Israel und Gaza: Provinzielle Debatte?

Die Politologin Jodi Dean bezeichnete die bewaffneten Gleitschirmflieger der Hamas als Symbol der »Freiheit«

Drachen in der Luft als Symbol der »Liebe« und »Freiheit«: Für Jodi Dean trifft das auch auf die Gleitschirmflieger der Hamas zu
Drachen in der Luft als Symbol der »Liebe« und »Freiheit«: Für Jodi Dean trifft das auch auf die Gleitschirmflieger der Hamas zu

Der Entzug der Gastprofessur für die US-amerikanische Philosophin Nancy Fraser an der Universität Köln hat hohe Wellen geschlagen. Für viele war die Entscheidung ein Angriff auf die Meinungsfreiheit, um linke Wissenschaftler*innen zum Schweigen zu bringen. Mindestens aber sei es der Beweis, wie »provinziell« die deutsche Debatte um Israel und Gaza geführt werde. International positioniere man sich wesentlich entschiedener gegen »Genozid« und »Apartheid«, also gegen Israel, in Deutschland werde man dafür »gecancelt«.

Der größte englischsprachige linke Verlag Verso bietet daher schon seit längerem der Debatte um »Palestine« ein Forum. Auf deren Blog erschien jüngst der Essay »Palestine speaks for everyone« von Jodi Dean – dessen Position hierzulande tatsächlich unvorstellbar ist. Die US-amerikanische Politologin und Ikone der radikalen Linken – bekannt für ihre Bücher »Der kommunistische Horizont« oder »Genossen!« – sieht in der palästinensischen Sache die »radikal universalistische Emanzipation verkörpert«. Für sie und »viele von uns« seien die Bilder der bewaffneten Gleitschirmflieger vom 7. Oktober daher »berauschend« gewesen, denn sie symbolisierten »Freiheit« und »Offenheit«. So beurteilt Dean bereits die erste Intifada 1987, als die mordenden »Märtyrer« »nichts aufhalten oder hindern konnte, weil sie den Willen zum Fliegen hatten«. Für sie ist das vergleichbar mit Kindern, die am Strand Drachen steigen lassen: »ein Symbol der Liebe« und »die Gleitschirmflieger, die am 7. Oktober nach Israel geflogen sind, setzen die revolutionäre Verbindung von Befreiung und Fliegen fort«.

Wer dem – ganz provinziell – entgegenhält, dass das Töten von Zivilist*innen und islamistische Gewalt kaum etwas mit Liebe und Freiheit zu tun haben können, steht für Dean schlicht auf der falschen Seite. Denn der internationale Befreiungskampf werde »heute von der islamischen Widerstandsbewegung angeführt – Hamas«. Widerspruch ist Verrat am revolutionären Kampf: »Auf welcher Seite stehen Sie? Befreiung oder Zionismus und Imperialismus? Es gibt zwei Seiten und keine Alternative«. Als Beispiel einer solchen Verräterin nennt Dean ausgerechnet Judith Butler. Die stand jüngst selbst in der Kritik, weil sie die Hamas als legitimen Widerstand bezeichnete – aber weil sie deren Terror trotzdem verurteilt habe, mache sie sich in besagtem Kampf zur Komplizin der USA und Netanjahus.

Wer in der deutschen Debatte Bekenntniszwänge, Sprechverbote und Schwarz-Weiß-Denken bemängelt, kann sich auf das internationale Niveau freuen. Denn Dean steht mitnichten allein: In dieselbe Kerbe schlug der hofierte Ökoleninist Andreas Malm, der in der Al-Aksa-Flut der Hamas nichts weniger als den Befreiungskampf gegen die »Zerstörung der Erde« sieht. Dean räumt selbst ein, dass ihre Argumentation verdächtig nach Carl Schmitts Freund-Feind-Denken klingt – eine gewisse Ironie, dass die unprovinzielle, internationale Perspektive ausgerechnet bei einem deutschen Nazi landet. Wer die Entprovinzialisierung der deutschen Debatte wünscht, muss bereit sein, solchen Ideologien entgegenzutreten.

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