Kritik? Nein, danke!

Die »Berliner Zeitung« sorgt mit tendenziösen Berichten über das Konkurrenzblatt »Tagesspiegel« für Schlagzeilen. Was hat es damit auf sich?

Kritik zu üben ist häufig einfacher, als sie anzunehmen. Das zeigt sich auch unter Journalist*innen immer wieder.
Kritik zu üben ist häufig einfacher, als sie anzunehmen. Das zeigt sich auch unter Journalist*innen immer wieder.

Vermutlich kann jede Berufsgruppe von sich behaupten, zu den anstrengendsten des gesamten Planeten zu gehören. Bei Journalist*innen ist das nicht anders. Immerhin kommen hier nicht selten in persona narzisstische Profilierungssucht, Geltungsdrang und maßlose Selbstüberschätzung, kombiniert mit Besserwisserei, Neid und Missgunst zusammen. Ständig hält in der Raucherecke großer oder kleiner Redaktionen irgendwer einen Monolog über sein spannendes »Projekt«, möchte für ihr neuestes »Stück« gelobt werden oder zerreißt sich das Maul über die vermeintliche Doppelmoral anderer Kolleg*innen und Gesprächspartner*innen, die öffentlich das Gegenteil dessen verlautbaren, was sie im Privaten (im Journalist*innensprech »unter Drei« genannt) so von sich geben. Die Ellenbogen sind ausgefahren, der Erfolgs- und Konkurrenzdruck innerhalb einer sich seit Jahrzehnten in der Krise befindenden Branche groß, Existenz- und Versagensängste an der Tagesordnung, von technologischen Herausforderungen, Krieg, Krise, Inflation und gestiegenen Papierkosten gar nicht erst zu sprechen. Kurzum, es ist Druck auf dem Kessel.

Geraune aus der Chefetage

Wenn man im Journalismus zu einem fähig sein sollte, dann ist es wohl, Kritik nicht nur äußern, sondern sie auch annehmen zu können. Die »Berliner Zeitung« liefert sich seit einiger Zeit in aller Öffentlichkeit eine Auseinandersetzung mit dem »Tagesspiegel«. Jüngst erst rückte man den publizistischen Marktführer der Hauptstadt aufgrund dessen Umstellung der Printausgabe auf das sogenannte Tabloid-Format in eine zweifelhafte Ecke. Wörtlich hieß es in einem Artikel über die wirtschaftliche Entwicklung und den Relaunch des Konkurrenzproduktes: »Das Format ähnelt dem der rechtspopulistischen Kronen Zeitung aus Österreich. Österreichische Medienmanager haben immer wieder versucht, das Konzept der Krone deutschen Verlegern anzudienen. Es wurde nie umgesetzt – wegen der teilweise rabiaten Haltung der Krone gegen Ausländer oder Minderheiten.«

Doch keine Sorge: Wer der kruden Argumentation nicht ganz folgen kann, braucht nicht gleich am eigenen Verstand zu zweifeln. Dasselbe Autorentrio der »Berliner Zeitung«, darunter Chefredakteur Tomasz Kurianowicz samt Stellvertreter, legte nur wenige Tage später nach. Anlass waren wenig diplomatisch formulierte Mutmaßungen des ukrainischen Botschafters Oleksij Makejew auf der Plattform X über die prorussische Berichterstattung der »Berliner Zeitung«. Daraufhin raunten deren Chefredakteur, dessen Vize und ein altgedienter Redakteur mit den Schwerpunkten Internationale Politik, Europa und Grundrechte zurück: »Der ukrainische Botschafter hat Redakteure der Berliner Zeitung an den Pranger gestellt. Welche Rolle spielt der Tagesspiegel bei der seltsamen Aktion?«

Roger Waters und der BDS

Erneut an Fahrt aufgenommen hatte die Fehde zwischen den beiden Publikationen, als der »Tagesspiegel« vor wenigen Wochen über ein von Kurianowicz und einem Kollegen geführten Interview mit dem Pink-Floyd-Gründer und Unterstützer der israelfeindlichen BDS-Kampagne (Boycott, Divestment and Sanctions) Roger Waters berichtete. Ohne dies kenntlich zu machen, hatte die »Berliner Zeitung« die von Waters im Gespräch geäußerten Vergleiche des jüdischen Staates mit Nazi-Deutschland sowie seine Infragestellung des Existenzrechts Israels herausgestrichen – und damit einen falschen Eindruck vermittelt. Geschenkt, dass irrelevante Passagen aus Interviews fliegen. Problematisch wird’s allerdings, wenn die Streichungen das Vorhaben der Journalisten konterkarieren. Immerhin kündigten diese ihr Interview mit Roger Waters wie folgt an: »Meint er seine Aussagen wirklich ernst? Oder wird er einfach nur missverstanden?« Doch statt einzuräumen, dass die Redaktion fehlerhaft – und vor allem unprofessionell – handelte, entschied man sich offensichtlich dazu, zum Gegenangriff überzugehen.

Wer bei Google »Kritikfähigkeit« eingibt, landet schnell auf Ratgeberseiten mit Tipps zum richtigen Umgang mit Fehlern. »Kritisiert zu werden ist nie schön«, heißt es da, und dass manche sich durch Kritik »klein und erniedrigt« fühlten, andere »eher aggressiv und gereizt«. Als schlechteste Strategien im Umgang mit Kritik werden »in Tränen ausbrechen, alles abstreiten oder den Spieß umdrehen und zum Gegenangriff übergehen« bezeichnet. Die Begründung: »Nichts davon ist konstruktiv und wird einen weiterbringen, geschweige denn kompetent erscheinen lassen.«

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