei antritt und in den Landtag kommt. Auch Ex-Bundesverfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen will mit seiner Werteunion eine Partei gründen. Möglich also, dass im Erfurter Landtag am Ende nicht weniger, sondern mehr Parteien vertreten sind.

Eine AfD in Regierungsverantwortung könnte Gerichte neu besetzen oder Einfluss auf den Verfassungsschutz nehmen, der in Brandenburg und Thüringen eine Abteilung des Innenministeriums ist. »Wir werden den Verfassungsschutz zurückpfeifen«, sagte kürzlich der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD im Brandenburger Landtag, Dennis Hohloch.

In sieben Monaten Wahlkampf kann sich aber noch vieles ändern. In Thüringen und Sachsen wird am 1. September gewählt, in Brandenburg drei Wochen später. Umfragewerte sind noch keine Wahlergebnisse und mit Unsicherheiten behaftet. In allen drei Ländern könnte die AfD wohl nur mit einer absoluten Mehrheit in Regierungsverantwortung kommen, weil alle anderen Parteien eine Zusammenarbeit ablehnen. Doch auch ohne Regierungsbeteiligung könnten sich für die AfD bei guten Wahlergebnissen neue Möglichkeiten eröffnen.

Wird die AfD in Thüringen stärkste Kraft, kann sie nach den Gepflogenheiten des Parlaments einen Kandidaten als Präsidenten des Landtags vorschlagen. Fällt er bei der Wahl durch, wäre das Parlament zumindest vorerst nicht arbeitsfähig – eine womöglich einmalige Situation in Deutschland. Würde der AfD-Kandidat dagegen gewählt, wäre dieser Leiter des Verfahrens der Ministerpräsidentenwahl.

In Thüringen gibt es hier eine hitzig diskutierte rechtliche Frage: Ist ein Ministerpräsidentenkandidat im dritten Wahlgang auch mit mehr Nein- als Ja-Stimmen gewählt, wenn er allein antritt? »Der Landtagspräsident oder die -präsidentin würde in diesem Moment darüber entscheiden, ob die Wahl erfolgreich war oder nicht«, erklärt Brodocz. Später könnte sich der Verfassungsgerichtshof damit beschäftigen. »Aber erst einmal, just in diesem Moment, wäre das zu entscheiden.«

Nach außen repräsentiere der Präsident den Thüringer Landtag »und damit alle Abgeordneten, die vom Volk gewählt sind«. Er könne gar für sich in Anspruch nehmen, das »Volk als Ganzes« zu repräsentieren. Er sei auch sehr autonom in seinen Entscheidungen – etwa beim Einladen von Staatsgästen. »Da könnten Leute im Thüringer Landtag auftauchen, mit denen man vielleicht vorher nicht gerechnet hat«, sagt Brodocz.

In den drei ostdeutschen Bundesländern könnte die AfD mehr als ein Drittel der Sitze im jeweiligen Landtag erhalten. Für alle Abstimmungen, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig ist, wären die Parteien dann auf das Wohlwollen der AfD angewiesen. Die AfD in Thüringen weiß das genau: Höcke hatte bereits im Mai 2023 das Ziel ausgegeben, in Thüringen »33 plus X Prozent« bei der Landtagswahl zu erreichen.

Schafft die AfD das, hätte sie in Thüringen eine machtvolle Stellung im Parlament, wie aus einer Übersicht der Landtagsverwaltung hervorgeht. Der Landtag könnte sich dann ohne AfD-Zustimmung nicht mehr auflösen, um eine Neuwahl herbeizuführen. Die AfD könnte die Besetzung und damit die Arbeitsfähigkeit von Gremien blockieren, Richter und Staatsanwälte ernennen. Auch die Wahl eines Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes erfordert eine Zwei-Drittel-Mehrheit. dpa/nd

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