Montagsdebatten statt Montagsdemos

Das Netzwerk Zeitgeschichte pflegt den Austausch über Erinnerungskultur und Demokratie

»Das Netzwerk Zeitgeschichte verbindet Gedenkstätten, Forschung und Zivilgesellschaft.« So heißt es in der Selbstdarstellung. »Als Scharnierstelle zwischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik setzen wir uns für die Erprobung innovativer Vermittlungsformate und die Stärkung der Demokratie in Brandenburg ein.« Das Netzwerk Zeitgeschichte ist ein Projekt der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten und der Humboldt-Universität zu Berlin (HU), an dem sich das Potsdamer Zentrum für zeithistorische Forschung beteiligt. Im November 2022 startete die Pilotphase, die bis Herbst 2025 läuft.

Stiftungsdirektor Axel Drecoll, seine Stellvertreterin Andrea Genest und HU-Geschichtsprofessor Thomas Sandkühler stellten das Netzwerk am Mittwoch im Kulturausschuss des Landtags vor. Staatssekretär Tobias Dünow (SPD) sagte anschließend »ganz dick Danke«. Für ihn bemerkenswert: »Da steckt kein Cent vom brandenburgischen Steuerzahler drin.« In sechs Veranstaltungen die gesamte erinnerungspolitische Debatte so aufzufächern, wie es dem Netzwerk gelungen sei, nannte Dünow »sensationell«. Er meinte damit die sogenannten Montagsdebatten, die teils in der brandenburgischen Landesvertretung in den Berliner Ministergärten und teils in der Humboldt-Universität stattgefunden hatten. Krieg und Gewalt, die Renaissance des Nationalismus, das möglicherweise schwierige Verhältnis von Politik und Zeitgeschichte, die Bedeutung von Geschichte für Gegenwart und Zukunft und welche verfassungsrechtliche Absicherung die Erinnerungskultur brauche – das waren im November, Dezember und Januar die Themen der Veranstaltungsreihe.

Begeistert allein schon von dem Begriff Montagsdebatten zeigte sich der SPD-Abgeordnete Erik Stohn. »Es gibt die Montagsdemos, aber dort haben wir keinen Austausch, keine Debatte, sondern einen Meinungsbrei«, sagte Stohn. Montagsdemonstrationen hatte es 1989 in der DDR gegeben und 2004 gegen Hartz IV. Doch marschierten auch schon verschiedene Neonazi-Gruppen in Montagsdemos auf und die antimuslimische Pegida-Bewegung wählte den Montag für ihre Spaziergänge.

Die Landtagsabgeordnete Daniela Oeynhausen (AfD) hatte das Netzwerk Zeitgeschichte zwar gelobt. Aber zugleich fragte sie mehrfach nach, ob und in welcher Höhe staatliche Mittel dafür fließen. Es drängte sich der Verdacht auf, sie tue dies nur, damit ihre Partei die Verwendung der Mittel bei späterer Gelegenheit geißeln könnte. Auch wollte Oeynhausen erfahren, ob denn unbedingt zwei extra Personalstellen notwendig seien.

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Entsprechend sauer reagierte die Landtagsabgeordnete Katja Poschmann (SPD). Sie versicherte, man werde nicht zulassen, dass das Netzwerk seine Arbeit nicht mehr machen könne – gerade weil die AfD genau dies offensichtlich wolle. Dabei steckt fast kein Geld vom Staat in dem Netzwerk und überhaupt keines vom Land Brandenburg. Rund 300 000 Euro habe man befristet für die Pilotphase von einer privaten Stiftung erhalten, erklärte Gedenkstättendirektor Drecoll. Das reiche für die zwei Stellen zur Projektkoordination – es seien keine Vollzeitstellen – und für Sachkosten. »Wir sind derzeit sehr dünn besetzt«, sagte Professor Sandkühler. Eine dauerhafte Finanzierung wäre wünschenswert.

Die Montagsdebatten erforderten bis jetzt zusammen 15 000 bis 20 000 Euro. Nach Ansicht von Sandkühler ist das »ein Schnäppchenpreis«. Man habe einen Zuschuss von der Bundeszentrale für politische Bildung erhalten. »Diese Montagsdebatte ist sehr erfolgreich verlaufen, was die Teilnehmer belangt, was die öffentliche Aufmerksamkeit belangt«, freute sich der Historiker. Die brandenburgische Gedenkstätten-Stiftung pflegt indes nicht allein ihre Beziehungen zur Humboldt-Universität, wo Drecoll als Honorardozent wirkt. Sie unterhält auch Kontakte zu den Universitäten in Cottbus und Potsdam.

Wichtig im Netzwerk ist aber vor allem die Kooperation mit kleinen Museen wie dem in Falkensee, mit dem zusammen Studierende einen Audioguide zum KZ-Außenlager Falkensee entwickeln. Wichtig ist auch die Vernetzung mit Vereinen und Initiativen, die sich um solche Außenlager kümmern. Anfragen gibt es immer wieder, berichtete Drecoll am Mittwoch.

So wünschte sich der Verein KZ-Gedenkstätte Schlieben-Berga inständig, dass Drecolls Stiftung vielleicht einen wissenschaftlichen Mitarbeiter entsendet, der die Geschichte des Lagers besser erforscht. In Schlieben-Berga befand sich einst das drittgrößte von 136 Außenlagern des Konzentrationslagers Buchenwald. 5000 Häftlinge mussten für die Hugo Schneider AG Panzerfäuste, Tellerminen und Munition fertigen.

Doch die Stiftung musste den Verein vor zwei Jahren abweisen: »In Anbetracht von knapp 100 Außenlagern allein des KZ Sachsenhausen, die jeweils einen durchaus anderen Charakter tragen konnten, was ihre Größe, die Zahl der Opfer oder die Dauer ihrer Existenz betrifft, stehen wir immer vor der Frage, welchen Orten wir mit unseren begrenzten Mitteln wie viel Aufmerksamkeit widmen können.«

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