»Betongold«: Parade durch Kreuzberg meldet im Kiez Eigenbedarf an

Neue Kreuzberger Initiative gegen Luxusbauten schlägt eine Brücke zwischen SO36 und SO61

  • Günter Piening
  • Lesedauer: 4 Min.
Baustelle von »Die Macherei«: Auch in Kreuzberg 61 gibt es Großprojekte mit schwerwiegenden Auswirkungen für die Nachbarschaft.
Baustelle von »Die Macherei«: Auch in Kreuzberg 61 gibt es Großprojekte mit schwerwiegenden Auswirkungen für die Nachbarschaft.

»Betongold«: So heißen in der Sprache der Investmentbanker Immobilien, weil »diese Form der Kapitalanlage nicht nur Werterhalt, sondern auch Wertsteigerungen garantiert«, wie es auf der Webseite eines Finanzberaters heißt. Nachdem der Senat um die Jahrtausendwende einen großen Teil der kommunalen Wohnungsbestände privatisierte, ist Berlin ein Wallfahrtsort der global agierenden Betongoldhändler. Die Kehrseite erleben Mieter*innen täglich – Mietsteigerungen, Umwandlung in Eigentumswohnungen, Verdrängung.

»Betongold«: So nennt sich auch ein neuer Zusammenschluss von Initiativen gegen Luxussanierung, die am 27. April erstmals mit der Parade »Der Kiez hat Eigenbedarf« ihren Protest auf die Straße trägt. Die Demostrecke führt zu drei Orten, an denen die Folgen der Betongoldpolitik für Nachbarschaft und Mieter*innen besonders deutlich werden, wo aber auch Gegenwehr entstanden ist.

In der Reichenberger Straße 142 wurde im Hinterhof das Kleingewerbe vertrieben, jetzt zieht die Ziegert-Gruppe dort Eigentumswohnungen hoch. Wer »im Lieblingskiez der Hauptstadt Metropolen-Feeling mit viel Privatsphäre« (Ziegert-Werbung) erleben will, muss aber einiges auf den Tisch legen. Bis zu 2,6 Millionen Euro kosten die Wohnungen.

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Einen Katzensprung weiter liegt die Oranienstraße 1, ein markantes Eckgrundstück, das mit einem siebengeschossigen Hotel bebaut werden soll. »Das braucht hier kein Mensch,« sagt Felix von der Nachbarschaftsinitiative »nd«. Die sammelte mehr als 1000 Unterschriften für einen Bürgerantrag, der eine Bebauung fordert, die den Bedarf des Kiezes berücksichtigt. Die Grünen griffen das Anliegen auf und Ende 2023 fasste die BVV Friedrichshain-Kreuzberg einen entsprechenden Beschluss. »Seitdem scheint erstmal Ruhe, und das soll auch so bleiben,« gibt Felix sich kämpferisch.

Das dritte Projekt, Abriss und Neubebauung des Hafenplatzes in der Nähe des Potsdamer Platzes, war lange Zeit nicht auf dem Radar der stadtpolitischen Bewegung. Der markante Pyramidenbau aus den 1970er Jahren liegt in SO61, dem Teil Kreuzbergs, der – im Gegensatz zu SO36, wo das Herz des widerständigen Kreuzbergs verortet wird – als gutbürgerlich und langweilig gilt und wo es wenig stadtpolitische Initiativen gibt. Großprojekte mit schwerwiegenden Auswirkungen für die Nachbarschaft konnten hier unbemerkt voranschreiten. Wie etwa die Bebauung des Gleisdreiecks mit sieben Bürotürmen (»Urbane Mitte«), die Milliardeninvestition in das ehemalige Postscheckamt (»Die Macherei«) und eben der »Kulturhafen«, wie der Neubaukomplex am Hafenplatz im schönsten Werbesprech vermarktet werden soll. Investor dort ist der seit der ruppigen Kündigung des familiengeführten Gemüseladens »Bizim Bakkal« im Kreuzberger Wrangelkiez berüchtigte Jannis Moraitis. Er will die 360 preiswerten Mietwohnungen abreißen lassen, um Platz für ein »Urbanes Quartier mit Kiezflair« zu schaffen.

»Die Mieten, die dann zu zahlen sind, wird sich hier kaum einer leisten können«, fürchtet Lea. Sie wohnt in einer WG in einem Block des Hafenplatzes und arbeitet mit in der Mietervernetzung Hafenplatz. Wie die meisten Bewohner*innen hat auch sie nur einen befristeten Mietvertrag.

Seit Jahresanfang geht die Mietervernetzung verstärkt an die Öffentlichkeit und sucht Bündnisse auch über die engere Nachbarschaft hinaus. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Kiezversammlung der Kampagne »Deutsche Wohnen & Co enteignen« (DWe). Gerade für neue Gruppen seien die DWe-Kiezversammlungen wichtig, meint Lea, weil Kontakte geknüpft würden und »wir als neue Initiative vom Erfahrungsschatz der andern profitieren«.

Auch die Idee für »Betongold« entstand auf der Kiezversammlung im Januar. Und was verbindet sie mit dem Begriff? Lea steht auf der geräumigen Loggia der WG und blickt in einen ruhigen, grünen Innenhof. »Von außen ist diese Anlage nur Beton. Aber für uns Mieter*innen ist das Wohnen hier Gold wert. Und so soll es bleiben.«

»Der Kiez hat Eigenbedarf«: Parade mit Richt(ig)fest, Spatenstich gegen Verdrängung, Fahrt mit M29 oder Fahrrad zum Abschlussfest am Hafenplatz. Beginn ist um 15 Uhr an der Reichenberger Str. 142.

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