Streit um Sarkozys Heldengedenken

Protest in Frankreich gegen Vereinnahmung eines Kommunisten

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.
An den Schulen Frankreichs wurde am Montag der ergreifende Abschiedsbrief des am 22. Oktober 1941 ermordeten 17-jährigen Resistance-Kämpfers Guy Moquet verlesen. Die Anweisung von Präsident Sarkozy fand im linken Lager Kritik.

Als Vergeltung für den tödlichen Anschlag auf einen deutschen Offizier wurden 1941 50 Geiseln, darunter 27 aus dem Internierungslager Châteaubriant, erschossen. Guy Moquet war der jüngste von ihnen. Den Jungkommunisten hatte man im Oktober 1940 beim Verteilen von Flugblättern gegen die deutschen Besatzer verhaftet. Im Brief an seine Eltern und die Brüder bedauerte er, schon so jung sterben zu müssen, aber er bereute nichts und hoffte, dass sein Tod einer guten Sache diene. Dieses Schreiben verlas Präsident Nicolas Sarkozy am Tag seiner Amtseinführung im Pariser Bois de Boulogne, wo ebenfalls junge Widerstandskämpfer erschossen wurden. Zugleich gab er seine Entscheidung bekannt, dass der Brief künftig jedes Jahr am 22. Oktober an allen Schulen Frankreichs in feierlicher Form vorzulesen sei.

Die ersten Reaktionen – auch unter den Linken – waren positiv. Doch bald zeigte sich, dass Sarkozy mit der Geste vor allem die Absicht verfolgt, über Parteigrenzen hinweg an das nationale Bewusstsein und den Zusammenhalt aller Franzosen zu appellieren, und sich dabei auf die Worte von General de Gaulle beruft, wonach »alle Doktrinen, Lehrmeinungen und Revolten vergänglich sind, Frankreich aber ewig währt«.

Das liegt auf einer Linie mit Äußerungen von Sarkozy im Wahlkampf: »Ich verabscheue diese Mode des Bereuens, sie symbolisiert die Abscheu vor Frankreich und seiner Geschichte, sie will uns den Stolz verbieten, Franzosen zu sein, sie erzeugt einen Wettkampf konkurrierender Erinnerungen, sie bringt die Franzosen gegeneinander auf. Dieses Bereuen behindert die Integration, denn niemand hat Lust, sich in einem Land zu integrieren, das er zu verachten gelernt hat.« Dass es Vichy-Innenminister Pierre Pucheu war, der die Geiseln von Châteaubriant den deutschen Besatzern zur Erschießung ausgeliefert hat, wird bei dieser Sicht der Dinge natürlich unterschlagen.

Die FKP warnt vor dem »Versuch, die Geschichte umzuschreiben«, und die Lehrergewerkschaft SNES unterstützt jene ihrer Kollegen, die den Brief nicht verlesen wollten, wenn er nicht zugleich in seinen historischen Kontext gestellt wird. Die Bedenken und Proteste gegen die versuchte »politische Vereinnahmung« verstärkten sich noch nach dem Erlass von Volksbildungsminister Xavier Darcos über die Art, wie das Verlesen des Briefes an den Schulen zu erfolgen habe. Mit keinem Wort wird darin erwähnt, dass Guy Moquet Kommunist war, der für seine Überzeugungen gekämpft hat und gestorben ist. Moquets Genossen bezeichnet der Minister vage als »Gefährten im Unglück«.

Am vergangenen Wochenende fand im Steinbruch bei Châteaubriant, wo seinerzeit Guy Moquet und seine Kameraden ermordet wurden, eine Gedenkveranstaltung statt, auf der die FKP-Vorsitzende Marie-George Buffet daran erinnerte, dass der junge Kommunist für das Ideal einer besseren Welt gestorben sei. »Sein Vermächtnis besteht darin, zum Widerstand zu mahnen und zu erziehen«, sagte sie. »Ich bin überzeugt, wenn Guy Moquet hier und heute lebte, dann würde er mit denen zusammen auf die Straße gehen, die gegen Sozialabbau kämpfen und sich für von Abschiebung bedrohte Ausländer einsetzen.«

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